Sophie Blaser: «Politik ist nie fertig» - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderätin der Woche: Sophie Blaser (AL)

In ihren ersten sechs Monaten im Rat hat sich Sophie Blaser unter anderem mit sexuellen Übergriffen auf Pflegepersonal und mit den Löhnen städtischer Lernender beschäftigt. In ihrer weiteren Amtszeit wolle sie vor allem die Umsetzung der Tagesschule kritisch begleiten, sagt die Lehrerin und Gewerkschafterin.

Sophie Blaser, AL

(Foto: Steffen Kolberg)

Nach dem Rücktritt der älteren Semester wird die AL-Fraktion zunehmend jünger und weiblicher. Für Walter Angst, der die Fraktion sowie die Wohnbaupolitik der Stadt jahrelang geprägt hat, rückte im letzten Sommer Sophie Blaser nach. Die Lehrerin zeigt sich bei Bildungsdebatten hartnäckig, zitiert Studien und wirft ihren Gegner:innen auch mal mangelnde Sachkenntnis vor. «Es hat mich überrascht, wie wenig Wissen in Bezug auf Bildung vorhanden ist», sagt sie über ihre Erfahrung in den ersten sechs Monaten Ratsarbeit. Manche Ratsmitglieder seien geradezu faktenresistent: «Es werden einfach Sachen aus dem Bauch heraus behauptet, die gar nicht stimmen.» Weniger überrascht sei sie dagegen über das Mansplaining mancher Gemeinderäte gegenüber ihren weiblichen Pendants, so Blaser.

Die 32-Jährige ist Mitglied der Schul- und Sportkommission, ihre bisherigen Vorstösse bewegen sich allerdings in anderen Themengebieten. Zusammen mit ihrer Fraktionskollegin Tanja Maag hat sie eine Schriftliche Anfrage zu sexueller Belästigung und Übergriffen gegenüber Pflegepersonal eingereicht, deren Beantwortung nun vorliegt. Ihre Mutter arbeite in der Pflege, so Blaser, und die Schilderungen aus ihrem Alltag finde sie erschreckend. Die Frage, wie man mit sexuellen Übergriffen vonseiten teilweise dementer Patient:innen umgehen soll, sei nicht einfach zu beantworten. Vorrangig müsse man sich um den Schutz der Pflegenden kümmern: «Es sind vor allem Frauen, die diesen Beruf ausüben, und wir sind auf diese Menschen und ihre Arbeit angewiesen», erläutert sie: «Wir sollten versuchen, sie besser und ernsthafter zu schützen.»

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In der Budgetdebatte Ende letzten Jahres war ihre Fraktion damit gescheitert, die Löhne für städtische Lernende im Rahmen eines Teuerungsausgleichs zu erhöhen. Nun soll es eine Motion richten, die Blaser zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Moritz Bögli eingereicht hat. Sie fordert einen jährlichen Teuerungsausgleich analog zu den Löhnen anderer städtischer Angestellter. «Der Stadtrat spricht für die eigenen Löhne einen Teuerungsausgleich, aber für die Lernenden nicht», empört sie sich.

Im Schulbereich gehe es ihr vor allem darum, die Umsetzung der flächendeckenden Tagesschule kritisch zu begleiten. Man könne im Gemeinderat auf vielen Ebenen an einzelnen kleinen Schrauben drehen, um Verbesserungen zu erreichen. «Manche Dinge sind bisher einfach vergessen worden», sagt sie: «Zum Beispiel, dass es auf Ebene der Turnhallen auch WCs braucht.» Als Präsidentin der Sektion Lehrberufe der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (VPOD) sei sie auch bisher schon mit dem Schulamt und dem Departement von Filippo Leutenegger (FDP) im Austausch gewesen und habe einen Einblick in den Umsetzungsprozess.

Der Gemeinderat sei nicht der Ort für ganz grosse Veränderungen, findet Blaser: «Aber man hat auf technischer Ebene viele Möglichkeiten für Verbesserungen.» Zudem sei es wichtig, sich gegen die Tendenz zu stemmen, systemrelevante Bereiche wie Bildung und Infrastruktur ins Private auszulagern.

Politik sei für sie eine konstante Auseinandersetzung in der Gesellschaft, und da sich die Gesellschaft wiederum konstant verändere, sei Politik auch nie fertig. «Ich kann gar kein konstantes Ziel haben, allein schon weil ich nicht weiss, welche Auslagerungsfantasien es auf der bürgerlichen Seite noch gibt», lacht sie.

Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?
Als Angestellte im öffentlichen Dienst bin ich von politischen Entscheidungen abhängig, gerade auch wenn es um die Einführung der Tagesschule geht. Die ausserparlamentarischen Möglichkeiten, hier Einfluss zu nehmen, zum Beispiel über gewerkschaftliche Organisation, sind begrenzt. Da ist es einfacher, die politische Arbeit selbst zu machen. Zudem war ich eine derjenigen, die betonten, dass es in der AL-Fraktion zu wenig junge Frauen gebe. Ich habe realisiert, dass es wenig bringt, das zu sagen, und gleichzeitig selbst nichts daran zu ändern.

Mit welche:r Ratskolleg:in der Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?
Ich habe noch genug offene Anfragen von Freund:innen, denen ich es nicht schaffe nachzukommen. Meine Zeit ist begrenzt. Ich bin bereit, mich mit allen Ratsmitgliedern inhaltlich auszutauschen, ausser solchen, die sich im Rat misogyn oder ausländerfeindlich äussern. Ich glaube allerdings nicht, dass die Leute AL wählen, damit die Gewählten dann mit anderen Leuten ein Bier trinken gehen.

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?
In der letzten Budgetdebatte war das unter anderem der Teuerungsausgleich beim Lohn von Lernenden, für den wir keine Mehrheit gefunden haben. Aber fast noch mehr ärgert mich, dass wir es nicht geschafft haben, die Stelle beim Stadtspital, welche die Auslagerung plant, aus dem Budget zu streichen. Ich habe
allerdings noch Hoffnung, dass die Ratsmehrheit bei der Vorlage des stadträtlichen Berichts die Auslagerung ablehnen wird.

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