Dieser Politiker hat Tutanchamun untersucht - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderat der Woche: Frank Rühli (FDP)

Im Gemeinderat gehört Frank Rühli eher zu den unauffälligeren Parlamentariern. Dafür ist der Mediziner, Mumienforscher und Institutsleiter als Forscher weltweit präsent und hat bereits die Mumien von Tutanchamun und des Ötzis untersucht.

Frank Rühli, FDP

Frank Rühli in seinem Arbeitszimmer an der Universität Zürich. (Foto: Steffen Kolberg)

Es war mitten im ersten Corona-Herbst 2020, als Frank Rühli in den Gemeinderat nachrückte. Seine erste Interpellation folgte schon kurz darauf. Darin fragte Rühli zusammen mit seinem Fraktionskollegen Perparim Avdili nach der Vorbereitung des Stadtrats auf Stresssituationen wie diese, nach den Prozessen und den Werkzeugen, die für solche Fälle zur Verfügung stehen. Ein Jahr später war der Mediziner Herausgeber des «Weissbuch Corona», das Erkenntnisse zum Umgang der Schweiz mit Covid-19 sammelte.

«Wir sind insgesamt sehr gut durch die Pandemie gekommen», findet Rühli. «Wir hatten ein Augenmass dafür, was wirklich durchgesetzt werden muss und wo man den Leuten Freiheitsgrade lassen muss.» Natürlich habe es auch Fehler gegeben, zum Beispiel was Besuchsverbote bei Todkranken angehe oder auch die Authentizität von Politiker:innen: «Man hat teilweise mit Dingen argumentiert, die wissenschaftlich noch gar nicht klar waren. Dadurch verliert man schnell Glaubwürdigkeit. Als Politiker muss man auch sagen, wenn man etwas nicht weiss und darf sich nicht hinter der Wissenschaft verstecken.»

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Im Gemeinderat tat sich Rühli mit Anna Graff (SP) zusammen, um mit einer Einheit für Impfungen bei der städtischen Fachstelle Pandemievorsorge die niedrigen Impfraten in der Bevölkerung anzugehen. Ihr entsprechendes Postulat wurde Ende letzten Jahres an den Stadtrat überwiesen. Doch der FDPler stellt sich nicht hinter jeden Vorstoss, der mit einer vermeintlich besseren Infektionsbekämpfung beworben wird. Ein Postulat für die Fortführung kostenloser Covid-19-Tests lehnte er beispielsweise ab.

Grundsätzlich begrüsse er Prävention und eine kostenlose Grundversorgung, sagt er. Doch es sei immer zu hinterfragen, ob es im einzelnen Fall sinnvoll sei, ob Redundanzen geschaffen würden oder ob die geforderte Massnahme nicht zulasten anderer, konkurrierender Aufgaben bei der Stadt gehe. Im Fall der Gratis-Covid-Tests habe selbst der Stadtrat eine Fortführung nicht gewünscht.

Der 52-Jährige gehört zu den unauffälligeren Ratsmitgliedern, seine Voten sind knapp und nüchtern gehalten. Um mehr über ihn zu erfahren, muss man den Professor in seinem alltäglichen Umfeld treffen, im Institut für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich, das er selbst begründet hat.

Hier, im Untergeschoss eines Hauptgebäudes am Campus Irchel, vorbei an Fluren mit eingelegten menschlichen Präparaten, befindet sich Rühlis Arbeitszimmer. Der Forscher ist nicht bloss Mediziner, Buchherausgeber und Institutsleiter, sondern auch einer der führenden Mumienforscher weltweit. Rühli untersuchte die Mumien von Tutanchamun und dem Ötzi. Er hält Gastprofessuren in Singapur und Teheran und reist regelmässig im Dienste der Wissenschaft nach Ägypten.

Der Vergleich mit Orten, die weniger der Demokratie und dem Liberalismus verpflichtet seien als die Schweiz, bestärke ihn in seinen liberalen Grundwerten, sagt Rühli. Er versuche, Politik an drei Kernelementen zu messen. Als erstes gelte es, Freiheitsgrade zu erhöhen, statt neue Zwänge einzuführen. Dann müsse immer mitgedacht werden, wie nachhaltig die vorgeschlagenen Lösungen seien. Zuletzt gehe es darum, Exzellenz zu fördern: «Es braucht eine Chancengerechtigkeit, aber wer die Chance auch nutzt, soll im Vorteil sein gegenüber denen, die sie nicht nutzen.»

Was ihm im Gemeinderat manchmal fehle, sei die grössere Perspektive auf die Stadtentwicklung als Ganzes. Gerade die Gesundheitspolitik sei oft auch Wirtschafts- und Sozialpolitik, das müsse man vernetzter anzuschauen. Manchmal entschieden für die einzelnen Fraktionen lediglich Stichworte, ob man bei einem Vorstoss dabei sei oder nicht. «Wir sind eine tolle Stadt, die viel Geld zur Verfügung hat, und wir müssen schauen, dass wir das Beste daraus machen», so Rühli. «Wir müssen das Leben von allen verbessern und nicht nur von denen, die uns politisch nahe stehen.» Ihm fehle angesichts der häufigen Block-Abstimmungen im links-rechts Schema der Wille zum Konsens: «Ich finde sogar, man könnte innerhalb der Fraktionen gelegentlich etwas flexibler sein.»

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Ich bin in meiner Familie und ihrem Umfeld früh politisch geprägt worden – da gab es Regierungs- und Nationalräte. Politik war bei uns am Familientisch immer ein Thema. Sich also freiwillig für die Gesellschaft zu engagieren, beispielsweise als Milizpolitiker, war für mich daher immer logisch und zugleich auch eine Ehre. 

Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?

Grundsätzlich mit vielen… Da ich aber die Ratskolleg:innen sowieso wöchentlich zum Teil mehrmals sehe, reserviere ich mir bewusst die verbleibende Feierabendzeit für meine Familie und Freund:innen.

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?

Exemplarisch die Ablehnung der Steuerfusssenkung. Dies, weil wir meines Erachtens oft zu verschwenderisch und sorglos mit Steuergeldern umgehen. Etwas Mässigung täte uns oft gut.

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