Die kommerzielle Nutzung des Bodens führt zu Not, nicht zu Reichtum

Die Wohnungskrise ist unbestritten, die Ideen dagegen sind so divers wie ein Regenbogen. Doch es wird alles nichts nützen, solange sich die Politik weigert, Wohnraum als Service Public zu begreifen. Dafür braucht es viel mehr Mut, konsequentes Handeln und weniger Pflästerlipolitik. Eine Analyse von Simon Jacoby.

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(Bild: Mark Hourgaard Jensen, CC BY-SA 2)

In Zürich standen per Stichtag im Juni nur 144 Wohnungen leer. Dies entspricht einem Leerstand von 0,06 Prozent – die Wohnungskrise wird längst von niemandem mehr abgestritten. 

Wer durch die Stadt spaziert, könnte meinen, es würden viele neue Wohnungen entstehen. Doch obwohl gebaut wird, kommt das Angebot der Nachfrage bei weitem nicht nach – mehr Menschen suchen ein neues Zuhause, als solche entstehen können. 

Auf der Nachfrageseite sind die Ursachen klar: Unsere Wirtschaft brummt und zieht daher immer mehr Menschen an. Ausserdem sinkt die Anzahl Personen pro Haushalt und der Flächenverbrauch pro Kopf nimmt zu. Eine explosive Mischung. Dies erhöht den Druck auf den Wohnungsmarkt und wo die Not der Wohnungssuchenden gross ist, kann viel Geld verdient werden. 

Die Lage ist derart dramatisch, dass für jedes noch so überrissene Angebot eine neue Mietpartei gefunden werden kann. Selbst irre teure Wohnungen können innert Kürze vermietet werden. Die Mieter:innen müssen nehmen, was ihnen vorgesetzt wird. Eine richtige Auswahl gibt es längst nicht mehr. Die Gewinne sprudeln.

«Die hohen Mieten sind für rund die Hälfte der Inflation verantwortlich.»

Viele Um- und Neubauten gibt es nur, damit der neue Anfangsmietzins höher gesetzt werden kann. Ausserdem sind die Grundrisse danach zwar grosszügiger, aber für weniger Personen ausgelegt. So steigt der Platzverbrauch pro Person immer weiter nach oben. In Zürich unterscheidet sich der Pro-Kopf-Platzverbrauch massiv zwischen gemeinnützig und kommerziell vermieteten Wohnungen. Die Platzverschwendung des kommerziellen Wohnungsbaus erhöht den Druck auf den eh schon knappen Raum in der Stadt zusätzlich. 

Längst sind die steigenden Mieten ein Problem für die ganze Volkswirtschaft. Denn die Mieter:innen verlieren laufend an Kaufkraft, es bleibt weniger Geld zum Leben. Besonders absurd: Die hohen Mieten sind für rund die Hälfte der Inflation verantwortlich, wie die Konjunkturforschungsstelle der ETH festgestellt hat. Und wenn die Inflation steigt, werden die Zinsen angehoben, woraufhin auch der Referenzzinssatz steigt. Das Resultat? Mieterhöhungen. 

Bisher nur Tropfen auf den heissen Stein

Und wie lösen wir das? Sämtliche politischen Kräfte werfen Ideen in den Ring, die meisten davon zielen auf irgendein Symptom, statt das Problem bei der Wurzel zu packen. Die Rechten wollen die Zuwanderung begrenzen und so die Nachfrage eindämmen. Die Wirtschaftsliberalen wollen weniger Regulierungen beim Bauen – nach dem Motto: Mehr Angebot wird die Preise senken. 

Auf der anderen politischen Seite: Mit Belegungsvorschriften soll sichergestellt werden, dass die Wohnungen effizient genutzt werden. Mit der Wohnschutzinitiative sollen günstige Wohnungen erhalten werden. Und die Gemeinden sollen dank eines Vorkaufsrechts mehr Grundstücke kaufen und so mehr gemeinnützigen Wohnraum schaffen. 

Ausserdem sollen endlich die Renditen kontrolliert werden, die mit Wohnraum gemacht werden – um illegal hohe Renditen zu verhindern. Denn eigentlich – und das wissen nicht viele – ist die erlaubte Rendite per Gesetz bei zwei Prozent (über dem Referenzzins) gedeckelt. Eine ‘Marktmiete’ ist gar nicht erlaubt. Doch weil das niemand kontrolliert, wird es allseits ignoriert. 

Diese Forderungen kommen in den Medien, als Petitionen, parlamentarische Vorstösse und Volksinitiativen. Doch ehrlicherweise muss man gestehen: Es ist alles entweder nicht umsetzbar oder Pflästerlipolitik.

Selbst zusammen könnten die obigen Ideen die Krise nicht lösen – es sind nur Tropfen auf den heissen Stein. Wir brauchen eine neue Wohnpolitik. Eine, die das Problem an den Wurzeln anpacken will und damit deutlich weitergeht als die auf dem Tisch liegenden Vorschläge. Die politischen Akteur:innen hatten bisher noch nicht den Mut, das Offensichtliche auszusprechen: Wohnen ist ein Zwangs-Konsumgut. 

Man kann nicht einfach auf Wohnen verzichten, wie man mal einen Spa-Aufenthalt weglassen kann. Wenn das Geld knapp ist, kann man die Sauna mal sparen, aber ein Zuhause ist nicht optional. Es gibt verschiedene solche Dinge, die wir uns als Gesellschaft leisten: Luft, Wasser, Radio und Fernsehen. Es ist offensichtlich, dass die kommerzielle Nutzung des Bodens zu mehr gemeinsamer Not als zu allgemeinem Wohlstand führt. 

Darum müssen wir die Bereitstellung von Wohnraum als Service Public und als Teil unserer gemeinsamen Infrastruktur verstehen: Mehr genossenschafltiche Wohnungen, mehr staatliche Wohnungen – und im Umkehrschluss eine massive Einschränkung der kommerziellen Wohnungsanbieter:innen.

Weitere Ideen zur Frage, «wie lösen wir die Wohnungsnot?» gibt es an der Pitch-Night zum Fokus Wohnen am 16. Oktober im Kraftwerk.

Fokus Wohnen

Wohnen müssen alle. Es erstaunt deshalb nicht, dass kaum ein Thema so stark beschäftigt wie die Wohnungssuche und Mieterhöhungen. Um rund 40 Prozent sind die Mietpreise in der Stadt Zürich in den letzten 20 Jahren gestiegen und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend abflachen wird. Wohnen wird zunehmend zum Luxusgut. Wie können wir auch in Zukunft in einer bezahlbaren, attraktiven und nachhaltig gebauten Stadt leben? Dieser und weiteren Fragen widmet sich Tsüri.ch einen ganzen Monat lang mit verschiedenen Veranstaltungen und redaktionellen Beiträgen. Zum Programm
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