Gemeinderats-Briefing #69: Von Schulwegen und Velo-Autobahnen - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderats-Briefing #69: Von Schulwegen und Velo-Autobahnen

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Schulwege sollen sicherer werden, Velos sollen überall Infrastruktur haben, Rathaus soll bleiben, wo es war

«Reduzierte Debatte» heisst es, wenn in einer Gemeinderatssitzung nur ein Ratsmitglied pro Fraktion zu einem Geschäft reden darf. Reduzierte Debatten werden dann geführt, wenn Geschäfte bereits länger als ein Jahr in der Traktandenliste versauern.

Mit diesem Instrument verpflichtet sich der Rat selbst zur Effizienz. Doch wenn man sich die Redner:innenlisten am gestrigen Tag anschaute, stellte sich nicht unbedingt ein effizientes Feeling ein: Oft nutzten alle Fraktionen die Möglichkeit, zu einem Geschäft zu reden, sodass nicht annähernd alle vorgesehenen Traktanden abgearbeitet werden konnten. Kurz vor den Sportferien wird es nun also langsam eng mit dem Abbau alter Pendenzen.

Illustration: Zana Selimi

Ein Postulat machte auf besonders schmerzliche Weise deutlich, wie viel Zeit seit seiner Einreichung vergangen ist. Es war von Sandra Bienek (GLP, heute Kantonsrätin) und Balz Bürgisser (Grüne) im Januar 2023 im Nachgang des tödlichen Unfalls mit einem Schuljungen am Escher-Wyss-Platz einen Monat zuvor eingereicht worden. Verlangt wird eine sichere Gestaltung der Querung von Strassen und Plätzen auf Schulwegen unter Einbezug von Eltern und lokalen Organisationen. «Insbesondere sollen Eltern klare Ansprechpartner:innen erhalten und Rückmeldungen zum gültigen Schulwegplan geben können», heisst es darin.

Wie bereits kurz nach dem Unfall bekannt geworden war, hatten die Eltern des getöteten Jungen bereits jahrelang auf die Gefährlichkeit des Schulwegs über den Escher-Wyss-Platz hingewiesen, bei den zuständigen Behörden aber kein Gehör gefunden.

Escher-Wyss-Platz

Wo haben hier Schulkinder Platz? Der Escher-Wyss-Platz bei Nacht. (Foto: Unsplash / Patrick Federi)

Den Eltern sei oft nicht klar, an wen sie sich wenden sollen, führte Balz Bürgisser aus. Er forderte nicht nur klare Ansprechpersonen vonseiten der Stadt, sondern auch eine zeitnahe Rückmeldung, da Behörden solche Meldungen bislang oft auf die lange Bank schieben würden. Zudem sei der städtische Schulwegplan nicht nur schwer auffindbar im Internet, sondern auch noch veraltet. Auch hier bestehe Verbesserungsbedarf, mahnte Bürgisser, der sein Votum mit eindrücklichen Zahlen gespickt hatte: Von 2017 bis 2021 seien in Zürich 109 Schulwegunfälle polizeilich erfasst worden, bei denen 94 Kinder verletzt worden seien.

Alle Fraktionen unterstützten das Postulat, bis auf die SVP. Deren Fraktionsmitglied Reto Brüesch argumentierte, die zunehmende Gefährlichkeit von Schulwegen resultiere aus dem Bau neuer Schulhäuser an vielbefahrenen Strassen und somit letztlich aus dem Bevölkerungswachstum. Deshalb sei grundsätzlich die Lage neuer Schulhäuser zu diskutieren.

Brüesch schlug eine Textänderung vor, um explizit Passerellen und Unterführungen in die Prüfung vor Ort miteinzubeziehen und Temporeduktionen für den Autoverkehr wenn möglich zu vermeiden. Die Postulant:innen hatten Temporeduktionen nicht in ihrem Postulatstext, jedoch in der Begründung erwähnt sowie als Ziel eine möglichst ebenerdige Bewältigung des Schulwegs ohne Umwege formuliert. Die Textänderung wurde von der SP bis zur GLP vehement abgelehnt.

Velos sollen überall Infrastruktur haben

Es klingt immer wie ein Versöhnungsangebot, wenn David Ondraschek einen Vorschlag ins Plenum einbringt. Der Mitte-Parlamentarier argumentiert mit Vernunft, Ausgleich und Win-win-Situationen für alle Beteiligten. So war es auch gestern, als er ein Postulat von ihm und Andreas Egli (FDP) vorstellte, das auch von Stephan Iten (SVP) unterzeichnet worden war.

Die Idee: Mit der Realisierung der Velovorzugsrouten soll der nicht-motorisierte Verkehr auf diese und weg von den Hauptverkehrsachsen des motorisierten Verkehrs gelenkt werden. Die Bevölkerung stehe hinter den Velovorzugsrouten, so Ondraschek. Mit der vorgeschlagenen Entflechtung, für die keine zusätzlichen Parkplätze aufgehoben werden sollten, sorge man für das richtige Augenmass. Das soll helfen, den Unmut in Teilen der Bevölkerung zu reduzieren, der sich bei der Umsetzung (sprich: beim Parkplatzabbau) geäussert hatte.

«Eine Autobahn baut man ja auch, obwohl es schon Autostrassen gibt.»

Mathias Egloff, SP, zur Idee, den Veloverkehr weg von den Hauptverkehrsachsen zu lenken.

Doch Stadträtin Karin Rykart (Grüne) erklärte, sie halte das Vorhaben weder für sinnvoll noch zielführend, denn: «Die Velovorzugsrouten sollen für alle Velofahrer:innen so attraktiv werden, dass sie automatisch genutzt werden.» Zudem brauche es ja eine Feinverteilung zu den Vorzugsrouten hin, welche nicht gänzlich ohne Veloinfrastruktur auskomme.

Auch die anderen Fraktionen trauten dem Ansinnen nicht über den Weg und sahen in ihm den Versuch, Velos und die passende Infrastruktur von allen anderen Strassen als den Vorzugsrouten fernzuhalten. Michael Schmid (AL) sprach von einer «autozentristischen Arroganz», die hinter der Idee stehe, Velofahrende von anderen Strassen wegzubekommen. Wenn Velofahrende nicht sowieso schon auf die Vorzugsrouten gelenkt würden, dann bedeute das, dass diese ungenügend seien, fand Mathias Egloff (SP), der sein Unverständnis mit einem Vergleich ausdrückte: «Eine Autobahn baut man ja auch, obwohl es schon Autostrassen gibt. Man reisst danach ja nicht die Autostrassen ab.»

Carla Reinhard (GLP) meinte, die mit dem Vorstoss dargelegte Idee, besser auf die Velovorzugsrouten hinzuweisen, sei unterstützenswert. Das könne man genauso machen wie bei Zufahrtsschildern zur Autobahn. Doch die Sicherheit der Velofahrenden müsse auch auf anderen Strecken als den Vorzugsrouten gewährleistet sein. Ondraschek wehrte sich gegen die Vorwürfe der anderen Fraktionen, indem er beteuerte, dass gar keine flächendeckende Entflechtung von Auto- und Veloverkehr gefordert werde. Doch von der AL bis zur GLP sagte eine grosse Mehrheit Nein zum Vorstoss.

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Rathaus soll bleiben, wo es war

Zwar drehen sich die Debatten im Gemeinderat häufiger um sich selbst, doch dass der Rat sich selbst zum Thema hat, kommt nicht allzu oft vor. Gestern war es wieder einmal so weit. Samuel Balsiger und Walter Anken (beide SVP) hatten ein Postulat eingereicht, in dem sie vom Stadtrat fordern, zu prüfen, ob die Bullingerkirche auch nach 2028 weiter als Tagungsort des Gemeinderats gemietet werden kann. Schliesslich sei das Haus für knapp 10 Millionen Franken für den Ratsbetrieb umgebaut worden und sei nun bestens ausgestattet für sowohl die Ratsmitglieder als auch Besucher:innen.

Walter Anken führte auch noch ins Feld, dass man im aktuellen Ratssaal im Falle zukünftiger Pandemien besser Abstand halten könne als im alten, der aktuell saniert wird und in vier Jahren wieder bezogen werden soll. Zudem wolle er nicht, dass dem alten Ratssaal irgendwann ein Betonanbau drohe wie dem Landesmuseum.

Zum Bullingerplatz führt immerhin eine Velovorzugsroute. (Foto: Elio Donauer)

Die Idee fand kaum Befürworter:innen im Rat. Doch nicht unbedingt, weil die Ratsmitglieder gerne wieder in den alten Ratssaal zurückkehren wollen, sondern vor allem aus formellen Gründen. Man lehne das Postulat vehement ab, erklärte beispielsweise Michael Schmid (FDP). Es handle sich um eine Bittschrift der SVP an die rote Stadtpräsidentin bei einer Sache, die der Gemeinderat selbst entscheiden könne. Auch Karin Weyermann (Die Mitte) erklärte, dafür brauche es einen Beschlussantrag.

Einzig die Grünen befürworteten das Postulat. Markus Knauss sprach sich für die Bullingerkirche als Rathaus aus und wies darauf hin, dass er zusammen mit seinem Fraktionskollegen Matthias Probst eine Motion eingereicht habe, das Haus zu kaufen und so auch über den Ratsbetrieb hinaus nutzen zu können. Der Kantonsrat, der während des Umbaus ebenfalls in der Bullingerkirche tagt, wird nach bisherigem Kenntnisstand 2028 in das sanierte alte Rathaus zurückkehren.

Weitere Themen der Woche

  1. Erfolg hatten Samuel Balsiger und Roger Bartholdi (beide SVP) gestern mit ihrer Forderung, die Gemeinderatswahlen künftig frühestens im März und nicht schon im Februar durchzuführen. Das entsprechende Postulat wurde mit einer Textänderung der SP, die zudem einen Termin frühestens zwei Wochen nach den Ferien wollte, überwiesen. Einzig die FDP, die Mitte und die Hälfte der Grünen waren dagegen.

  1. Eine lange Exceltabelle lieferte der Stadtrat zusammen mit einem Bericht zur künftigen Arbeitsplatzentwicklung, der mittels Weisung dem Gemeinderat vorgelegt wurde. Dieser geht auf ein Postulat von Thomas Schwendener und Stephan Iten (beide SVP) zurück, die im Rahmen der Richtplan-Debatte forderten, der Stadtrat solle nicht nur Szenarien zur Bevölkerungs-, sondern auch zur Arbeitsplatzentwicklung bis 2040 vorlegen. Catherine Nabholz (GLP) zeigte sich nicht sehr zufrieden mit dem Ergebnis und kündigte ein neues Postulat von GLP, SVP und SP an, das beispielsweise auch das im Richtplan verankerte Ziel der polyzentrischen Stadt mit einbezieht.

  1. Breite Zustimmung bekam ein Postulat von Selina Frey und Patrick Hässig (beide GLP), das forderte, Gemeinderatsvorstösse, die den Zielen der Strategien Zürich 2035 sowie Smart City zugeordnet werden können, den Studierenden an Partnerhochschulen zur Verfügung zu stellen. Das Ziel sei es, Politik noch mehr zu vernetzen und Studierenden die Möglichkeit zu geben, praxisorientiertes Lösungswissen an lokalen Themen auszuprobieren, so Frey. Moritz Bögli (AL) sah darin eine Auslagerung von Arbeit an finanziell marginalisierte Studierende, Stefan Urech (SVP) fand, eine Lösung für effiziente Ratsarbeit läge eher in einem schlanken Staat. Während AL und SVP den Vorstoss ablehnten, enthielten sich die Grünen.

  1. Von «unhaltbaren Zuständen» und einer «Hilflosigkeit der linken Politik» sprach Stephan Iten, als er eine Fraktionserklärung seiner SVP vorlas. Darin nahm die Fraktion Bezug auf eine Auseinandersetzung zwischen Fussballfans am vergangenen Wochenende (wir berichteten), kritisierte eine zögerliche Haltung von Stadträtin Rykart (Grüne) und bewarb ihre Anti-Chaoten-Initiative, die im März zur Abstimmung steht. Moritz Bögli (AL) verwies darauf, dass die Initiative im betreffenden Fall gar nicht gegriffen hätte, da sie sich nur auf Kundgebungen und Demonstrationen beziehe. Der Rechtsstaat habe im Zusammenhang mit den Vorfällen vom Samstag bereits alle nötigen Mittel zur Verfügung. Genauso wie Monika Bätschmann (Grüne) betonte Bögli zudem die Demokratiefeindlichkeit der SVP-Initiative.

  1. Dominik Waser (Grüne) ging in einer Persönlichen Erklärung auf den in der letzten Woche veröffentlichten Geschäftsbericht des Schauspielhauses ein (wir berichteten). Es sei nur die halbe Wahrheit kommuniziert worden, die seither von der politischen Rechten gezielt für Angriffe gegen die Kultur verwendet werde. Während in den meisten Häusern Covid-bedingte Rückstellungen inzwischen ausgebucht worden seien, sei das im Schauspielhaus nicht der Fall gewesen. Ohne die Rückstellungen sei das Defizit um eine knappe Million Franken niedriger und läge bei ungefähr 400'000 Franken, was auch budgetiert worden sei. Waser erklärte, diesbezüglich eine Schriftliche Anfrage eingereicht zu haben. Diese Anfrage begrüsste Michael Schmid (FDP), da der Prozess auch bei seiner Fraktion Fragen aufgeworfen habe. Die Unterstellungen gegenüber der bürgerlichen Seite weise er aber zurück. Es gelte, sich dem Publikumsschwund beim Schauspielhaus entgegenzustellen.

  1. David Garcia Nuñez, Moritz Bögli (beide AL) und Hannah Locher (SP) reichten gestern ein Postulat ein, das die Schaffung von Praktikumsplätzen innerhalb der städtischen Gesundheitsinstitutionen für Menschen mit Status F, S und B und mit Berufserfahrung im Gesundheitsbereich fordert. Damit könne diesen Menschen der Einstieg in die medizinischen Institutionen erleichtert werden, heisst es darin.

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