«Das Klimathema wird in der Kultur nicht elitär, sondern zugänglich verhandelt»

Umweltfilmfestivals boomen, in der Literatur wird die Klimakatastrophe Ausgangspunkt für Geschichten und auch die Stadt Zürich fördert kulturelle Projekte zum Thema Nachhaltigkeit. Doch was bringt das? Ein Interview mit der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Christine Lötscher über die Rolle von Kunst, Kultur und Netflix im Kampf gegen die Klimakatastrophe.

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Christine Lötscher, ehemalige Kulturjournalistin und derzeitige Professorin für populäre Literatur und Medien der Universität Zürich. (Bild: Coraline Celiker)

Letzte Woche ging das Filme für die Erde Festival zu Ende. Heute Donnerstag beginnt das Films for Future Festival in Zürich. Beide Festivals wollen durch Filme Menschen für den Klima- und Umweltschutz sensibilisieren. Wie die aktuelle Ausstellung «Climate Fiction» im Strauhof zeigt, gibt es neben zahlreichen Filmen auch immer mehr Literatur diverser Genres, welche die Klimakatastrophe als Anstoss für Geschichten nimmt. «Vom Ökothriller, Jugendroman, Gedichtband bis zum Comic: Gerade in den letzten fünf Jahren gab es immer mehr Publikationen. Wir sind fast nicht nachgekommen», erläutert Käthe Wünsch, kuratorische Mitarbeiterin der Ausstellung im Strauhof.

Auch die Stadt Zürich scheint ein Potenzial in kulturellen Angeboten und ihrer Resonanz zu sehen. Im Rahmen des Pilotprojekts Arts for Future unterstützt die Stadt infolgedessen sieben Projekte, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Doch was nützen solche Initiativen? Ein Interview mit Christine Lötscher, ehemalige Kulturjournalistin und derzeitige Professorin für populäre Literatur und Medien der Universität Zürich, über die Frage, ob Kunst wirklich das Klima retten kann.

Coraline Celiker: Weshalb braucht es Kunst und Kultur?

Christine Lötscher: Es gibt viele verschiedene Antworten auf diese Frage. Die kulturwissenschaftliche Antwort ist: Weil Kunst und Kultur uns die Möglichkeit geben zu verstehen, woher wir kommen und was mit uns und in unserer Gegenwart passiert. Künste geben uns einen Raum, um ausserhalb den Zwängen des Alltags über Dinge nachzudenken.

Gerade in der jetzigen Zeit, wo vor allem durch die Sozialen Medien ständig News auf uns einprasseln, sind die Künste umso wichtiger, um einen Schritt zurückzugehen. Das müssen keine grossen Ausstellungen von Eliasson in der Fondation Beyeler sein, sondern auch Teenie-Serien auf Netflix.

Welche Rolle nehmen Kunst und Kultur in Bezug auf die Klimakatastrophe ein?

Ganz pauschal gesagt können uns Kunst und Kultur im Anthropozän, also in einer Zeit, in welcher der Mensch grossen Einfluss auf seine Umwelt hat, dabei helfen, zu verstehen, was es bedeutet, in einer Welt zu leben, in der alles mit allem zusammenhängt. 

Viele Menschen wissen zwar, dass alles, was wir tun, irgendwie einen Zusammenhang mit dem Klimawandel oder mit der Ausbeutung von Menschen im globalen Süden hat. Aber solange wir die Zusammenhänge nicht wirklich sehen, wissen wir auch nicht, was wir dagegen tun können. Die Künste können für diese Fragen zwar keine Lösung bringen, aber sie können dazu führen, dass wir Zusammenhänge und Probleme besser erkennen. Denn wenn man mal weiss, wo das Problem liegt, kann man auch eher nach Lösungen suchen.

«Ein nachhaltiger Lebensstil ist auch teuer. Es ist immer noch günstiger, im McDonald's zu essen, als im Tibits.»

Christine Lötscher, Professorin für populäre Literatur und Medien der Universität Zürich

Wie?

Es gibt Texte, gerade im Bereich der Climate Fiction, die versuchen, Menschen emotional aufzurütteln und ihnen gleichzeitig zu erklären, wie dramatisch die Zukunft wird, wenn wir jetzt nicht handeln. So zum Beispiel Kim Stanley Robinsons Roman «Das Ministerium für die Zukunft» (2020/2021), der auf verschiedenen Ebenen versucht, die Leserschaft zu sensibilisieren. Einerseits mit ganz krassen Szenarien, die infolge der Klimaerwärmung entstehen könnten, andererseits erklärt er, wie der Klimawandel überhaupt vonstatten geht und die ökologischen und ökonomischen Zusammenhänge diesbezüglich. Das alles in eine Geschichte verpackt, die zeigt, wie die Zukunft anders gestaltet werden könnte.

Es gibt auch Ausstellungen, die sich explizit diesem Thema widmen. Und es werden nun auch Gelder für kulturelle Projekte ausgeschrieben, die mit Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimakatastrophe befassen. Doch nützt das auch etwas?

Es kommt sehr darauf an, was es ist. Im Moment gibt es in Zürich ein paar Ausstellungen, zum Beispiel im Kulturama und im Strauhof, mit jeweils anderen Herangehensweisen. Gerade Ausstellungen, die man auch mit Kindern besuchen kann, können einen enormen Einfluss haben, da sie Bezug nehmen auf die realen Sorgen, die vor allem Kinder im Zusammenhang mit der drohenden Klimakatastrophe verspüren. Es ist wichtig, dass darüber gesprochen wird.

Ist «Kultur» nicht oft auch sehr ausschliessend? Wen erreichen solche Bücher, Ausstellungen oder Filme tatsächlich?

Es sind gerade in diesem Bereich viele Bemühungen im Gange, ein grosses Publikum anzusprechen. In der Kinderbuchhandlung gibt es beispielsweise eine vielseitige Auswahl an Büchern über das Klima und die Artenvielfalt. Gerade weil die Klimakrise oft der Jugend als Thema zugeschrieben wird, entstehen wirklich spannende Texte: Bilderbücher, Comics und so weiter. Deswegen wagen ich zu behaupten, dass gerade das Klimathema in der Kultur nicht unbedingt elitär, sondern eher zugänglich verhandelt wird.

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Die Ausstellung «Climate Fiction» im Strauhof zeigt, dass es immer mehr Literatur diverser Genres gibt, welche die Klimakatastrophe als Anstoss für Geschichten nimmt. (Bild: Coraline Celiker)

Ist dieser Aufschwung von Klimathemen auch durch einen gesellschaftlichen Wandel bedingt?

Man könnte behaupten, dass es auch damit zusammenhängt, dass ein nachhaltiger Lifestyle heute «cool» ist. Das Bewusstsein, dass unser Konsum ein Problem ist, ist bei vielen Menschen angekommen. Aber ein nachhaltiger Lebensstil ist auch teuer. Es ist immer noch günstiger, im McDonald's zu essen, als im Tibits. Deswegen ist vor allem der ökonomische Faktor ausschlaggebend. Doch gerade das Klima-Thema spricht mehr Personen an und ist eigentlich überall vertreten.

Zum Beispiel?

Ich mag Lyrik und die Oper persönlich sehr. Aber ich habe das Gefühl, dass die populärkulturellen Genres wie Filme und Serien nicht nur weil sie einfach zugänglich sind, sondern auch weil sie gut in unseren Alltag integrierbar sind, eine grosse Relevanz haben. Denn die grossen Streamingdienste und Blockbuster werden breit auf den Sozialen Medien rezipiert.

Der Film «Don’t Look Up», der durch die Besetzung und den Plot sehr blockbustermässig daherkommt, ist beispielsweise ein Film, der sehr ein breites Publikum anspricht. Und auch viele Videogames beschäftigen sich mit der Frage, was nach dem Ende der Welt, wie wir sie kennen, passiert.

Können solche Geschichten die Welt verändern? Oder zumindest unser Verhalten?

Künste können das Leben in gewissen Zeiten enorm bereichern und ermöglichen, pathetisch gesagt, die eigene Existenz zu reflektieren. Denn sie bieten neue sinnstiftende Erzählungen an, wie wir die Welt betrachten können. Wir können uns natürlich auch dagegen stellen, wie eine Netflix-Serie oder ein Buch uns die Welt erklären möchte. Schlussendlich führt es aber zu einer Auseinandersetzung mit uns und unserer Umwelt.

«Die Rede von der Alternativlosigkeit ist die grösste Feindin des Wandels.»

Christine Lötscher, Professorin für populäre Literatur und Medien der Universität Zürich

Wie das?

Ich beschäftige mich gerade mit feministischer Science-Fiction-Literatur aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren, die wir erst heute so langsam zu verstehen scheinen. Auch, weil sie eine andere Art von Denken beinhalten: Die Auflösung der Binarität von Natur und Kultur oder zwischen Mann und Frau.

Liest man beispielsweise «Die Parabel vom Sämann» von Octavia Butler, geschieht ein Perspektivenwechsel, bei dem man versteht, dass die Dinge eigentlich auch ganz anders sein können und dass alles soziale Konstruktion ist, egal wie biologisch fundiert irgendetwas ist.

Wie kann das gegen die Klimakatastrophe helfen?

Die Rede von der Alternativlosigkeit ist die grösste Feindin des Wandels. Die spekulative Science-Fiction-Literatur ist eine Art Training, sich gegen das Denken der Alternativlosigkeit zur Wehr zu setzen. Diese Texte nehmen die Angst vor Veränderung, da sie zeigen, dass wir zwar von einer Vergangenheit bestimmt, aber  nicht dazu verdammt sind, diese genauso weiterzuführen. Gerade wenn man das in einem Roman erfährt, wirklich auch emotional, dann kann das eine grosse Wirkung haben.

Wollen wir denn überhaupt noch Klimakunst konsumieren?

Ich glaube, das kommt sehr darauf an. Wenn das Belehrende zu präsent ist, dann verpasst das jeweilige Kunstwerk oder Medium die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen und ein Gefühl zu produzieren. Je didaktischer die Dinge werden, desto mehr Vorwissen muss schon mitgebracht werden, wie auch der Wille, sich zu vertiefen. Welche Affekte und Gefühle ein Kunstwerk weckt, ist deswegen umso wichtiger. Spannung, Thrill, Melodrama, Kitsch, aber auch sanfte Erzählungen – alle diese Elemente, die auch populäre Medien bieten, können dazu führen, dass man sich für etwas interessiert und mehr wissen will.

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