Die Papi-Kolumne: Die eigene Geburt verpennt

Vater zu werden und zu sein, ist ein Abenteuer. Antoine Schnegg bezeichnet sich zwar nicht als Experten auf dem Gebiet, Vater ist er trotzdem geworden. Dieses Mal erzählt die Papi-Kolumne vom Tag der Geburt seines Sohnes, von Tempoüberschreitungen und von «Bonding» auf Befehl.

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ACHTUNG: Was folgt, ist ein ziemlich heftiger Bericht über eine Geburt. Solltest du vorhaben, zu gebären oder einer Geburt beizuwohnen, überleg dir zweimal, ob du das lesen willst.

Beim Flaschentauchen habe ich gelernt, die eigene Ausrüstung und die Ausrüstung von Mittaucher*innen auf ihre Funktionstüchtigkeit hin zu prüfen. Man ist hochkonzentriert, überprüft die Atemmasken, kontrolliert alle Ventile und bespricht nochmals den gemeinsamen Tauchgang. Auch im Vorfeld der Geburt meines Sohnes habe ich Checklisten gemacht, den Geburtskoffer gepackt, Telefonnummern von Taxiunternehmen notiert und bin mental nochmals meine Aufgabe bei der Geburt durchgegangen. Trotz minutiöser Vorbereitung: Meine Ruhe und Selbstsicherheit wurden tief erschüttert und ich bin in den Marianengraben der Gefühle hinabgetaucht.

Taxigeburten gilt es zu vermeiden

Am Sonntagabend, den 8. Januar 2017 sind wir bei den Eltern meiner Partnerin zum Abendessen. Eigentlich müsste L. schon da sein, sein Geburtstermin ist der Dreikönigstag. L. nimmt es mit der Pünktlichkeit nicht so genau in seinem Leben. In der Nacht von Sonntag auf Montag, den 9. Januar gehen die Wehen schliesslich los. In immer kleiner werdenden Abständen plagen meine Partnerin nun Schmerzen, die anfangs noch aushaltbar sind, aber immer stärker werden.

Wir beschliessen, es uns zuhause gemütlich zu machen und versuchen, möglichst viel zu schlafen. Und ich koche noch das ausdrücklich von ihr verlangte Essen: Tagliatelle im Schinkenmantel an einer Rahmsauce (sozusagen umgekehrte Cannelloni). Das essen wir zum ersten und gleichzeitig zum letzten Mal. Da Spaziergänge gut tun sollen, gehen wir noch in die Bäckerei und holen uns Mille-feuilles. Wir sind also ausgeschlafen und wohlgenährt. Und ich bin noch zuversichtlich.

Als die Wehen dann im Zehnminutentakt auftreten, bittet mich meine Partnerin ein Taxi zu bestellen. Taxifahrer*innen möchten Taxigeburten möglichst vermeiden, weshalb Fahrer Nummer 1 (Typ: pensionierter Bünzli) mit ziemlichem Tempo von Wipkingen ins Unispital düst. Dort angekommen, fährt er beinahe mitsamt unserem Gepäck und offenem Kofferraum wieder los.

Meine Partnerin wird nun untersucht und muss verschiedene Fragen beantworten. Eine Frage, welche uns die nächsten 24 Stunden etwa viermal gestellt wird: «Was für eine Korrektur hat ihre Brille?» WTF?! Ich werde etwas nervös. Nach verschiedenen Untersuchungen schickt uns die Hebamme wieder nach Hause und meint, es könne noch ein paar Tage gehen, bis das Kind kommt.

Mit Lichtgeschwindigkeit über den Schaffhauserplatz

Meine Partnerin legt sich nochmals hin und versucht, so gut es geht trotz Wehenschmerzen etwas zu schlafen. Ich bin viel zu nervös und ziehe mir ein paar Episoden «Twin Peaks» auf dem Sofa rein, was meine Nervosität wohl eher verstärkt. Gegen 21 Uhr steigen wir wieder ins Taxi: Fahrer Nummer 2 (Typ: ehemaliger serbischer Panzerpilot) rast mit 80 km/h zurück ins Unispital. Am Schaffhauserplatz ignoriert er sämtliche Rotlichter. Als wir angekommen sind, wünscht er meiner Partnerin noch gute Besserung. Während der Aufnahme «Was für eine Korrektur hat ihre Brille?» bin ich auf dem Sofa eingeschlafen. Träume ich gerade eine verschollene «Twin Peaks»-Episode?

Die Hebammen stellen fest, dass L. nun doch raus will. Die Erinnerungen, die ich an die folgenden zwölf Stunden habe, sind sehr diffus. Es ist ein Mix aus Lachgas, Wehen, Schmerzen und Tränen. Diese Stunden gehören für mich zum traumatischsten, was ich je erlebt habe: Vor mir liegt der Mensch, den ich über alles liebe, und windet sich vor Schmerzen. Ich kann nur hilflos daneben stehen. Diese Nutzlosigkeit macht mir noch lange danach zu schaffen. Ich hätte doch so gerne meine Partnerin unterstützt. Dass sie mir im Nachhinein dafür dankte, dass ich bei ihr gewesen war, tat mir gut.

Nach einer langen Nacht werden die Herztöne von L. immer schwächer. Es stehen immer mehr Ärztinnen und Hebammen im Geburtsraum und rätseln, was zu tun sei. Diese Situation treibt mich an den Rand des Wahnsinns. Die Ärztinnen beschliessen, möglichst rasch einen Kaiserschnitt durchzuführen, da die leisen Herztöne von L. nichts Gutes verheissen.

Alles Grün

Während meine Partnerin auf die Operation vorbereitet wird (die obligate Frage nach ihrer Sehhilfe wurde wieder gestellt), werde ich in einen grünen Nebenraum geführt und grün eingekleidet. Als ich in diesem Augenblick von meiner Partnerin für kurze Zeit getrennt werde, kann ich nicht mehr. Ich heule los. Die anwesende Krankenpflegerin nimmt mich in die Arme und drückt mich ganz fest. Ohne diese Umarmung hätte ich nicht weitermachen können.

Der Kaiserschnitt an sich dauert unglaublich kurz und ist völlig trivial. Die Chirurgin lästert während der Arbeit mit dem Anästhesisten über einen dummen Kollegen. Gleichzeitig höre ich – ich sitze am Kopfende neben meiner Partnerin hinter einem Sichtschutz – wie ihr die Bauchdecke aufgeschnitten wird. Und dann höre ich etwas anderes: Den ersten Schrei von L. Er wird schnell zu einem Arzt in einen Nebenraum geführt, wo festgestellt wird, dass er kerngesund und womöglich nur während seiner eigenen Geburt eingepennt ist, weshalb seine Herztöne so schwach wurden (L. ist übrigens immer noch ein sehr chilliger Mensch). Dann wird er behelfsmässig geputzt, denn Neugeborene sehen aus wie aufgedunsene, blaue Wasserleichen.

Dann endlich darf ich L. halten. Während meine Partnerin noch im OP-Saal liegt, befiehlt uns eine Hebamme zu «bonden». Ich muss mein T-Shirt ausziehen und der nackte L. wird mir auf die Brust gelegt. Die Hebamme meint, sie würde dann in 30 bis 60 Minuten mit meiner Partnerin kommen. Wir sind nun allein.

L. öffnet die Augen, ist ganz still und sieht mich lange an. Dieser völlig surreale Geburtsfilm wird plötzlich sehr real. Seit diesem Tag glaube ich an Liebe auf den ersten Blick.

Titelbild: Ewout Paulusma, Unsplash

Antoine wurde vor kurzem von PaPaPo, dem Väter-Podcast interviewt. Falls ihr ihn nicht nur lesen, sondern auch mal hören wollt, klickt hier.

<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Antoine Schnegg </div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Antoine Schnegg ist 34 Jahre alt und arbeitet als Bürogummi in Zürich. Mit seiner Partnerin und seinem Sohn, der 2017 auf die Welt kam, wohnt er in Wipkingen. Beide Elternteile arbeiten 80-Stellenprozent. Für Tsüri.ch berichtet er als freier Kolumnist aus seinem Leben als Familienvater. </div>

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