Tempo 30: Stadt Zürich droht Kanton mit juristischen Konsequenzen

125’000 Stadtzürcher:innen sind von übermässigem Strassenlärm betroffen. Die Stadt setzt beim Lärmschutz auf Tempo 30. Doch die kantonale Mobilitäts-Initiative könnte zum Stolperstein werden.

Karin Rykart, Andreas Hauri und Simone Brander an der Medienkonferenz zum Lärmschutz
Karin Rykart (Grüne), Andreas Hauri (GLP) und Simone Brander (SP, v.l.n.r.) setzen beim Lärmschutz vor allem auf Tempo 30. (Bild: Dominik Fischer)

Mit der Mobilitäts-Initiative der SVP greift der Kanton die Hoheit der Stadt Zürich bei der Tempo-Gestaltung ihrer Strassen an. In der Diskussion um Tempo 30 oder Tempo 50 wird immer wieder auch der Lärmschutz als Argument herangezogen. So war die SVP-Initiative auch allgegenwärtig, als die Stadt am Montagmorgen ihren Statusbericht zum Lärmschutz vorstellte.

Insbesondere die Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements Simone Brander fand dabei deutliche Worte und kündigte an, die Initiative im Falle eines Abstimmungserfolgs juristisch zu bekämpfen. 

Auch für Karin Rykart (Grüne) und Andreas Hauri (GLP) ist der Fall klar: Das wirksamste Mittel, um den Lärmschutz in der Stadt Zürich voranzutreiben, ist Tempo 30. So belegen verschiedene Messungen: «Strassenlärm bleibt in Zürich die grösste Lärmquelle» Der positive Effekt von Tempo 30 werde von Anwohner:innen subjektiv sogar noch stärker wahrgenommen, als er wirklich ist.

Der Geschwindigkeitsplan der Stadt Zürich aus dem Jahr 2021 sieht deshalb auf Stadtgebiet die weitgehende Durchsetzung von Tempo 30 vor. Auch auf die Verkehrssicherheit und den Umweltschutz hat die Tempo-Drosselung einen positiven Einfluss, betonten die drei Stadträt:innen. 

Mobilitäts-Initiative drängt auf Tempo 50

So weit, so einfach, wäre da nicht die unliebsame «Mobilitäts-Initiative» auf Kantonsebene, die der Stadt bei Tempo 30 einen Strich durch die Rechnung machen möchte. Diese würde den Städten Zürich und Winterthur das seit über 150 Jahren geltende Recht entziehen, auf ihren Strassen das Tempo selbst zu bestimmen. Geht es nach der SVP-Initiative, sollen innerorts Abweichungen von der Höchstgeschwindigkeit – also 50 km/h – nur noch «in Ausnahmefällen auf kurzen Strecken» erlaubt sein. 

Gemäss Initiativ-Komitee will man damit verhindern, dass der ÖV von Tempo 30 ausgebremst wird. Zwischen den Zeilen wird allerdings deutlich, dass die Bürgerlichen das Ausbremsen des motorisierten Individualverkehrs in den linken Städten Zürich, Uster und Winterthur nicht hinnehmen wollen.

Für Rykart, Hauri und Brander ist die Mobilitäts-Initiative, die ihren Spielraum erheblich einschränken würde, ein Ärgernis. Brander betont: «Der Lärmschutz ist national vorgeschrieben, und um diesen zu erreichen, brauchen wir Tempo 30. Es ist wirksam, kostengünstig und einfach umzusetzen.» Die Behauptung der Initiative, dass Tempo 30 zu mehr Verkehr in den Quartieren führe, sei belegbar falsch.

«Die Strassen in der Stadt Zürich gehören uns selbst» 

Über die Mobilitäts-Initiative entscheidet die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich im November, da die Stadt Zürich das Gemeindereferendum ergriffen hat. Brander stellt klar: «Die Strassen in der Stadt Zürich gehören uns selbst, der Kanton hat keine Kompetenz, darüber zu entscheiden». 

Für den Fall, dass die Initiative angenommen werden könnte, kündigte Brander juristische Schritte an, denn die Initiative sei nicht mit geltendem Recht vereinbar. «Das hat der Regierungsrat entweder nicht gemerkt, oder es ist ihm nicht so wichtig», kommentiert Brander. So widerspreche diese dem Bundesrecht und würde zudem «ein Wirrwarr an Zuständigkeiten schaffen». 

So wäre bei einem Ja zur Initiative die Kantonspolizei dafür verantwortlich, das Tempo auf den betroffenen Strassen zu kontrollieren, gemäss städtischen Berechnungen bräuchte es dafür mindestens acht weitere Stellen.

Der Streit über die Tempo-Hoheit zwischen Stadt und Kanton wird mindestens bis zum November, wenn nicht darüber hinaus, weitergehen. Mit dem Lärmschutz hat die Stadt jedoch ein starkes bundesrechtliches Argument für Tempo 30 in der Hand.

30er-Zone im Kreis 4 Zürich
Messungen belegen: «Strassenlärm bleibt in Zürich die grösste Lärmquelle». Tempo 30 und sogenannter Flüsterbelag verschaffen Abhilfe. (Bild: Sofie David)

Flüsterbeläge, Lärmradare und «qualitätsvolle Verdichtung»

Doch die Stadt tüftelt auch noch an anderen Massnahmen, um den Lärmschutz zu verbessern, denn noch immer sind rund 125’000 Stadtzürcher:innen von zu hohem Strassenlärm betroffen – das sind über 28 Prozent der Bevölkerung. 

Um die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte zu unterschreiten, bräuchte es neben Tempo 30 vielerorts noch zusätzliche Massnahmen wie Flüsterbeläge oder Lärmschutzfenster. Von diesen plant die Stadt, 9000 Exemplare zu verbauen, insbesondere in Gegenden, die unter Baulärm leiden.

Auch gegen das sogenannte «Autoposing», bei dem Fahrer:innen mit lauten und getunten Autos Runden durch die Stadt drehen, wolle man stärker vorgehen, erklärt die Vorsteherin des Sicherheitsdepartements, Karin Rykart. 

Dazu hat die Stadt nun im Rahmen eines Pilotprojekts Lärmdisplays und Lärmradare installiert. «Sobald die rechtliche Grundlage dafür geschaffen ist, könnte es bei Verstössen gegen die Lärmvorschriften auch Bussen geben», so Rykart. Wo die Geräte installiert werden, will die Stadt aus taktischen Gründen nicht bekannt geben. Die Ergebnisse des Pilotprojekts sollen Ende des Jahres ausgewertet werden. Auch der Lärm während der Nachtruhe sei weiterhin ein Konfliktpunkt, jedoch seien die Lärmbeschwerden seit den durch Corona bedingten Ausnahmejahren 2020 und 2021 deutlich zurückgegangen, so Rykart.

Für Andreas Hauri, Vorsteher des Gesundheits- und Umweltdepartements, liegt der Fokus auch auf einer qualitätsvollen Verdichtung des Wohnraums. So brauche es ruhige Zimmer und kompakte Gebäudeformen. Lüftungsfenster sollen in Wohnungen strategisch an ruhigen Orten eingesetzt werden. 

Kritik richtet er an geplante Wohnliegenschaften, die den Lärmschutz dadurch einhalten wollen, dass sich keine Fenster öffnen lassen. «Das ist für uns keine qualitätsvolle Verdichtung», so Hauri. Um die Aufenthaltsqualität an öffentlichen Plätzen zu steigern, seien in Zukunft vermehrt Begrünungen und die Installation von Brunnen vorgesehen. Es sei wissenschaftlich belegt, dass diese zu einer angenehmeren Geräuschkulisse führen würden, sagt er.

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