Die vier grössten Bauprojekte in der Stadt Zürich – und was sie taugen
Dieser Schuppen wird bald platt gewalzt, er muss dem «Zollhaus» weichen, das die Genossenschaft Kalkbreite hier im Kreis 5 baut. Tsüri.ch stellt dieses und drei weitere grosse Stadtzürcher Bauprojekte der kommenden Jahre vor. Ein Raumplaner und ein Architekt schätzen sie ein.
Aussicht von der Hardbrücke auf die PJZ-Baustelle.
Baustelle 1: Das PJZ
Auf der Hardbrücke stehend – Altstetten im Rücken, den Blick in Richtung Hauptbahnhof – hat man beste Aussicht auf die Baustelle zwischen Hohlstrasse und Gleisfeld: Hier baut der Kanton das Polizei- und Justizzentrum, kurz PJZ. Auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs, wo im vergangenen Sommer noch das Street-Food-Festival stattfand, soll es 2020 so aussehen:
Der Haupteingang des PJZ an der Hohlstrasse (Visualisierung: Baudirektion, Kanton Zürich)
Das PJZ ist «ein Kompetenzzentrum für die Bekämpfung der Kriminalität», schreibt der Kanton. Zurzeit ist die Kantonspolizei auf über 30 Standorten verteilt, hier im Kreis 4 arbeiten dann die verschiedenen Abteilungen unter demselben Dach. Mit der Konzentration an einem Standort «können erhebliche Synergien im Bereich der Strafjustiz genutzt werden». Das Bauprojekt inklusiv Erwerb des 63’000 Quadratmeter grossen Areals, das ursprünglich den SBB gehörte, kostet 568,6 Millionen Franken. Der Entwurf der Architekten Theo Hotz Partner AG aus Zürich sieht folgendes vor: Ein grosser Gebäudekomplex mit mehreren grünen Innenhöfen, der auf 40’000 Quadratmetern Raum für 1600 Arbeitsplätze bietet. Das Verwaltungsgebäude der Polizei und der Justiz, die Polizeischule, das Forensische Institut, die Strafverfolgung und ein Gefängnis mit rund 300 Plätzen kommen im Gebäude unter. Wenn die Kantonspolizei ihr neues Zuhause – voraussichtlich 2020 – bezieht, wird das Kasernenareal im Kreis 4 frei für neue Nutzungen. Allerdings nicht komplett. Schon bevor die Bauarbeiten überhaupt begonnen haben, stellte sich heraus, dass das PJZ zu klein ist. Obwohl das Gebäude jetzt fünf statt wie ursprünglich geplant vier Obergeschosse zählt. Es gibt neue Entwicklungen wie z.B. Cyberkriminalität, die beim Planungsstand von 2010 noch nicht voraussehbar waren, aber auch Raum benötigen. Diesen zusätzlichen Bedarf könne das Projekt «nicht mehr vollständig erfüllen», so der Kanton. Die Kapo-Führung bleibt deshalb weiterhin in der Kaserne.
tsüri.ch: Roman Hanimann, was bedeutet das PJZ fürs Quartier? Roman Hanimann*: Der neue Arbeitsplatz-Schwerpunkt wird das Quartier prägen: mehr Leute im Bus und Tram und mehr Fussgänger*innen auf der Strasse. Dies führt eventuell zu ergänzenden Versorgungsangeboten im Quartier wie ein neues Restaurant oder Geschäft an der Hohlstrasse. Aber der eigentliche Gebäudekomplex von Polizei und Justiz wird für sich alleine stehen. Ich gehe davon aus, dass er wegen den hohen Sicherheitsanforderungen nur begrenzt zugänglich sein wird. Dieser geschlossene und abweisende Charakter wird durch die Visualisierungen des Gebäudes ja auch noch bestätigt.
Hätte man die Fläche nicht besser genutzt, um Wohnhäuser zu bauen, passend zu den vielen Genossenschaftsbauten wie beispielsweise dem Erismannhof in der unmittelbaren Nachbarschaft? Klar, das riesige Areal mit dem historisch bedeutenden Güterbahnhof hätte sich gut für die Erweiterung des bestehenden Stadtquartiers geeignet. Andererseits ist es immer eine Herausforderung, zweckmässige Areale für solche Spezial-Nutzungen wie das PJZ zu finden. Ich gehe davon aus, dass vor dem Standortentscheid diverse Areale in der Region geprüft wurden und dies der beste Standort war. Ausserdem wurde er politisch mehrmals bestätigt. Für das Quartier stellt sich nun vielmehr die Frage, wie sich das erweiterte Umfeld des PJZ entwickeln soll.
Was heisst das konkret? Besteht für das Quartier noch Gestaltungs- und Handlungsspielraum? Können auch noch Nutzungen mit Bezug zum Quartier untergebracht werden? Der Masterplan sieht noch Entwicklungsmöglichkeiten um den Hardplatz vor. Meiner Ansicht nach würde sich dieses Teilareal für gemeinnützigen Wohnungsbau eignen. Damit könnte der Hardplatz als lebendiger Treff- und Umsteigepunkt gestärkt werden.
Diese Tankstelle muss daran glauben
Projekt 2: Das Zollhaus
Die Visiere stehen bereits: Hier, gleich neben den Gleisen, auf Höhe Langstrasse bis Amboss Rampe baut die Genossenschaft Kalkbreite das «Zollhaus». Der Genossenschaftsbau beinhaltet alles: verschiedene Typen von Wohnungen mit zusätzlich mietbaren Zimmern, Ateliers und Gemeinschaftsräume, aber auch öffentliche Angebote wie einen Kindergarten, eine Krippe, Praxen, ein Bistro, Läden und Kulturräume. Auf den Dachterrassen entstehen ein Nutzgarten und Flächen zur Energiegewinnung. So soll es aussehen:
Das «Zollhaus» von aussen (Visualisierung: Meyer Dudesek, Zürich)
180 Menschen werden dereinst im Genossenschaftsbau wohnen und 3200 Quadratmeter Gewerbefläche ist geplant. 2020 soll das Zollhaus bezogen werden. Im Auftrag der beiden Grundeigentümerinnen, SBB und Stadt Zürich, hatte der Verband der Wohnbaugenossenschaften Zürich das knapp 5000 Quadratmeter grosse Bauareal Mitte Oktober 2012 zum Kauf ausgeschrieben. Das Konzept «Zollhaus» überzeugte die Jury am meisten und im Februar 2013 kaufte die Genossenschaft Kalkbreite das Grundstück. Gut 100 Architekturbüros aus dem In- und Ausland reichten daraufhin ihr Projekt ein. «Esperanto» des Zürcher Architektenteams der Enzmann Fischer Partner AG wurde schliesslich zum Gewinner gewählt. Die Mitwirkung beim Projekt «Zollhaus» wird gross geschrieben: An Workshops diskutieren Genossenschafter*innen und Interessierte aus dem Quartier über das Konzept der Cafeteria oder die Namensgebung für Räume und Baukörper. Und schon jetzt steht auf der Brache an der Ecke Zollstrasse / Langstrasse ein temporärer Garten für alle zur Verfügung.
tsüri.ch: Florian Berner, wieviele «Kalkbreiten» braucht die Stadt? Florian Berner**: Rein wirtschaftlich betrachtet sind Wohnbauten Renditeobjekte, die sich bei einer hohen Nachfrage wie in Zürich von selbst vermieten. Die Realität zeigt aber, dass sich ausser den Genossenschaften kaum Investoren finden, die eine Antwort suchen auf sich verändernde Bedürfnisse von Mietern, die eine Vielfältigkeit im Haus und der Umgebung anstreben und das gesellschaftliche Miteinander über den Profit stellen. Die Kalkbreite ist eine Genossenschaft, die sich intensiv mit neuen Wohnformen auseinandersetzt. Zudem schafft sie es, ihre Mitglieder in diesen Prozess mit einzubinden. So gesehen darf es gern noch mehr «Kalkbreiten» geben.
Ist genossenschaftliches Wohnen die Zukunft? Historisch gesehen ist es eine sehr alte Wohnform. Kommunen der 68er-Jahre, Kibbuz in Israel oder Rundhäuser in China sind ähnliche Formen des Zusammenlebens. Ich denke, in der heutigen Zeit geht das gemeinschaftliche Miteinander schnell verloren. Daher spielen genossenschaftliche Wohnbauten eine wichtige Rolle in der Gesellschaft und im Stadtraum.
Stadtraum mit hoher Aufenthaltsqualität?
Projekt 3: Die Europaallee
Gleich vis-à-vis auf der anderen Seite der Gleise ragen die Gebäude der Europaallee in die Höhe. Wer weiss noch, wie es da vorher ausgesehen hat? Baubeginn war bereits vor acht Jahren. Das Areal von der Sihl bis zur Langstrasse umfasst 78’000 Quadratmeter. Es gibt insgesamt acht Baufelder, wo Wohnungen, eine Altersresidenz, ein Designer-Hotel, Büros, Banken, Schulen, Restaurants, ein Kino und Geschäfte unterkommen. Vier Baufelder sind bereits realisiert, vier weitere noch in Entstehung: 400 Wohnungen und 8000 Arbeitsplätze sollen es beim Bauabschluss im Jahr 2020 sein. Die Visionen der Europaallee sind urbane Durchmischung von Arbeit, Dienstleistungen, Kommerz, Kultur und Bildung; und öffentliche Stadträume mit hoher Aufenthaltsqualität. Ihr Slogan: Ein Quartier voll Zürich.
Der Slogan der Europaallee: Ein Quartier voll Zürich.
tsüri.ch: Urbane Durchmischung und Stadträume mit hoher Aufenthaltsquailtät, wie erreicht man das? Roman Hanimann: Ein interessantes, durchmischtes Quartier entsteht durch die Leute vor Ort. Bewohner, Beschäftigte, Laden-/ Geschäftsinhaber und Besucher tragen ihren Teil zum Stadtleben bei. Dieses städtische Leben lässt sich nicht auf dem Reissbrett entwerfen. Es können jedoch planungsrechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, die einen durchmischten Stadtteil mit belebten Strassen und Plätzen begünstigen: Zum Beispiel fussgängerfreundlich dimensionierte Stadträume; kleinteilige Parzellierung wie beispielsweise gereihte Stadthäuser, abwechslungsreiche Hausfassaden und publikumsorientierte Erdgeschossnutzungen. Das Wichtigste ist jedoch ein ausgewogener Nutzungsmix mit einem hohen Anteil an Wohnflächen – und zwar für alle Einkommen.
Aber es gibt nur Luxuswohnungen. Genau, dieser wichtige Aspekt wurde bei der Entwicklung der Europaallee leider nicht berücksichtigt. Der Wohnanteil ist zu tief und es fehlen preisgünstige Wohnangebote.
Braucht Zürich eine Europaallee? Ich finde es gut, dass dieses strategische Areal an zentraler Lage bebaut werden kann.
Aber hätte nicht etwas Anderes städtebaulich besser dorthin gepasst? Ich persönlich wünschte mir eine deutlich kleinteiligere Bebauung, welche sich an der städtebaulichen Struktur des Quartiers orientiert. Diesbezüglich vergleiche ich oft das Geviert zwischen Kasernenareal, Helvetiaplatz, Stauffacher und Sihl mit der Europaallee. Obwohl das Gebiet die gleiche Fläche aufweist, wirkt das Quartier zwischen Stauffacher und Volkshaus deutlich grösser und vielfältiger. Das relativ kleinteilige Quartier hat auch ohne Label eine starke Identität und bietet ein breites Nutzungsangebot. Dieses einfache und robuste, städtebauliche Muster hätte meiner Ansicht nach gut hierher gepasst.
Hier donnern pro Tag 56'000 Fahrzeuge durch
Projekt 4: Das Rosengartentunnel und Rosengartentram Eine der am stärksten befahrenen Strassen der Schweiz führt mitten durch Zürich. An einem Spitzentag passieren bis zu 56’000 Fahrzeuge die Rosengartenstrasse. Der Kanton und die Stadt präsentieren diese Lösung zur Beruhigung der Strasse: ein Tunnel zwischen dem Milchbuck und der Hardbrücke – mit einem Anschluss am Wipkinger- und Bucheggplatz. Der Verkehr soll ins Tunnel verlagert werden und die jetzt stark befahrene Strasse gehört dann den Fussgängern, Velofahrerinnen und den Autofahrern, die im Quartier wohnen. Zusätzlich geplant ist das Rosengartentram, eine direkte Verbindung vom Albisriederplatz an den Milchbuck. Die Ziele des Projekts sind folgende: Die Rosengartenstrasse wird beruhigt, was zu einer besseren Lebensqualität in den angrenzenden Quartieren führt und das Rosengartentram entlastet den ÖV-Knotenpunkt am Hauptbahnhof. Der Startschuss für den Bau des Rosengartentunnel ist auf 2024 geplant, die Bauarbeiten für das Tram starten 2030 und in Betrieb genommen, wird es voraussichtlich 2032. Das Projekt kostet rund 1078 Mio. Franken.
Eine Quartierstrasse, wo Kinder herumdüsen, das soll die Rosengartenstrasse mal sein. (Visualisierung: Architron)
tsüri.ch: Weniger Stau, die Rosengartenstrasse wird zur «Quartierstrasse» und eine direkte Tramverbindung vom Albisriederplatz zum Milchbuck. Mit diesen Argumenten «bewerben» Stadt und Kanton ihr Millionenprojekt. Welche negativen Punkte siehst du? Florian Berner: Verkehrsprojekte in der Grössenordnung des Rosengartentunnels beanspruchen von der ersten Idee bis zur Umsetzung meist Jahrzehnte. Das heisst, man muss sich nicht nur mit der aktuellen Situation, sondern mit Entwicklungen in mehreren Bereichen beschäftigen: Mobilität, Stadtentwicklung, soziale Gewohnheiten, Energiewende etc. Der jetzige Vorschlag setzt pragmatisch auf die Lösung mit sehr viel Geld: die Rosengartenstrasse zu beruhigen. Der Kreis 5 wird auch anschliessend vom Verkehr auf der Hardbrücke belastet sein und das neue zweigeschossige Tunnelportal wird den Wipkingerplatz weiter abwerten.
Du hattest ursprünglich eine ganz andere Idee für die Hardbrücke. Wie sieht die aus? Eine Studie hat gezeigt, dass ein Ausbau des Autobahn-Rings und des Gubrist-Tunnels das Verkehrsverhalten nachhaltig beeinflussen kann. In diesem Fall würde man, um Zeit zu sparen, von jedem Punkt der Stadt direkt den Ring ansteuern. Gepaart mit weiteren Änderungen im Mobilitätsverhalten kann der Verkehr auf der Westtangente schrittweise reduziert werden. Wir haben diese Vision visualisiert: Das Rosengartentram fährt wie geplant über die Hardbrücke, über die Rosengartenstrasse rollt nur der Quartiersverkehr, auf der Brücke gibt es neben Tram und Velo-Autobahn dreigeschossige Bauten für Wohnen, Kleingewerbe und Dienstleistungen. Freiräume und Plätze beim Escher-Wyss Platz und Prime Tower schaffen urbane mehrgeschossige Freiräume, die nur hier in Zürich West möglich sind. Der private Autofahrer kann die Hardbrücke nur noch über das Gleisfeld, zwischen Geroldrampe und Hardplatz nutzen.Während andere Städte eine markante Skyline suchen, hat vielleicht die Umnutzung dieses horizontalen Bauwerks das Potential ein Wahrzeichen für Zürich zu werden.
Fazit
Die Stadt wächst und verändert sich stetig. Schon in drei Jahren – wenn alles nach Plan läuft – wird die jetzige Güterbahnhof-Brache zum Arbeitsort für 1600 Angestellte und wo sich jetzt noch eine kleine Tankstelle und ein Schuppen befinden, entsteht ein «lebendiger Ort», das «Zollhaus». Irgendwie schwer vorstellbar, wie diese beiden Orte im Jahr 2020 aussehen werden. Die Hälfte der Europaallee hingegen ist schon da. Kann sie ihr Versprechen von einem «Stadtraum mit hoher Aufenthaltsqualität» erfüllen, wenn dann beide Seiten der Allee stehen? Teuer und vielleicht auch gar nicht optimal, ist die Lösung von Kanton und Stadt für die Rosengartenstrasse, dadurch wird die Hardbrücke noch immer stark befahren sein. Wie gut sich die vier Projekte in ihr Umfeld einfügen – wir werden es sehen.
Die Interviewpartner
*Roman Hanimann absolvierte eine Lehre als Vermessungszeichner. Er studierte Raumplanung an der Hochschule für Technik in Rapperswil und ist heute Partner des Ateliers für Städtebau «Van de Wetering» in Zürich, wo er als Raumplaner arbeitet.
**Florian Berner studierte an der Universität Stuttgart Architektur und Stadtplanung. 2011 gründete er zusammen mit der Architektin Miriam Weyell das Architekturbüro «Weyell Berner» in Zürich.
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