Das war die Pitch-Night zum Fokusmonat Stadt-Landwirtschaft
Das Thema nachhaltige Ernährung geht uns alle etwas an und hört nicht bei Modewörtern wie «saisonal» und «regional» auf. An der gestrigen Pitch-Night zum Auftakt des aktuellen Fokusmonats waren deshalb sieben Expert:innen zu Gast, die ihre Standpunkte zum Thema Stadtlandwirtschaft ausgeführt haben.
«Warum eigentlich ‹Stadtlandwirtschaft›?» Mit dieser Frage eröffnet Tsüri-Chefredaktor Simon Jacoby die Pitch-Night. Im Vorfeld zur Veranstaltung fanden Umfragen in unserer Community statt.. Rund 87 Prozent der Teilnehmenden gaben darin an, dass nachhaltig arbeitende Landwirtschafts-Betriebe stärker subventioniert werden sollen.
Die Thematik «Stadtlandwirtschaft» haben wir aber nicht nur aufgrund des Interesses unserer Community gewählt, sondern auch, weil ein Trend zum «urban farming», also zur Lebensmittelproduktion im städtischen Raum, zu beobachten ist. Darüber hinaus gebe es 30 Bauernhöfe auf Zürcher Stadtgebiet und rund 10 Prozent der Stadtfläche werden landwirtschaftlich genutzt, sagt Jacoby, bevor er die Bühne für den ersten Redner freigibt. Jede:r Redner:in hat genau sieben Minuten Zeit, um dem Publikum die eigenen Sichtweisen auf das Thema näher zu bringen.
Ferdi Hodel, Präsident des Zürcher Bauernverbandes (ZBV): «Die Politik denkt zu kurzfristig»
«Vielfach wird über die Landwirtschaft gesprochen, während niemand aus der Landwirtschaft dabei ist.» Mit diesen Worten eröffnet der Präsident des Zürcher Bauernverbands seine Rede und gratuliert den Organisator:innen, weil sie es bei diesem Themenabend anders gemacht haben. Wer an den Kanton Zürich denkt, dem würden meist die Stadt Zürich mit ihrem Finanzplatz in den Sinn kommen, fährt Hodel fort. Doch der Kanton sei auch einer der grössten Agrarproduzenten der Schweiz: «40 Prozent der Fläche des Kantons sind landwirtschaftliche Nutzflächen auf denen 11’000 Personen arbeiten», sagt Hodel.
Gleichzeitig bewege sich die Landwirtschaft in Zielkonflikten, erklärt Hodel. So benötige artgerechte Tierhaltung – ein Anliegen vieler Menschen in der Schweiz – auch grössere Nutzflächen. Dies stehe mit der Raumplanung in Konflikt. «Solche Zielkonflikte sollen durch die Forschung gelöst werden und nicht durch die Politik», betont Hodel. Die Politik denke nämlich zu kurzfristig, erklärt der Präsident des ZBV.
Yvonne Lötscher, Umwelt- und Gesundheitsschutz Stadt Zürich: «Die Landwirtschaft ist wichtig für die Sensibilisierung der Bevölkerung»
Nachhaltige Ernährung bedeutet für Yvonne Lötscher weniger Foodwaste sowie mehr pflanzliche und nachhaltige Produkte, erklärt die Mitarbeiterin der Stadt Zürich: «Wir haben uns gefragt: Was isst Zürich? Dabei fanden wir heraus, dass in der Stadt bereits heute überproportional viel lokal produzierte Lebensmittel auf den Tisch kommen». Die «Stadtlandwirtschaft» spiele dabei auch eine wichtige Rolle. Zwar könne sich Zürich nicht komplett selbständig ernähren, doch die Landwirtschaft sei wichtig für die Sensibilisierung der Bevölkerung.
Sensibilisierung im Bereich Nahrung helfe nämlich dabei, Foodwaste zu verringern, erklärt Lötscher. «Die Stadtlandwirtschaft ist in diesem Punkt multifunktional. Wir haben Naturschulen, solidarische Landwirtschaft oder auch Schrebergärten», zählt Lötscher auf. «Die Stadtlandwirtschaft ist das, was wir für unsere Ziele, unsere Werte und unsere Zukunft tun», sagt Lötscher abschliessend.
Alexandra Gavilano, Greenpeace: «Anstatt sich über die Landwirt:innen aufzuregen ist es wichtiger, gegenseitiges Verständnis zwischen Konsument:innen und Produzent:innen aufzubauen»
«Milch ist das, was wir gerne in unseren Cappuccino giessen und Bestandteil für unsere Schokolade und unseren Käse», sagt Gavilano. «Aber niemand denkt an die Landwirt:innen, die sieben Tage die Woche auf dem Hof arbeiten, Kälber von Kühen trennen und ihre Milch dann für einen niedrigen Preis verkaufen müssen», fährt Gavilano fort. Für die Landwirt:innen gebe es nur wenige Möglichkeiten, von der Milchwirtschaft in einen anderen Bereich umzusteigen.
Anstatt sich über die Landwirt:innen aufzuregen, sei es wichtiger, gegenseitiges Verständnis zwischen Konsument:innen und Produzent:innen aufzubauen. «Es ist Zeit zusammenzukommen. Sowohl die Bevölkerung als auch die Landwirt:innen sollen sich trauen die Missstände zu hinterfragen». Die Politik sei bei der Lösung dieser Probleme wenig hilfreich. «Unsere Vertreter:innen sind in einem Links-Rechts-Schema» gefangen und stecken lieber den Kopf in den Sand, als etwas zu unternehmen», sagt Gavilano.
Franz Hofer: Ökonomisch gemeinnützige Gesellschaft Bern (OGG): «Es ist zielführender, mit Genuss zusammenzukommen statt mit erhobenem Zeigefinger»
Für die Ökonomisch gemeinnützige Gesellschaft Bern (OGG) stehe der Mensch seit 262 Jahren im Zentrum, sagt Hofer. Aus diesem Grund beschäftige sich der älteste Verein der Schweiz mit nachhaltiger Landwirtschaft, erklärt der Geschäftsführer der OGG, Franz Hofer. Auf jeden Menschen kämen durchschnittlich 2000 Quadratmeter Ackerland, sagt Hofer. «Der Boden ist die Lebensgrundlage für uns alle und 2000 Quadratmeter können viel oder wenig sein für einen Menschen». Dies hänge davon ab, wie ein Mensch lebt und welche Nahrungsmittel er konsumiert.
Auch für Hofer ist Sensibilisierung in Bezug auf nachhaltigen Konsum ein wichtiger Aspekt. Auf sogenannten «Erntenetzwerken» der OGG arbeiten freiwillige Helfer:innen mit und bauen gemeinsam Gemüse an. «Die Kürbissuppe schmeckt für die Menschen, die beim Anbau mithelfen, ganz anders», sagt Hofer.
Deswegen sei es zielführender, mit Genuss zusammenzukommen statt mit erhobenem Zeigefinger. Aus dem Publikum kommt die Frage: «Steht bei euch der Mensch im Zentrum oder der Planet?» Das Ziel bestehe darin, dass es dem Planeten gut geht, antwortet Hofer. «Aber der Weg dorthin führt durch zwischenmenschliches Verständnis und Zusammenarbeit».
Priska Baur, Agrarökonomin: «Für den Anteil von 50 bis 60 Prozent selbst produzierten Nahrungsmitteln bezahlt die Schweiz einen hohen Preis»
«Hinter dem Gedanken der Nachhaltigkeit können Menschen zusammenfinden, denn jede:r ist für gesundes Essen», sagt Priska Baur zu Beginn ihres Vortrages. Die Schweiz sei zwar schon vor der Globalisierung von importierten Lebensmitteln abhängig gewesen, konnte jedoch immer einen hohen Selbstversorgungsgrad aufrechterhalten, fährt die Agrarökonomin fort.
Doch für den Anteil von 50 bis 60 Prozent selbst produzierten Nahrungsmitteln bezahle die Schweiz auch einen hohen Preis: «Belastete Böden, Pestizide im Trinkwasser und klimaschädliche Futtermittelimporte». Da Nahrungsmittel in der Schweiz oft nicht aus nachhaltiger Produktion stammen, sollte die Bevölkerung auch mit dem «Konsumpatriotismus» brechen, fährt Baur fort.
Es sei wichtig, die eigenen Ernährungsgewohnheiten zu ändern und beispielsweise weniger Fleisch zu essen. Zwar sei in der Bevölkerung die Bereitschaft dafür auch da, aber die Essgewohnheiten wären schwierig zu ändern: «Die Menschen essen beispielsweise mehr Fleisch, wenn sie auswärts essen».
Manuel Klarmann, Gründer und Geschäftsführer von Eaternity: «Wir bringen durch Überdüngung zu viel Stickstoff in den Umweltkreislauf, verringern die Biodiversität und treiben den Klimawandel voran»
Die Umweltorganisation Eaternity beschäftige sich vor allem damit, Transparenz zu schaffen, erklärt Manuel Klarmann. Dies sei wichtig, um grössere Schäden an der Umwelt zu verhindern, fährt er fort. «Wir bringen durch Überdüngung zu viel Stickstoff in den Umweltkreislauf, verringern die Biodiversität und treiben den Klimawandel voran», erklärt Klarmann. Für diese drei Probleme sei die Landwirtschaft verantwortlich. Diese sei jedoch nicht nur Verursacherin, sondern auch Opfer dieser Entwicklung.
Zwar liege die Nahrungsmittelproduktion im Zentrum von dem, was wir ändern müssten, um die Probleme zu lösen, «die Landwirtschaft kann diese Aufgabe aber nicht allein bewältigen», so Klarmann. Es bräuchte dafür auch ein Umdenken seitens der Konsument:innen.
«Ich kann entweder dreimal im Jahr ein Filet essen oder jeden Tag Gemüse. Der Schaden, den ich an der Natur verursache, ist in beiden Fällen gleich gross». Um die Bevölkerung über solche Verhältnisse aufzuklären, gestaltete Eaternity ein Poster, das auf einen Blick zeigt, wie viel oder wie wenig Schaden ein:e Konsumentin beim Kauf eines bestimmten Nahrungsmittels verursacht.
Nicole Maurer, Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV): «70 Prozent der Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, erhalten keinen Lohn»
Mit der letzten Rednerin für den Abend beginnt eine Reise durch die Geschichte der Landwirtschaft. Die Rolle der Frau auf dem Bauernhof habe sich in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert, sagt Nicole Maurer vom Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverband (SBLV). So seien die Geschlechterrollen viel stärker getrennt gewesen. Dies schon nur, weil im Jahr 1970 das durchschnittliche Alter einer Frau bei 20 bis 24 Jahren lag, wenn sie ihr erstes Kind kriegte. «Da eine Frau heutzutage später Kinder bekommt, hat sie auch die Möglichkeit sich zu bilden, das war früher viel weniger der Fall», erklärt Maurer.
Während sich die Arbeit der Frau auf einem Hof damals auf Kindererziehung und den Haushalt beschränkt hätte, würden Frauen heutzutage auch in der Führung des Hofes eine Rolle spielen. «Die Frau hilft heute bei der Ausrichtung des Hofes mit und kümmert sich auch um rechtliche oder technische Fragen», erklärt Maurer.
Jedoch würden 70 Prozent der Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, keinen Lohn erhalten. Dies bringe viele Nachteile mit sich: «Kein bezahlter Mutterschaftsurlaub, keine Absicherung im Fall einer Scheidung und eine geringere AHV». Aus diesem Grund setze sich der SBLV für mehr Frauen in der Politik und in Führungsrollen ein. Dabei zeigt sich Maurer zuversichtlich: «Ich bin mir sicher, dass Bäuerinnen in Zukunft auch nach gerechten Standards arbeiten können.»
Damit endet die Pitch-Night zum Thema«Stadtlandwirtschaft». Doch der Fokusmonat hat gerade erst begonnen. Am Freitaggeht es weiter mit dem Workshop «CO2-Label für Lebensmittel in der Praxis». Das ganze Programm des aktuellen Fokusmonates findest du hier.
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