Kulturwissenschaftlerin zu Gen Z

«Teil einer eigenen Bewegung zu sein, ist attraktiv für Jugendliche»

Die Generation Z bringt immer wieder Tiktok-Phänomene in die analoge Welt. Wieso Jugendliche gemeinsam Pudding mit Gabeln essen und warum wir sie dafür belächeln, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Christine Lötscher im Interview.

Christine Lötscher
Die Kulturwissenschaftlerin forscht zur Generation Z – und wie diese von der Gesellschaft wahrgenommen wird. (Bild: Ayse Yavas)

Isabel Brun: Anfang Oktober trafen sich Jugendliche auf der Chinawiese in Zürich, um gemeinsam Pudding mit Gabeln zu essen und lösten damit ein grosses Medienecho aus. Warum finden wir die Generation Z so spannend?

Christine Lötscher: Was Jugendliche tun und wie sie sind, hat Erwachsene schon immer sehr interessiert. Zumindest seit dem 19. Jahrhundert, als sich das Konzept «Jugend» als eigenständige Lebensphase entwickelt hat. Das ausgiebige Sich-Sorgen um die Jugend ist eine Form, wie die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt und entspringt dem Wunsch, dass es die nächste Generation besser machen soll.

Wir hoffen, dass die Jungen die Welt verändern können?

Ja! Zumindest glauben wir, dass junge Menschen die Kraft haben, eine Zukunft aufzubauen, die besser ist als die Gegenwart. Gleichzeitig projizieren wir unsere Probleme auf sie und sind viel strenger mit ihnen als mit Gleichaltrigen. Damit setzen wir Erwartungen, die Jugendliche kaum erfüllen können.

Haben Sie ein Beispiel?

Viele echauffieren sich immer wieder über den Handykonsum von Jugendlichen. Dabei gibt es auch viele Millennials oder Boomer, die ständig am Smartphone hängen. Klar gibt es junge Menschen, die viel Zeit online verbringen, aber es gibt auch viele, die Social Media sehr kontrolliert nutzen.

«Die Gen Z wuchs zu einer Zeit auf, in der Kinder und Jugendliche durch die Pandemie stark kontrolliert wurden.»

Christine Lötscher, Kulturwissenschaftlerin

Deshalb habe ich manchmal Mühe damit, von «der Gen Z» zu sprechen. Generationen sind Konstruktionen, mit denen die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt, nicht homogene Gruppen von Menschen.

Aber es gibt trotzdem Dinge, welche die Gen Z verbindet: Die Folgen der Corona-Pandemie oder dass sie alle Digital Natives sind. 

Ja, beide Erfahrungen prägen die Generation. Aber wie Individuen mit diesen umgehen, kann nicht pauschal beantwortet werden, auch wenn uns das lieber wäre. Unsere Gesellschaft will eine klare Vorstellung davon haben, wie die Jugend sein soll. Doch der Fall der Gen Z ist paradox: Wir haben gleichzeitig Klimaaktivist:innen wie Greta Thunberg und psychisch kranke Teenager im Kopf.

Zwei Themen, die auch ich stark mit der Generation verbinde. Wie würden Sie denn die Gen Z beschreiben?

Sie wuchs zu einer Zeit auf, in der Kinder und Jugendliche stark kontrolliert wurden. Während der Pandemie waren viele in einem Alter, in dem man sich normalerweise draussen mit Freund:innen trifft, sich langsam von den Eltern löst und autonom wird. Das alles konnten die heute 18- bis 23-Jährigen nicht erleben. Entsprechend fand ein Grossteil ihres Alltags in der digitalen Welt statt – so auch der Austausch mit Gleichgesinnten.

Mittlerweile scheinen sich viele wieder nach physischen Kontakten zu sehnen. Mit dem Trend «Pudding-essen-mit-Gabel» bringen Jugendliche ein Social-Media-Phänomen in die reale Welt. 

Diese Entwicklung zeigt, wie stark der Einfluss der Pandemie auf die Gen Z tatsächlich war. Es brauchte seine Zeit, bis sie sich bereit fühlte, sich tatsächlich zu solchen Events zu treffen und gemeinsam etwas zu machen. Auch wenn die Aktivität nur darin besteht, auf der Wiese zu sitzen und Pudding zu essen. Im Fokus steht das Gemeinschaftsgefühl. 

Früher traf man sich aus demselben Grund – konsumierte aber statt Pudding Drogen wie Hasch oder Alkohol. 

Genau. Es ist das gleiche Prinzip, halt nur ohne die schädlichen Faktoren.

Welche Rolle spielt hier Social Media: Machen viele auch «for the Memes» mit, um Teil dieser Bewegung zu sein?

Die Bedeutung der Dokumentation auf Social Media ist individuell unterschiedlich, doch Teil einer eigenen Bewegung zu sein, die ältere Generationen vielleicht nicht verstehen, ist allgemein attraktiv für Jugendliche.

Pudding essen mit Gabel Chinawiese
Anfang Oktober trafen sich in Zürich junge Menschen, um gemeinsam Pudding mit Gabeln zu essen. (Bild: Minea Pejakovic)

In Zürich fand am vergangenen Wochenende bereits das nächste Gen-Z-Event statt. Beim sogenannten «Performative Male Contest» geht es darum, dass sich Männer nach einem neuen Männerbild kleiden und benehmen. Auf Social Media kursierte der Trend schon länger. Welches Bedürfnis steckt hinter solchen Veranstaltungen?

Es könnte die Antwort von Jugendlichen auf ihre Wahrnehmung sein, dass junge Männer pauschal als problematisch gelten. Es ist kein Zufall, dass die Netflixserie Adolescsence, bei der es um einen Mord eines 13-Jährigen an einer Teenagerin geht, hohe Wellen geschlagen hat. Sie spielt mit unserer Angst, dass ein junger Mensch trotz stabilen Familienverhältnissen den Verführungen der frauenfeindlichen «Mannosphäre» auf Social Media verfällt.

Ohne zu stark zu pauschalisieren: Würden Sie sagen, die Gen Z ist aufgeklärter, erwachsener?

Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, wenn ich mir die Selbstdarstellung der Gen Z anschaue, ist sie sicher weniger aufmüpfig als frühere Generationen. Viele pflegen ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Eltern und sind grundsätzlich auf Dialog und Verständigung eingestellt. Dazu gehört aber auch, die eigene Position zu behaupten. 

Stimmt es, dass diese Generation unpolitischer ist?

Im Gegenteil. Ich forsche aktuell zum Phänomen «Booktok», wo Leser:innen auf Tiktok Buchempfehlungen an andere Leser:innen abgeben. Dort zeigt sich: Die meisten Werke, die besprochen werden, sind politisch aufgeladen oder werden so gelesen; sie drehen sich um Feminismus, queere Themen, die Klimakrise oder Menschenrechtsverletzungen.

Aber auch in der Alltagswelt äussern sich junge Menschen politisch. So solidarisieren sich beispielsweise viele Studierende mit den Menschen in Gaza. Auch hier scheint es mir wichtig zu betonen: Wie in allen Generationen zuvor sind die einen aktivistischer als andere, doch die Form, wie Gemeinschaft und politisches Engagement gelebt wird, unterscheidet sich.

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isabel

Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin bei der Tierklinik Obergrund Luzern. Danach zweiter Bildungsweg via Kommunikationsstudium an der ZHAW. Praktikum bei Tsüri.ch 2019, dabei das Herz an den Lokaljournalismus verloren und in Zürich geblieben. Seit Anfang 2025 in der Rolle als Redaktionsleiterin. Zudem Teilzeit im Sozialmarketing bei Interprise angestellt.  

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