«Die Begegnungen sind zufällig – wir helfen nur ein bisschen nach»

Seit September 2024 versucht das Start-up «MeetByChance.ch» Singles im echten Leben zusammenzubringen. Dabei gibt ein Kulturkalender Anhaltspunkte, bei welchen Events sich Singles begegnen könnten.

Sukkulenten-Sammlung
Zufällig jemanden im Museum oder in der Sukkulenten-Sammlung treffen? Dem will «MeetByChance» auf die Sprünge helfen. (Bild: Tsüri.ch)

Dienstag, 18.00 Uhr an der Bushaltestelle Winkelriedstrasse im Kreis 6. Eine handvoll Personen warten hier auf den Beginn einer öffentlichen Stadtführung. Doch nicht alle interessieren sich ausschliesslich für die historischen Fakten der Führung.

Eine der Besucher:innen hält hier nach anderen Single Personen Ausschau. Sie ist über «MeetByChance.ch» auf die Führung aufmerksam geworden. Das Unternehmen hat nämlich prognostiziert, dass an diesem Abend viele Singles an der Stadtführung teilnehmen und sich hier begegnen könnten.  

Kulturkalender statt Dating-App

Seit acht Monaten versucht das Start-Up, spontanen Begegnungen etwas nachzuhelfen und so Singles zusammenzubringen. Dazu verkauft «MeetByChance.ch» Wochenkalender für sieben verschiedene Schweizer Städte mit unterschiedlichen Kulturprogrammen. «Wir behaupten mal, Dir sagen zu können, in welchen Locations sich von Montag bis Sonntag, überdurchschnittlich viele Singles aufhalten werden», steht auf der Website. 

Für den Kalender hat die Besucherin fünf Franken bezahlt. Im Preis enthalten sind jeweils bis zu 30 Veranstalten oder Aktivitäten für eine Woche und eine Stadt. In diesem Fall zum Beispiel Montagnachmittag in der Sukkulenten-Sammlung, Freitagabend in der Photobastei oder eben Dienstag um 18.00 Uhr an der Stadtführung. 

Ob man dann dort aber auch wirklich auf andere Singles trifft, ist unklar. Der Kalender schlägt zwar vor, ein optionales Erkennungszeichen mit sich zu tragen, wie etwa in dieser Woche eine Zeitung. Auch ein optionales Kennwort – in dieser Woche «bemerkenswert» – ist im Kalender vermerkt.

Die junge Frau hat zwar eine Zeitung dabei, doch sie habe sich dann doch dagegen entschieden, diese hervorzunehmen. Bei so einem Stadtrundgang komme man ohnehin mit den Menschen ins Gespräch, sagt sie. Dabei stellt sich heraus: Sie ist die einzige, die durch «MeetByChance» zur Stadtführung gekommen ist, die einzige Single Person ist sie hingegen nicht.

Die Idee kam in der Freundesgruppe

Hinter dem Start-up steht Urs Christen, der eigentlich als selbstständiger Unternehmer tätig ist. «MeetByChance.ch» ist sein Herzensprojekt, sagt er. «Viele Menschen sind nicht zufrieden mit dem Online-Dating. Sie sehnen sich nach Begegnungen im echten Leben. Auch in einem nicht romantischen Kontext».

Die Idee für «MeetByChance.ch» kam Christen zusammen mit einer Gruppe Freund:innen, die ähnliche Erfahrungen im Online-Dating gemacht hätten. Einmal sagte eine von ihnen, sie würde viel lieber jemanden im Museum kennenlernen – ganz per Zufall. So kam dann auch der Name zustande.

Museum
Wenn man ohnehin gerne ins Museum gehe, sei der Kalender eine schöne Ergänzung, meint Gründer Urs Christen. (Bild: Tsüri.ch)

Genaue Zahlen dazu, wie viele Personen das Angebot nutzen, verrät Christen nicht. Jedoch: Im ersten Monat Ende letzten Sommer hätten sie eine dreistellige Zahl an Käufer:innen pro Woche erreicht und seien seither stetig gewachsen. «Es ist eine relativ volatile Sache, manchmal haben wir mehr Kund:innen, manchmal weniger», sagt er. 

Die Altersgruppe reiche von 18 bis 80, die Mehrheit der Kund:innen sei aber etwas über 35 Jahre alt und zu gut 60 Prozent weiblich. Eine exakte Statistik zum Alter lasse sich jedoch nicht ermitteln.

Sicher ist dabei: Der Kund:innenstamm wächst kontinuierlich. «In den kommenden Monaten dürften wir unser Ziel erreichen, alle Kosten zu decken», prognostiziert Christen. Dafür bräuchte er etwa 1000 Kund:innen pro Woche.

Offline-Dating wird wieder beliebter

Auf dem Markt ist «MeetByChance» nicht alleine, generell erfreuen sich Offline-Dating Formate wieder zunehmender Beliebtheit. Die Gruppe «Action Liaison» veranstaltet zum Beispiel schon länger Speed-Dating Events und organisiert seit diesem Jahr das Format «Date my Dad», im Zürcher Lokal Roter Delphin. Auch die Plattform «noii», die ebenfalls Singles im echten Leben zusammenbringt, erzielt seit der Gründung 2022 laufend Erfolge. Gemäss eigenen Angaben nutzen 2025 über 50’000 Personen in der Schweiz die Plattform.

«MeetByChance» ist noch lange nicht genug gross, um dem eine ebenbürtige Alternative entgegenzustellen. Bei unter 1000 Kund:innen pro Woche verteilt auf sieben Städte, sind die Chancen auf willige Singles zu treffen verschwindend klein. Das weiss auch Christen: «MeetByChance» garantiere keine Dates.

Es sei allerdings auch nicht nötig. Angebote, bei denen man Singles offline treffen kann, gebe es bereits zur Genüge, sagt Christen. «Wir wollen nichts kopieren, die Grundidee ist eine andere», meint er.

Nämlich: Dass man sich an einem Ort frei bewege und dort vielleicht zufällig mit einer noch unbekannten Person ins Gespräch komme. «Wir haben bewusst keine zu präzisen Treffpunkte, wie etwa an der Eingangstafel im Museum, die Begegnungen sind zufällig – wir helfen nur ein bisschen nach.» 

Als Erweiterung zum Museumsbesuch

«MeetByChance» kommt gut an, er bekomme regelmässig positives Feedback, erzählt Christen, jedoch vor allem zur Idee. Die Erzählungen von positiven Erfahrungen könne er noch an einer Hand abzählen, sagt er.

Das habe aber einen anderen Grund: «Wir haben nur Kontakt mit den Kund:innen, wenn diese sich bei uns melden». Nur weil er nichts von Begegnungen wisse, heisse das deshalb nicht, dass diese nicht stattgefunden hätten. 

Wichtig sei aber auch, dass sich die Kund:innen jeweils etwas aussuchen, das sie selbst gerne machen. Und wenn man ohnehin gerne an Orte wie ins Museum, in die Sukkulenten-Sammlung oder an Stadtrundgänge gehe, sei «MeetByChance.ch» eine schöne Erweiterung. 

Kein Liebes-Erfolg, kein Problem

Die Veranstaltungsorte informiere er dabei nicht darüber, dass diese im Kalender vorkommen, sagt Christen. «Wir sind nicht gross genug, dass eine Veranstaltung oder ein Ort unseretwegen überrannt wird», meint er.

In den letzten Monaten seien jedoch einige der Veranstaltungsorte auf das Unternehmen aufmerksam geworden und kämen jetzt auch auf ihn zu, sagt Christen. Was es in den Kalender schafft, entscheide «MeetByChance.ch» jedoch immer noch selbst. «Es gibt sogar Leute, die den Kalender nur wegen der Kultur-Tipps kaufen», sagt er.

Auch die Besucherin der Stadtführung ist in Sachen Liebe nicht fündig geworden, dafür habe sie einen interessanten Abend erlebt und ein paar neue Fakten über Zürich gelernt. Sie werde vielleicht wieder einem Tipp aus dem «MeetByChance» Kalender folgen, dann aber lieber mit Freund:innen, statt alleine.

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Sofie David

Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.

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