Co-Living-Provider machen aus der Wohnungsknappheit in Zürich ein Geschäft
Ein Jungunternehmer nutzt die angespannte Wohnsituation in Zürich, um einzelne Zimmer zu überhöhten Preisen anzubieten. Während er sein Unternehmen in den sozialen Medien als Innovation feiert, bleiben die betroffenen Mieter:innen machtlos zurück.
Wer in der Stadt Zürich eine Wohnung sucht, der sucht meist lange. Vor allem, wenn die neue Bleibe einigermassen günstig, zentral und schön sein soll. Bei 233'000 Wohnungen waren vergangenen Juni lediglich 169 frei. Der Markt ist so angespannt wie zuletzt 2004.
Der ideale Nährboden für neue Geschäftsmodelle, wie jene von Co-Living-Anbieter:innen. Eines davon ist das Unternehmen Next Gen Properties, das Wohnungen anmietet und sie gegen Aufpreis als einzelne Zimmer weitervermietet. Das Ziel: freie Wohnungen maximal zu belegen, «um Wohnraum zu schaffen», wie die Agentur online schreibt.
Das Unternehmen wirbt indes damit, «die wohl coolste Wohngemeinschaft der Schweiz» zu sein und inszeniert sich online als hipper Wohnanbieter, der den Zeitgeist der Generation Z trifft. Statt umständlicher Telefonate läuft die Kommunikation über Whatsapp. Zimmerbesichtigungen und Mitbewohner:innen-Treffen finden virtuell statt. Zum Angebot gehören, wenn erwünscht, auch Wäscheservice, Möblierung, Reinigung und Essenslieferungen.
Next Gen Properties will mehr bieten als nur Wohnraum – es verspricht einen neuen Lebensstil.
Firma bewegt sich im rechtlichen Graubereich
Das hat seinen Preis: Die durchschnittliche Monatsmiete eines Zimmers liegt bei fast 1100 Franken. Teils fast 30 Prozent mehr als das Unternehmen der Vermieterschaft bezahlt.
Damit bewegt sich der Anbieter in einer rechtlichen Grauzone. Denn: «Wie der Mietzins bei Untervermietung zu bestimmen ist, ist gesetzlich nicht genau geregelt», sagt Harald Bärtschi, Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Zürich.
Zwar ist es laut Bundesgericht nicht erlaubt, dass aus der Untervermietung ein «übermässiger Gewinn» erzielt werden darf. Grundsätzlich gelte allerdings: «Stimmt die Vermieterschaft der Untermiete zu, ist diese zulässig», sagt Bärtschi.
Zudem könnten Zusatzleistungen wie Möblierung oder Reinigung die Höhe des zulässigen Aufschlags zum Hauptmietzins beeinflussen. Eine Möglichkeit, die sich Co-Living-Provider zunutze machen. Denn wie Bärtschi sagt, werden erst Gewinne ab 30 Prozent vom Bundesgericht als offensichtlich missbräuchlich angesehen.
Weiter erklärt Bärtschi, dass das Gericht die Untermiete als vorübergehendes Instrument ansehen würde. «Wenn der Mieter oder die Mieterin die Absicht hat, seine gesamte Wohnung gar nie mehr selbst zu gebrauchen, ist die Untermiete womöglich nicht zulässig.» Er sieht das Vorgehen von Co-Living-Provider wie Next Gen Properties deshalb kritisch.
Schimmelnde Wände, ungerechtfertigte Mahnungen
Die Leidtragenden sind Studierende, Expats und Menschen mit dringendem Wohnungsbedarf. An sie richten sich die Co-Living-Angebote. Robin Spicher zog vor einigen Monaten arbeitsbedingt nach Zürich. Auf einer Immobilienplattform findet Spicher ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft: normale Grösse, Stadtgrenze, überdurchschnittlicher Preis, aber unbefristet.
Robin Spicher heisst eigentlich anders und genaue Details zu seinem Fall werden in diesem Text weggelassen, um seine Identität zu schützen. Er fürchtet, dass der Anbieter sein Zimmer kündigen könnte.
«Es ist purer Profit, ohne Rücksicht auf jene, die in Not sind.»
Robin Spicher, Mieter bei Next Gen Properties
Spicher berichtet von schweren Kommunikationsproblemen und vertraglichen Ungereimtheiten. «Bei der Vertragsunterzeichnung ging es ganz schnell», sagt er. «Aber auf Meldungen über Probleme in der Wohnung erhielt ich monatelang keine Antwort.» Auf zurückdatierte Rechnungen folgen ungerechtfertigte Mahnungen. «Monatelang erhielt ich keine Abrechnungen, wurde dann aber plötzlich dafür verantwortlich gemacht», sagt Spicher. Er beklagt zudem Schimmel und fehlendes Internet.
Damit ist er nicht alleine. In mehreren Online-Foren berichten offensichtliche Mieter:innen von schmutzigen Unterkünften und einer mangelnden Reaktion auf Beschwerden. Ein Nutzer behauptet, dass seine Miete um fast ein Drittel gesunken sei, nachdem er Next Gen Properties umgangen und sich direkt an den Vermieter gewandt habe.
Auch Robin Spicher wandte sich an seine Verwaltung. Dort erfährt er, dass Next Gen Properties mehr als ein Viertel mehr Mietzins verlangt. Und dennoch wird er von der Verwaltung abgewiesen, da er kein direkter Vertragspartner sei.
Tatsächlich bestehen zwei separate Verträge, wie Harald Bärtschi sagt: einer zwischen Eigentümerschaft und Hauptmieter:in, ein anderer zwischen Hauptmieter:in und Untermieter:in. Dabei müsse man nicht offenlegen, wie viel Miete man selbst an die Eigentümerschaft zahlt.
«Stimmt der Vermieter oder die Vermieterin der Untermiete zu, ist diese zulässig.»
Harald Bärtschi, Professor für Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Zürich
Die Regulierung von Mietzinsen sei eine politische Frage, gibt Bärtschi zu bedenken. «Gewisse Kreise fordern vor allem den Schutz der Untermieter:innen, das Gesetz schützt mit seinem Zustimmungserfordernis aber primär die Eigentümer:innen der Wohnung.» Grundsätzlich gilt laut Bärtschi allerdings: «Stimmt der Vermieter oder die Vermieterin der Untermiete zu, ist diese zulässig.»
Für Robin Spicher ist das unverständlich. «Es ist purer Profit, ohne Rücksicht auf jene, die in Not sind», sagt er. «Und niemand macht etwas dagegen.»
Business knackt Millionenmarke
Loris Moser, Gründer von Next Gen Properties, verteidigt online sein Geschäftsmodell als innovativ und präsentiert sich selbst als Problemlöser: «Wir schaffen Raum da, wo zuvor keiner war», schrieb er in einem Post auf LinkedIn vor rund einem Monat.
Mosers Aktivitäten erstrecken sich über diverse Branchen. Er fungiert als Co-Geschäftsführer eines Musikfestivals, einer Eventagentur und beteiligt sich an einer Marketing-Plattform für Influencer. Selbst einen Wein für die «Generation Z» hat er im Angebot. Online proklamiert er: «Da, wo ein Bedarf besteht, liefern junge Start-ups Lösungen.»
«Das Ganze ist aus Prinzip eine Sauerei. Dass Wohnraum geschaffen wird, stimmt einfach nicht.»
Walter Angst, Mieterinnen- und Mieterverband Zürich
In kürzester Zeit hat sich sein Unternehmen Next Gen Properties zu einem bedeutenden Akteur im Schweizer Co-Living-Markt entwickelt. Das Start-up, bestehend aus sieben überwiegend jungen Personen, verwaltet inzwischen über 110 Wohnungen für rund 300 Mieter:innen in sechs Schweizer Städten. Auch nach Deutschland soll bald expandiert werden.
Die Millionenmarke habe Next Gen Properties schon längst geknackt, schreibt Moser in den sozialen Medien. Der 27-Jährige stammt aus St. Moritz und gründete 2022 das Unternehmen. Wie er dem Tages-Anzeiger erzählte, entstand die Geschäftsidee während seines Wirtschaftsstudiums, als er die hohe Nachfrage nach WG-Zimmern in Zürich erkannte.
Mosers Ansatz: Wohnungen anmieten, mit Ikea-Möbeln ausstatten und mit etwa 20 Prozent Aufschlag weitervermieten. Er sehe darin eine Lösung für den angespannten Wohnungsmarkt, sagte er im Interview mit der Zeitung. Seine Mutter habe anfänglich für die Mietverträge gebürgt.
Konzept ist «ein mieses Spiel»
Laut Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich ist das Co-Living-Konzept für Vermieter:innen attraktiv geworden, da es eine Bewirtschaftung ohne physische Präsenz ermöglicht.
«Man kann einfach abkassieren, ohne dass jemand vor Ort sein muss – dank Schlüsselboxen nicht einmal für die Schlüsselübergabe», sagt Angst. Und Verwaltungen würden solche Agenturen engagieren, weil sie hohe Renditen versprechen und flexibel verfügbare Wohnungen anbieten würden.
Doch: «Das Ganze ist aus Prinzip eine Sauerei. Dass Wohnraum geschaffen wird, stimmt einfach nicht. Die Wohnung war ja vorher vermietet.»
Für Untermieter:innen hingegen seien die resultierenden Kettenverträge und Untervermietungen «ein mieses Spiel», mit kaum Möglichkeiten, sich zu wehren. Angst fordert, die Verantwortung bei den Verwaltungen zu suchen und zu hinterfragen, warum sie solche Praktiken unterstützen.
Loris Moser von Next Gen Properties hingegen wird wohl an seinem Geschäftsmodell festhalten, solange es rechtlich möglich ist. Er, die Hausverwaltung sowie der Eigentümer der Liegenschaft liessen die Medienanfragen von Tsüri.ch unbeantwortet.
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