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Wie die «Italianità» nach Zürich kam
Der neue Dokumentarfilm von Samir beleuchtet die italienische Arbeitsmigration. In Zürich gibt noch immer Orte, welche die Ausgrenzungsmechanismen aufzeigen, die bis heute in der Migrationsdebatte angewendet werden.
Zum Zmittag gibts die «Ravioli fatti in casa» im Italia, oder schnell ein Panino bei Claudia an der Gasometerstrasse und am Feierabend düst das Velo vorbei an der Piazza Cella für den Aperitif zum Piccolo Giardino. Der neue Dokumentarfilm des Zürcher Regisseurs Samir zeigt auf, wie die «Italianità» als Nebenprodukt der italienischen Arbeitsmigration nach Zürich kam.
Der Titel «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» greift mit Sarkasmus vor, worum es später im Film gehen wird. Er weist auf die wenig rühmliche Geschichte eines Landes hin, das Gastarbeiter:innen für den eigenen Wohlstand holt, ihnen aber keinen Platz in ihrer Mitte zugesteht.
Premiere in Zürich
Der Film feierte am diesjährigen Locarno Film Festival Premiere und wurde am Montagabend zum ersten Mal in Zürich im Riffraff in Anwesenheit des Regisseurs und Vertreter:innen der Unia gezeigt.
Für den Dokumentarfilm hat Samir die zentralen Momente der Arbeiter:innenbewegung aus der Sicht der Migrant:innen aufgearbeitet.
Infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte die Schweiz schnell viele Arbeitskräfte und rekrutierte diese im Ausland. So kam es, dass ab den 60ern fast eine Million migrantischer Arbeitskräfte aus Italien in die Schweiz kamen, viele von ihnen auch nach Zürich und ins Arbeiterquartier, ins «Italienerviertel» im Kreis 4.
Doch obschon sie massgeblich am Aufschwung beteiligt waren, begegnete ihnen die Schweiz mit Ablehnung und Fremdenhass.
Mitten in Zürich versteckt
Der Film verarbeitet eine Unmenge an Archivmaterial: schwarz-weiss-Aufnahmen aus einem halben Jahrhundert, Musik-Clips, Ausschnitte aus der Wochenschau oder aus Filmen, wie dem legendären Dokumentarfilm «Siamo Italiani» (1964), dessen Macher in den 1960ern bereits dokumentierten, unter welchen prekären Umständen die Gastarbeiter:innen in der Schweiz leben mussten.
Einprägsam sind die eingeschobenen Interviews mit Zeitzeug:innen, von denen die meisten als Kinder in die Schweiz gebracht wurden. Im Kofferraum des Autos oder versteckt unter den Röcken der Grossmutter, da der Familiennachzug verboten war.
Im Film spricht die heute 74-jährige Catia Porri darüber. Sie kam 1962 als Kind von italienischen Saisonarbeitern von Florenz nach Zürich und musste sich hier mitten in der Stadt jahrelang in einem kleinen Zimmer verstecken, damit die Fremdenpolizei nicht von ihr erfuhr.
Italienische Räume in Zürich
Der Film ist stellenweise selbst ein Zeitdokument, auch indem er den letzten Abend des Restaurant Cooperativo festhält, welches nach 118 Jahren im Kreis 4 im Mai 2023 geschlossen wurde. Das Coopi war 1905 als Genossenschaftsküche von einer Gruppe italienischer Sozialdemokraten gegründet worden und jahrelang Treffpunkt für italienische Gewerkschafter:innen, Antifaschist:innen und später dann die Zürcher SP.
Die italienischen Arbeiter:innen mussten sich selbst ihre Räume schaffen, da die Schweizer Mehrheitsgesellschaft ihnen den Zutritt verwehrte. Im Film dokumentieren Aufnahmen von Schildern mit Aufschriften wie: «Eintritt für Italiener verboten.»
Einige Institutionen, die es in Zürich bis heute gibt, sind Zeuginnen dieser Zeit. So beispielsweise das Erwachsenenbildungsinstitut ECAP. Dieses wurde 1970 in Zürich von der italienischen Gewerkschaft CGIL gegründet, da die italienischen Arbeiter:innen keinen Platz in Schweizer Gewerbeschulen bekamen.
Die Gewerkschaften selbst nehmen in dieser Geschichte und auch im Film nicht nur eine rühmliche Rolle ein. Statt dass die Zugehörigkeit zur Arbeiter:innenklasse einend wirkte, überwog oftmals die Frage nach der Nationalität der Menschen. Auch in Gewerkschaftskreisen wurden der Überfremdungsdiskurs aufgenommen und ein Teil sprach sich 1970 für die Schwarzenbach-Initiative aus.
An der Premiere in Zürich ist auch die heutige Unia-Präsidentin Vania Alleva dabei. Als italienisch-schweizerische Doppelbürgerin ist sie selber auch Protagonistin im Film dabei. Im anschliessenden Publikumsgespräch sagt Alleva dieser Film zeige klar auf, was Gewerkschaften besser machen müssen.
«Ich hoffe, ich konnte mit diesem Film aufzeigen, dass in diesem Land ein komplexes System der Ausgrenzung tief verankert ist, das jene Leute ausschliesst, die nicht abstimmen können», sagt Samir zu den Zuschauer:innen im Kino.
Wie die gegenwärtige Migrations- und Überfremdungsdebatte aufzeige, würden die Mechanismen von damals auch heute noch greifen. Noch immer seien es vor allem die Migrant:innen, die in Niedriglohnsektoren arbeiten, die im Diskurs von Arbeiter:innen zu Ausländer:innen gemacht werden, während die anderen Expats sind.
Dabei würde ja genau die italienische Einwanderung und die Realität im Kreis 3 und 4 aufzeigen, wie absurd die Diskussion zur Überfremdung sei. «Diese Debatte geht an der Realität vorbei: Migration ist Realität. Der Kulturtransfer findet statt», sagt Samir. «Italianità» sei längst zu einem Teil der hiesigen Kultur geworden. «Wir müssen schauen, dass wir dieser Überfremdungsdebatte kraftvoll unsere Narrative entgegenhalten.»
Von den 50ern in die Gegenwart
Samir bringt, wie schon in anderen Filmen, seine eigene Familiengeschichte mit ein. Die Erinnerungen, wie er als junger Knabe mit seiner Familie in den 1960er Jahren vom Irak in die Schweiz migrierte, werden als Animation im Film eingespielt.
In 130 Minuten spannt der Dokumentarfilm den Bogen von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart und auf die Felder von Italien. Dort, wo afrikanische Geflüchtete heute für Billiglöhne Exportwaren produzieren, während sie von der europäischen Gesellschaft Ausgrenzung erfahren.
«Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» (2024). Ab dem 5. September im Kino. Link zum Trailer.
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