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Von Steffen Kolberg

Redaktor

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21. Dezember 2023 um 17:30

Gemeinderats-Briefing #65: Keine Geschenke zu Weihnachten 😢

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Nein zur Steuersenkung, Ja zu abgetrennten Velowegen, Nein zu grosszügiger Jazz-Förderung.

Während in den vorherigen Budgetsitzungen noch grosse Summen hin- und herbewegt wurden, blieben die Geschenke in der letzten Gemeinderatssitzung vor Weihnachten weitgehend aus. Weder bekommt die Stadtzürcher Bevölkerung für das nächste Jahr eine Steuersenkung, noch das Zurich Jazz Orchestra beinahe doppelt so viel Geld wie bisher. Doch zum Jazz kommen wir später – bleiben wir zunächst beim Budget.

Illustration: Zana Selimi

Eine rote Null konnte Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne) nach der letztwöchigen Detailberatung des Budgets für das nächste Jahr präsentieren. Mittels Budgetanträgen hatten die Parlamentarier:innen das budgetierte Minus von 216 Millionen auf 16 Millionen Franken verkleinert. Vor allem dadurch, dass sie 200 der voraussichtlich 250 Millionen Franken Rückzahlungen des Kantons ins Budget schrieben, die dort bisher nicht verzeichnet gewesen waren. Leupi griff weitere Verbesserungen in der Abschlussrechnung 2024 gleich vorweg: «Ich erwarte eine schwarze Null», sagte er: «Allerdings wird es vor dieser Null ein paar Zahlen haben.»

Der positive Ausblick veranlasste SVP und FDP in der Schlussrunde zum Budget, noch einmal energisch auf ihre Steuersenkungspläne hinzuweisen. Die FDP hatte eine Senkung von 119 auf 116 Prozentpunkte, die SVP auf 112 Punkte vorgeschlagen. Sven Sobernheim (GLP) und Christian Traber (Die Mitte) fanden, die moderate Variante der FDP könne man angesichts der guten Haushaltslage durchaus unterstützen. Samuel Balsiger forderte einzelne Mitglieder der linken Ratshälfte auf, während der Abstimmung doch auf die Toilette zu gehen und damit den Weg für Steuersenkungen freizumachen. Doch SP, Grüne und AL stellten sich geschlossen gegen den Toilettengang und damit auch gegen die Senkung der Steuern.

Përparim Avdili, FDP

Përparim Avdili (FDP) findet, die Linken hätten kein Herz für die Steuerzahler:innen. (Foto: Steffen Kolberg)

Planungssicherheit war eines der Argumente gegen Veränderung nach unten, der Abbau der städtischen Schuldenlast ein anderes. Die Senkung des Steuersatzes um drei Prozentpunkte bringe für die meisten Menschen eine Ersparnis von 50 Franken abwärts, so Florian Blättler (SP). Im Vergleich dazu seien Massnahmen wie die Kostenübernahme bei der Kinderbetreuung deutlich wirksamer. Wenn die FDP von einer Entlastung des Mittelstandes rede, dann fange für diese der Mittelstand offenbar erst bei einem Jahreseinkommen über 250'000 Franken an. «Sie rühmen sich, ein Herz für alle zu haben, nur nicht für die, die es finanzieren», gab Përparim Avdili (FDP) zurück. Zudem bedeute der Start des Wohnraumfonds im nächsten Jahr zunächst einmal den Aufbau neuer Schulden, von einem Abbau könne also keine Rede sein.

Im Rückblick auf den Verlauf der Budgetdebatte wurden primär die linken Parteien angegriffen. Linksgrün hatte in der ersten Sitzung des Donnerstags einige Anträge für Stellenerhöhungen nicht durchbekommen, da bei den Grünen eine Person gefehlt hatte. So wurden zwar Mehrheiten erreicht, doch die entscheidende Mehrheit für Mehrausgaben um eine Stimme verfehlt. Durch «Filibustern», also unnötig lange Redebeiträge, hätten vor allem Vertreter:innen von SP und AL dann Zeit geschunden, bis die Grünen zur zweiten Sitzung vollzählig waren, so er Vorwurf von bürgerlichen Vertreter:innen wie Përparim Avdili. Das sei sicher nicht unerträglicher gewesen als so manche Wiederholungen des Immergleichen vonseiten der SVP, konterte Tanja Maag (AL).

Die Grünen wiederum wurden von zwei Seiten kritisiert: Florian Utz (SP) zeigte sich enttäuscht, dass die Partei sich bei Abstimmungen zur Erhöhung der Löhne von Lernenden oder der Ausgliederung des Stadtspitals uneinig war und damit eine linksgrüne Mehrheit verhinderte. Sven Sobernheim wiederum bemängelte die Uneinigkeit der Fraktion bei der Schaffung neuer Polizeistellen: Die Grünen hätten überall in Schulen und Verwaltung Stellen schaffen wollen, aber dem Kompromiss von SP und GLP, neun statt der geforderten 17 Polizeistellen zu schaffen, dann nicht zustimmen können.

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Kleine Schritte für bessere Velowege

Doch genug des Budgets. Im nächsten Jahr wird ja nicht nur Geld verteilt, es werden auch wieder Texte verfasst. Zum Beispiel die neuen Standards für Velowege. Die hat die Vorsteherin des Tiefbauamts Simone Brander (SP) schon fast parat, wie sie erklärte. Die GLP fand aber, es brauche noch zwei Ergänzungen, und brachte sie per Postulat in die Debatte ein. Das eine, vorgestellt von Sven Sobernheim, fordert eine Festschreibung baulich abgetrennter Velowege als bevorzugte Veloführung. «Auf Velowegen mit gestrichelter Linie fühlen sich 62 Prozent der Velofahrenden sicher, auf abgetrennten Velowegen 91 Prozent», führte er aus. Das seien zwar Zahlen zur subjektiven Sicherheit, doch zur objektiven gebe es derzeit nur wenige Studien.

«Wenn die SVP hier drin über Velowege rantet, dann rante ich insgeheim ein bisschen mit.»

Sanija Ameti, GLP, stellt als Fussgängerin ein Velo-Postulat vor.

Das zweite Postulat fordert eine Veloführung hinter Haltestellen statt davor. Es wurde vorgestellt von Sanija Ameti, die gleich zu Beginn klarmachte, dass sie leidenschaftliche Fussgängerin sei und Velos nichts abgewinnen könne. «Wenn die SVP hier drin über Velowege rantet, dann rante ich insgeheim ein bisschen mit», sagte sie. Doch als Liberale müsse man ständige Spannungen und Zerrissenheit und folglich auch Velofahrende aushalten. Man müsse Interessen abwägen und möglichst viel Freiheit für möglichst viele Menschen erreichen.

Die anderen Liberalen, namentlich die FDP, waren von diesem Appell nicht überzeugt. Andreas Egli fand, die Frage der Sicherheit sei eine von heiklen Stellen wie Kreuzungen, an denen es eng sei. Zudem solle man die Sicherheit der Fussgänger:innen vor lauter Velo nicht vergessen. Derek Richter (SVP) gab zwar zu, dass der rückwärtig an der Haltestelle vorbeigeführte Veloweg an der Haltestelle Röslistrasse gut funktioniere, fand aber trotzdem, die Postulant:innen wollten Verkehrsteilnehmer:innen gegeneinander ausspielen.

Benedikt Gerth (Die Mitte) wiederum meinte, die intensiven Diskussionen um die neuen Velostandards in der Kommission zeugten von einem guten Kompromiss, den man gefunden habe. Es brauche eigentlich keine Zusätze. Zu abgesetzten Velowegen als Standard sage man Nein, zur Veloführung hinter Haltestellen aber Ja, insbesondere angesichts der Situation auf der Hardbrücke, auf der Velos vor der Haltestelle entlang geleitet werden und wo es immer wieder zu Konflikten kommt. SP, AL und Grüne stellten sich ohne grossen Diskussionsbedarf hinter die Postulate, die damit satte Mehrheiten bekamen. Und auch Stadträtin Brander war von den Vorschlägen so angetan, dass sie den Ratsmitgliedern auch gleich vorlas, wie sie sie schriftlich in das Dokument einzubauen gedenkt.

Die FDP liebt den Jazz

Okay, ich gebe zu, ganz vorbei mit dem Budget ist es noch nicht. Nach dem Beschluss der städtischen Ausgaben wurden gestern nämlich auch noch die Beiträge für diverse städtische oder von der Stadt unterstützte Institutionen für die nächsten Jahre beraten. Und damit ging es noch einmal um die Budgets ebendieser Institutionen.

Bei Subventionsbeiträgen an die Kultur folgt die Debatte einem eingespielten Muster: Eine Minderheit aus FDP und SVP fordert die Streichung des Passus, der eine jährliche Anpassung der Beiträge an die Teuerung vorsieht. Eine Minderheit aus AL und Grünen wiederum fordert die Streichung des Passus, der eine Reduktion des Beitrags vorsieht, sollte sich das Eigenkapital der Stadt drastisch reduzieren. Am Ende werden die Subventionen in der Regel unverändert beschlossen.

Das war auch dieses Mal der Fall, eine Sache machte dann aber doch stutzig: Bei den Beiträgen für das Zurich Jazz Orchestra (ZJO) forderte die FDP die Erhöhung des Beitrags von den vorgesehenen 207'000 auf 250'000 Franken jährlich. Gegenüber den bisher gezahlten 137'000 Franken wäre das dann fast eine Verdopplung. Doch warum will ausgerechnet die FDP, die sonst bei Kultur- und sonstigen Ausgaben auf der Bremse steht, nun plötzlich mehr Geld für den Jazz? «Die finanzielle Sicherheit ist nötig», argumentierte Sabine Koch. Die Musiker:innen seien alle Freischaffende. «Ich wäre froh, wenn wir dem ZJO dieses Weihnachtsgeschenk machen könnten.»

«Sie sind ein bisschen im Jazz-Wahn», konstatierte Stefan Urech (SVP) angesichts der 1,6 Millionen Franken, die die Stadt ihm zufolge insgesamt für Jazz-Institutionen bereitstellt. Er verstehe nicht, warum man sich so auf diese Musik-Art einschiesse. Einen Erklärungsversuch, zumindest für das ZJO, bot Urs Riklin (Grüne). Seinen Berechnungen zufolge steige durch die Erhöhung der Beiträge durch die Stadt, noch ohne den Antrag der FDP, das Jahreseinkommen der Geschäftsleitung auf 181'000 Franken im Jahr. Die Geschäftsleiterin des ZJO wiederum heisst Bettina Uhlmann Baumer und ist die Frau von FDP-Stadtrat Michael Baumer. «Ich hoffe, dass es bei der Prüfung dieser Erhöhung im Stadtrat einen Ausstand gab», so Riklin.

Grüne, AL und SP hatten im Angesicht sehr unterschiedlicher Lohnverhältnisse bereits zuvor eine Erhöhung der Beiträge für das Kino Xenix um 12'000 Franken durchgebracht. Der Lohnunterschied bei einer 100-Prozent-Stelle betrage sonst zwischen der Geschäftsleitung des Xenix und der des Zurich Jazz Orchestra fast 100'000 Franken, rechnete Riklin vor. Weiter hatten Christina Horisberger (SP) und Balz Bürgisser (Grüne) ein Begleitpostulat eingereicht, das die linksgrüne Mehrheit mit überwies. Darin fordern sie, mit der Beitragserhöhung des ZJO in erster Linie die Gagen der Musiker:innen gemäss den Empfehlungen des schweizerischen Musikerverbandes anzuheben.

Und was in der ganzen Diskussion gar keine Erwähnung fand: Auch der Präsident des ZJO ist in liberalen Kreisen nicht unbekannt. Hier handelt es sich um den ehemaligen FDP-Fraktionspräsidenten im Kantonsrat, Thomas Vogel. FDP + Jazz = <3

Weitere Themen der Woche

  1. Ein beantragter Zusatzkredit von über einer Million Franken für den Verein Nexpo wurde gestern kontrovers diskutiert. Die Nexpo soll als nächste Landesausstellung dezentral in der ganzen Schweiz stattfinden. Da der Bund jedoch noch keine klare Zusage zu einer Durchführung gemacht hat, stimmten die Grünen gegen die Bewilligung der Gelder, zusammen mit FDP und SVP, die sich vom Projekt nicht überzeugt zeigten. Die befürwortende Mehrheit machte geltend, dass eine verweigerte Finanzierung in der grössten teilnehmenden Stadt eine «verheerende Signalwirkung» habe.
  1. Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), das das Verhalten der Polizei bei einer Einkesselung am 1. Mai 2011 als rechtswidrig einstufte (wir berichteten), sorgte gestern für Diskussionen. Moritz Bögli verlas eine Fraktionserklärung seiner AL, in der diese ein Ende der Praxis der präventiven Einkesselung fordert. Samuel Balsiger wiederum sprach in der Fraktionserlärung der SVP von einem «Urteil fremder Richter», das skandalös sei und Opfer und Täter verdrehe. Michael Schmid (FDP) bezeichnete es als Propaganda, dass die AL behaupte, Einkesselungen als solche seien vom Gericht gerügt worden. Dies machte auch Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) deutlich: Das Urteil betreffe das entsprechende Prozedere im Jahr 2011, welches heute nicht mehr so durchgeführt werde. «Die Polizei macht heute alles, damit die Einschränkungen für die Betroffenen so gering wie möglich sind», sagte sie und entschuldigte sich für das lange Festhalten beim damaligen Kessel.
  1. Nachdem Patrick Hässig sich in den Nationalrat verabschiedet hat, trat gestern für ihn Markus Merki neu in die GLP-Fraktion ein. Der selbständige Bauleiter war bereits von 2014 bis 2022 im Gemeinderat und unter anderem Präsident des Fussballclubs FC Gemeinderat.

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