Bewohner:innen der Sugus-Häuser dürfen vorerst bleiben

Die Schlichtungsbehörde hat am Montagmorgen entschieden: Die Kündigungen an der Neugasse sind ungültig. Die Mietparteien der Sugus-Häuser dürfen vorerst bleiben. Nach Monaten der Unsicherheit erhalten sie erstmals rechtlichen Rückhalt.

Sugus Häuser
Leopold Bachmann, Vater von Regina Bachmann, Bauingenieur und Unternehmer, verfolgte für den Bau der Häuser an der Neugasse ein Ziel: viele Wohnungen für wenig Geld. (Bild: Sofie David)

Der erste Entscheidungsvorschlag im Fall der Sugus-Häuser liegt vor: Die Schlichtungsbehörde erachtet die Kündigungen von 105 Wohnungen als missbräuchlich. Das gab der Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband am Montag bekannt, nachdem die Behörde die ersten Anfechtungen behandelt hatte. Die betroffenen Mietparteien in den Sugus-Häusern an der Neugasse 81, 83 und 85 dürfen vorerst bleiben. 

Ausschlaggebend war das widersprüchliche Vorgehen der Eigentümerschaft, wie Anwältin Anita Thanei sagt. Die ehemalige SP-Nationalrätin gilt als ausgewiesene Mietrechtsspezialistin und gehört zum Team von drei Juristinnen, das die Mietparteien vertritt. Die Situation sei komplexer als in «normalen» Fällen, sagt Thanai, da mehrere Kündigungen ausgesprochen worden seien.

Seit den Kündigungen im Dezember haben laut der NZZ 95 Mietparteien insgesamt 184 Kündigungsschutzbegehren eingereicht. Zwölf davon seien inzwischen zurückgezogen worden. Am Montag wurden die ersten zwanzig Fälle behandelt, weitere Schlichtungstermine folgen Ende Juni und Mitte Juli.

Parteien konnten sich nicht einigen

Die beiden Parteien konnten sich am Montag jedoch nicht einigen. Die Schlichtungsbehörde wird deshalb in den kommenden zwei Wochen schriftliche Entscheidvorschläge formulieren. Regina Bachmann hat anschliessend 20 Tage Zeit, um diese anzunehmen oder abzulehnen. Stimmt sie zu, gilt der Entscheidungsvorschlag wie ein rechtskräftiges Urteil. Lehnt sie ab, kann sie innert 30 Tagen Klage beim Mietgericht einreichen. Danach wäre der Gang ans Obergericht möglich und in letzter Instanz ans Bundesgericht.

Anita Thanei hält es für möglich, dass Bachmann den Vorschlag akzeptiert. «Es wäre schön und endlich einmal eine missbräuchliche Sanierungskündigung.»

Die Eigentümerin Regina Bachmann blieb der Schlichtungsverhandlung fern, ebenso ihr Partner und Mitverwalter Sandro Amrein, Senior Banker bei der MBaer Merchant Bank. Anwesend war Bachmanns Anwalt Pius Huber, der 2005 von der SVP für eine Ersatzrichterstelle am Bundesgericht nominiert worden war. Er zog seine Kandidatur aber später zurück. Auf Anfragen reagierte Huber nicht.

Widerspruch in Serie

Der Konflikt um die Sugus-Häuser begann vor einem Jahr. Damals, im Juni 2024, übernahm die All Good Property AG die Verwaltung der drei Liegenschaften an der Neugasse. Kurz darauf informierte sie die Mietenden, man wolle sie im Haus behalten. Am 6. September kündigte die Verwaltung eine Mietzinserhöhung um zehn Prozent ab Januar 2025 an. Die Mieterschaft wehrte sich.

Ende 28. November folgte die Kehrtwende: Sämtliche Parteien erhielten die Kündigung per Ende März. Die Liegenschaften seien in die Jahre gekommen und müssten totalsaniert werden, hiess es im Kündigungsschreiben. Noch im Dezember wurde Goran Zeindler, damaliger Verwalter der All Good Property AG, wegen mutmasslicher Wirtschaftsdelikte verhaftet.

Die Eigentümerin Regina Bachmann übernahm daraufhin selbst die Verwaltung, mit ihrer kürzlich gegründete Firma intuiva AG. Kurz darauf, im Februar dieses Jahres, verschickte Bachmann ein zweites Kündigungsschreiben. Neu sollten die Mieter:innen bis Ende September 2025 ausziehen. Darin hiess es, das Sanierungsprojekt brauche mehr Vorlaufzeit.

Zum Zeitpunkt der Kündigungen dürfte hingegen kein ausgereiftes Bauprojekt vorgelegen haben – davon geht die Schlichtungsbehörde nun aus, wie Anwältin Anita Thanei erklärt. Vieles deute darauf hin, dass die Sanierung erst als Reaktion auf die verweigerte Mietzinserhöhung ins Spiel gebracht worden sei. 

Eigentümerschaft ist laut Bewohner:innen abwesend

Für viele der Bewohner:innen ist die Einschätzung der Schlichtungsbehörde wegweisend. Entgegen anderslautender Berichte sind die Häuser noch bewohnt. Laut einem langjährigen Mieter sind von den 105 Parteien rund 15 ausgezogen. In seinem Block stünden zwei Wohnungen leer, drei weitere seien kürzlich aufgegeben worden, eine befinde sich im Umzug. Der Rest sei geblieben – meist aus Mangel an Alternativen.

«Niemand zieht freiwillig aus, um dann das Doppelte für ein Kellerloch zu zahlen», sagt ein Bewohner. Wer eine neue Wohnung suche, treffe auf explodierende Mieten. Besonders schwierig sei die Lage für Menschen mit besonderen Wohnbedürfnissen. «Wer eine barrierefreie Wohnung braucht, hat kaum eine Chance.»

Seit der Verwaltungsübernahme berichten mehrere Mieter:innen von mangelnder Kommunikation. Persönliche Gespräche lehne Frau Bachmann ab, E-Mails blieben unbeantwortet, Reparaturen würden verschleppt. Der Lift funktioniere nur sporadisch, Türen klemmten. Ein Bewohner sagt: «Die Angst ist gross, dass hier alles langsam verlottert.»

Wohnen im Schwebezustand

Für viele würde ein Wegzug mehr bedeuten als einen Wohnungswechsel – es wäre ein Bruch mit Jahrzehnten gelebter Nachbarschaft. «Nach 30 Jahren im Quartier, mit Kindern, Freund:innen und gewachsenen Strukturen wegzuziehen, wäre eine völlige Entwurzelung», sagt ein Mieter.

Auch Maja Ammann, 71 Jahre alt, lebt seit fast 20 Jahren im Sugus-Quartier. Sie nahm am Montag an der Verhandlung teil. Ausziehen sei für sie keine Option. «Ich habe hier mein soziales Netz. Ich bin ein Stadtkind, ich möchte nicht irgendwo abgeschoben werden», sagt sie. Der Entscheid der Schlichtungsbehörde sei ein schöner Teilerfolg.

Doch die Unsicherheit bleibe. Ammann sagt: «Ich schaue jetzt nach vorne und hoffe das Beste.» Nun zumindest mit rechtlicher Rückendeckung.

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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.

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Kommentare

Immobilienentwickler
24. Juni 2025 um 07:12

ehrlich zugeben...

...Frau Bachmann hat der Immobilienbranche keinen guten Dienst erwiesen. Leerkündigung nur mit bewilligten Bauprojekt (oder eingegebenen). Selber Schuld. Für die Bewohner ist eine Leerkündigung genug hart, aber das hin und her ist noch viel schlimmer (diese Unsicherheit). Immerhin funktioniert unser Rechtssystem (auch Schutz des Eigentums).