Agota Lavoyer: «Der Kulturwandel in der Medienbranche muss von oben kommen»
Das Podium des Verbands Medien mit Zukunft hat vor allem eines gezeigt: Die Medienbranche hat noch immer ein grosses Sexismusproblem. Über die Erfahrungen der Podiumsgäste und diskutierte Lösungsansätze.
«Es ermüdet mich einfach sehr», sagte die Journalistin und Autorin Natalia Widla gleich zu Beginn des Podiumsgesprächs, entsprechend betrübt war die Stimmung im Saal des Debattierhauses «Karl*a die Grosse». Die davor gestellte Frage bezog sich auf die aktuellen Ereignisse in der Medienbranche in punkto Sexismus: Vor zwei Jahren klagten 78 Tamedia-Journalistinnen die sexistische Arbeitskultur in ihrem Unternehmen an, daraufhin wurden weitere Fälle in der Schweizer, aber auch etwa in der deutschen Medienbranche bekannt. Regelmässig hört man von Mobbingfällen, Machtmissbrauch, Diskriminierung. Was macht das mit den Journalist:innen und was kann dagegen unternommen werden?
Über diese Fragen diskutierten am Montagabend, zwei Tage vor dem nationalen Frauenstreik, prominente Gäste in Zürich. Neben Widla hatte der Verband Medien mit Zukunft (VMZ) Agota Lavoyer, Expertin für sexualisierte Gewalt, die Journalistin Aleksandra Hiltmann und den Autor und Journalisten Benjamin von Wyl eingeladen, durchs Gespräch führte die Journalistin Lara Blatter von Tsüri.ch. Gleich zu Beginn des Abends wurde klar, dass der Handlungsbedarf in diesem Bereich noch immer riesig ist. «Das Problem betrifft die ganze Gesellschaft», sagte Lavoyer. Jedoch sei der Sexismus in der Medienbranche besonders verheerend.
«Das Problem sind nicht nur die auf dem Papier bestehenden Hierarchien, sondern die informellen.»
Natalia Widla über sogenannte Edelfedern
Das sieht auch Widla so, die eine Tamedia-Umfrage von 2019 zitierte, die ergab, dass 53 Prozent der weiblichen Medienschaffenden bereits Belästigung am Arbeitsplatz erleben mussten, was deutlich mehr ist als in anderen Berufsfeldern. Dies habe auch mit den krassen Hierarchien in der Branche zu tun, die sich eigentlich damit rühme, nicht so hierarchisch zu sein, so die Journalistin. «Das Problem sind nicht nur die auf dem Papier bestehenden Hierarchien, sondern die informellen – mit all den männlichen Star-Redaktoren und Top-Reportern.»
Die Unsicherheit im Journalismus sei gross, gleichzeitig gebe es einen starken Geniekult in der Szene, ergänzte von Wyl. Das habe damit zu tun, dass die Branche wenige Regulierungen kenne. Auch das würde dem Sexismus in die Karten spielen. Am Schluss gehe es auch immer um Macht, stellten die Podiumsgäste fest. «Den meisten in der Branche ist nicht bewusst, über welche Macht sie verfügen und wie einfach es ist, diese Macht zu missbrauchen», so Lavoyer. Und Macht sei omnipräsent, besonders für jene, die ihr unterlegen seien.
Und mit dieser Macht geht auch eine Angst einher. Was macht man, wenn ein Fall im eigenen Verlag publik wird? «Es gab Situationen, in denen ich mich nicht getraut habe, mich mit jemandem zu solidarisieren, nicht einmal, auf Social Media einen Like zu geben», sagte Hiltmann. Die Angst, selbst negative Konsequenzen davonzutragen, sei teilweise zu gross gewesen. Widla pflichtete bei: Eine offene Gesprächskultur über Sexismus fehle. Und wenn dann etwas ans Tageslicht komme, eskaliere es schnell.
Gegen Ende des Abends wurden verschiedene Lösungsansätze diskutiert, insbesondere jene, welche die Medienfrauen anlässlich des feministischen Streiks formuliert hatten. So müssten etwa Belästigungs- und Übergriffsfälle besser aufgearbeitet werden, wobei vordefinierte interne Prozesse helfen würden. Doch auch Zivilcourage sei notwendig, und das Solidarisieren bei Sexismusfällen und sich dann gegenseitig den Rücken zu stärken. Klar für die Gäste ist: Besonders die Männer würden in der Verantwortung stehen. Und schliesslich seien auch Veränderungen in den Teppichetagen der Verlage unerlässlich. «Der Kulturwandel in der Medienbranche muss von oben kommen», so Lavoyer.