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Gemeinderats-Briefing #67: Volle Kraft zurück

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: AL stoppt neue Kostenmiete-Vergaberegeln, Waser versus Baumer beim Solarausbau, erster Schritt zu Wärmespeichern

Die gestrige Gemeinderatssitzung begann mit einem Paukenschlag. David Garcia Nuñez verlas eine Fraktionserklärung der AL, in der diese ankündigte, der 49b-Vorlage nicht zuzustimmen.

Diese Vorlage, die der Umsetzung des Paragrafen 49b des kantonalen Planungs- und Baugesetzes dient, war in der Gemeinderatssitzung eine Woche zuvor heftig diskutiert worden. Die drei links-grünen Parteien hatten das SP-Vorhaben unterstützt, für Wohnungen zur Kostenmiete, welche die Stadt nach diesem Paragrafen bei Auf- und Umzonungen auch von privaten Eigentümer:innen verlangen kann, die vorgesehene Einkommenslimite zu streichen (wir berichteten).

Für Mitglieder der GLP und der EVP, aber auch für Kommentator:innen in den Medien war dieser Schritt aus diesem politischen Lager unverständlich. Von einer Öffnung preisgünstiger Wohnungen für Reiche war die Rede, ein Referendum bürgerlicher Parteien gegen die Vorlage stand im Raum.

Illustration: Zana Selimi

Doch bevor die Vorlage inklusive der beschlossenen Änderungen in die Schlussabstimmung gehen kann – eigentlich reine Formsache, die inhaltliche Diskussion wurde ja schon geführt – schert die AL nun aus. Nicht nur wollen die acht Fraktionsmitglieder ihre Zustimmung verweigern, womit die knappe Mehrheit dahin ist. Aus der Fraktion soll auch ein Rückweisungsantrag gestellt werden, der die gesamte Vorlage noch einmal in die entsprechende Gemeinderatskommission zurückschickt.

In der Erklärung wird Bezug auf die emotionale Debatte in der letzten Woche genommen. «Was wir letzten Mittwoch erlebten, stellt einen Bruch mit der bisherigen, fruchtbaren Dynamik dar», heisst es mit Bezug auf wohnpolitische Errungenschaften der letzten Jahre. Der Gemeinderat sei von seinem Erfolgspfad abgewichen, die Debatte polarisierend und teilweise unverständlich gewesen. Dabei attestiert die AL sowohl der bürgerlichen als auch der linken Seite eine polemische Rhetorik.

«Wir sind nicht im Rat um recht zu haben, sondern um Lösungen zu finden.»

David Garcia Nuñez, AL, zum nachträglichen Nein seiner Fraktion zur 49b-Verordnung.

Gegenüber Tsüri.ch konkretisierte Garcia Nuñez die Beweggründe für das Abrücken seiner Fraktion von der Vorlage. Zum einen sei die Diskussion völlig entgleist und beim Fokus auf die Einkommenslimite die wichtigen Fragen der Wohnpolitik aus dem Blick geraten. Diese sieht der Co-Fraktionspräsident zum Beispiel in der Abnahme des Anteils subventionierter Wohnungen in Zürich, der Garantie eines griffigen Mieter:innenrechts oder auch in Aspekten der gläsernen Bürger:innen, wenn Private die Einkommensdaten ihrer Mieter:innen erheben müssten.

Zum anderen hätten die grossen Fortschritte im Wohnbereich in den letzten Jahren wie beispielsweise der Wohnraumfonds immer auf einem breiten Konsens basiert, der über die links-grünen Parteien hinaus noch zur GLP und der Mitte gereicht habe. «Die Wohnpolitik geht den Leuten sehr nah, weil es sehr brennt», so Garcia Nuñez: «Da bringen hoch polarisierte Abstimmungen nichts. Und wenn ein Referendum ergriffen wird, dann verzögert sich alles noch mehr.» Man sei nicht im Rat, um recht zu haben, sondern um Lösungen zu finden.

Die Rückweisung in die Kommission soll nach Vorstellung der AL in einen runden Tisch münden, an dem alle Interessengruppen vom Hauseigentümer:innen- bis zum Mieter:innenverband Platz nehmen sollen. «Es geht nicht darum, eine inhaltliche Kehrtwende zu machen», so David Garcia Nuñez: «Wir müssen formal einen Schritt zurück machen und das Ganze aus einem breiteren Blickwinkel betrachten.»

Auf der linken Ratsseite begann der runde Tisch bereits direkt im Anschluss an die Fraktionserklärung: Um die Sitze der AL herum bildeten sich kleine Trauben von SP- und Grünen-Parlamentarier:innen mit ausgeprägtem Diskussionsbedarf.

Waser versus Baumer beim Solarausbau

Der Solarausbau in der Stadt Zürich ist ein ewiger Zankapfel zwischen Stadt- und Gemeinderat mit regelmässig wiederkehrenden Schlagabtauschen. In den Hauptrollen: Gemeinderat Dominik Waser (Grüne), der einen rascheren und ambitionierten Ausbau zur Erreichung der Klimaziele fordert, und Stadtrat Michael Baumer (FDP), der wiederholt erklärt, Zürich sei auf Kurs.

Gestern wiederholte sich das Schauspiel ein weiteres Mal. Der Stadtrat legte einen ausführlichen Bericht vor, in dem er die bereits getroffenen und noch zu treffenden Massnahmen für einen raschen Solarausbau darlegt. Er tat dies als Antwort auf eine Motion von Grünen, SP, GLP und EVP aus dem Jahr 2019, in welcher diese forderten, alle planungsrechtlichen Schritte einzuleiten, um im Jahr 2030 zehn Prozent des städtischen Strombedarfs mit Solarstrom abzudecken. Das wären laut den Dokumenten rund 300 Gigawattstunden (GWh).

Mit der Aktualisierung der städtischen Photovoltaik-Strategie 2021 hatte Stadtrat Baumer die Motion eigentlich als erledigt abschreiben wollen, doch das darin enthaltene Ziel von 120 GWh bis 2030 reichte der Parlamentsmehrheit nicht, die Abschreibung wurde abgelehnt.

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Zürichs PV-Potenzial wird zu wenig genutzt, findet Dominik Waser (Grüne). (Foto: Tsüri.ch)

Auch der aktuelle Bericht des Stadtrats sieht einen Ausbau auf 300 GWh in der gegebenen Zeit als nicht realistisch an. Laut einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Studie sind sie zwar «statistisch und theoretisch grundsätzlich möglich, in der praktischen Umsetzung jedoch äusserst anspruchsvoll». Unter anderem müsste dafür die Anzahl der Dachsanierungen im Jahr verdoppelt sowie über die Hälfte der Eigentümer:innen von Gebäuden mit PV-Potenzial von einer Installation überzeugt werden, und dies ohne eine PV-Pflicht für bestehende Gebäude.

Dominik Waser genügte diese Argumentation erwartungsgemäss nicht. Man sei vom Verlauf der Beratung dieser Motion enttäuscht, genauso wie von Departementsvorsteher Michael Baumer. Seiner Ansicht nach hätte man mehr herausholen müssen bei den Ausbauzielen und den Massnahmen auf diesem Weg: «Der Parlamentswille wurde ignoriert – und das bei einem so wichtigen Thema.» Solarmodule würden immer billiger, gegen den Fachkräftemangel seien bereits Massnahmen eingeleitet worden und auch der Kanton habe inzwischen den Mantelerlass zur Umsetzung des Klimaschutzgesetzes vorgelegt. All das finde im Bericht des Stadtrats seiner Auffassung nach keine Beachtung.

Der angesprochene Stadtrat Baumer reagierte genervt auf Wasers Vorwürfe: «Unseren Mitarbeitern zu sagen, sie seien nicht ambitioniert, finde ich eine Frechheit.» In der Kommission seien mehr als 100 Fragen gestellt und beantwortet worden. Die Stadt habe keinen Einfluss bei privaten Hauseigentümer:innen und müsse für weitere Anpassungen erst Entscheidungen auf Kantonsebene abwarten. «Wenn Sie jetzt den Bericht ablehnen, dann lehnen Sie eben die Realität ab», so Baumer abschliessend.

Das schreckte eine Mehrheit aus Grünen, GLP und SP nicht ab, für eine ablehnende Kenntnisnahme des Berichts zu stimmen, was jedoch praktisch ohne Konsequenzen bleibt. Waser kündigte bereits eine Reihe von Vorstössen in den kommenden Monaten an, um dem in der ursprünglichen Motion formulierten Ausbauziel doch noch näherzukommen.

Erster Schritt zu Wärmespeichern

Während es beim Ausbau der Solarstromkapazitäten nicht so schnell geht wie von manchen gewünscht, scheint der Ausbau der Wärmenetze aktuell mehr oder weniger auf Kurs zu sein. Doch auch hier stellt sich ein Problem: Auch wenn die Wärme zum grössten Teil aus der Kehricht- und Holzverbrennung kommt und diese als klimaneutral gelten, die Spitzenlast wird bis auf Weiteres durch die Verbrennung von Öl und Gas gedeckt.

Um auch diesen Verbrauch dekarbonisiert zu bekommen, wie es die Netto-Null-Strategie für 2040 vorsieht, braucht es eine langfristige Strategie. Und diese forderten die beiden Grünen Jürg Rauser und Matthias Probst zusammen mit mehreren Mitunterzeichner:innen aus SP, FDP und GLP in einer Motion. «Wir sind ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass der Stadtrat schon viel weiter ist mit seiner Analyse der thermischen Netze», sagte Probst. Doch die städtischen Mitarbeitenden hätten bereits ausgerechnet, was es brauche, um Wärme in Form von Wasser vom Sommer in den Winter zu überführen: Ein «Klötzli» mit der Dimension von 180 mal 180 mal 180 Metern mit einer Speicherkapazität von 8 Milliarden Litern.

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Man könne darüber nachdenken, alte Bunker zu nutzen, aber auch einen solchen Klotz im Zürichsee versenken oder die sechs Kellergeschosse des Uetlihofs fluten, so Probsts nicht ganz ernstgemeinte Ideen. Da der Platzbedarf enorm sei, müsse man jetzt anfangen, sich Gedanken zu möglichen Standorten und dem örtlichen Bedarf an verschiedenen Punkten des Netzes zu machen.

Stadtrat Michael Baumer begrüsste die Stossrichtung des Vorstosses und wollte es als Postulat annehmen. Er fand jedoch, dass es besser sei, den Prozess mit konkreten Planungs- und Bauprojekten zu starten, statt bereits im Vorhinein riesige Speicher in Pläne zu schreiben, die dann andere Nutzungen blockierten. Johann Widmer (SVP) wiederum meinte, die Motion komme zum falschen Moment, da noch nicht einmal klar sei, wie die Wärmenetze am Ende aussähen und betrieben würden.

Andreas Kirstein erklärte für seine AL, man gehe in die Enthaltung, da man für die Planung erst eine Festlegung der eingesetzten Technologie brauche. Die Motionäre hatten diese im Dokument nicht festgelegt, wobei Matthias Probst erklärte, laut Expert:innen sei die Wasserspeicherung die einzig machbare Möglichkeit. Alle anderen Fraktionen ausser AL und SVP unterstützten die Motion und stellten sich auch gegen eine Umwandlung in ein Postulat, wie es der Stadtrat gewünscht hatte.

Weitere Themen der Woche

  1. Das Nachtnetz soll ausgebaut werden: Bis auf die SVP haben alle Fraktionen ein Postulat von Severin Meier und Anna Graff (beide SP) angenommen, das ein bedürfnisorientiertes Nachtnetz auch unter der Woche fordert. Verschiedene Konzepte sollen aufzeigen, wie der ÖV unterschiedlichen Nutzungsbedürfnissen in der Nacht gerecht werden könne. Stadtrat Michael Baumer sah den Vorstoss als «halberfüllt» an, da bereits Studien zum Thema aufgegleist worden seien. Er verwies aber auch auf Problematiken wie die Wirtschaftlichkeit und den Fachkräftemangel, gerade in Bezug auf unbeliebtere Nachtschichten.
  2. Netto-Null fürs EWZ: Mittels Motion wollten Dominik Waser und Sibylle Kauer (beide Grüne) erreichen, dass das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) sich als Teil der Verwaltung zum Netto-Null-Ziel 2035 bekennt und der Stadtrat eine entsprechende Verordnung zur Erreichung dieses Ziels vorlegt. Stadtrat Baumer identifizierte als einzigen Bereich, der nicht unter das 2035-Ziel fällt, das Energie-Contracting des EWZ für Dienstleistungen im Bereich von Energieanlagen. Hier gelte Netto-Null 2040. Da das EWZ in diesem Bereich im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehe, beschädige 2035 als Ziel die Wirtschaftlichkeit, eine Subventionierung wiederum sei nicht mit Vorgaben des Bundes vereinbar. Als Postulat und mit der Forderung nach einer Weisung statt einer Verordnung überwiesen das Anliegen dann aber alle Fraktionen ausser FDP und SVP.
     

  3. Parkplatzstreit in Schwamendingen: Frank Rühli (FDP), Michele Romagnolo (SVP) und weitere Mitunterzeichnende von der EVP- und Mitte-Fraktion forderten in einem Postulat, in Schwamendingen Kurzzeitparkplätze einzuführen, um die Parkplatzsituation für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu verbessern. Alle anderen Fraktionen lehnten den Vorstoss allerdings ab, da er ihnen unter anderem zu sehr auf Autos oder das Quartier Schwamendingen fokussiert war.

  4. Kulturbunker statt Kommandozentrale: Severin Meier (SP) und Sven Sobernheim (GLP) forderten in einem Postulat, zu prüfen, ob der Bunker K85 auf halber Strecke zwischen Bahnhof Stadelhofen und Hauptbahnhof als «Kulturbunker» umgenutzt werden könne. Denkbar seien Übungs- oder Veranstaltungsräume. Bis 2009 war dort eine Kommandozentrale der Schweizer Armee untergebracht. Das Postulat wurde ohne Gegenstimme überwiesen.

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