Kampf um das Stadtpräsidium: Golta ist Favorit, aber Abou Shoak holt auf
Raphael Golta gilt als Favorit fürs Zürcher Stadtpräsidium – doch Mandy Abou Shoak sorgt mit einer kämpferischen Kampagne für Bewegung in der SP. Wer überzeugt die Delegierten?
Am 26. Juni entscheiden die Delegierten der SP Zürich, wen sie als Stadtpräsident:in nominieren werden: den langjährigen Sozialvorsteher Raphael Golta oder seine innerparteiliche Herausforderin und Kantonsrätin Mandy Abou Shoak?
Überzeugen müssen die beiden nicht die Öffentlichkeit, sondern die Parteibasis. Die über 200 SP-Delegierten bestimmen, wer ins Rennen um das Stadtpräsidium geschickt wird. Der parteiinternen Wahl kommt grosse Bedeutung für die künftige Stadtpolitik zu, denn wer von der SP nominiert wird, hat bei den Wahlen im Frühjahr 2026 erfahrungsgemäss beste Chancen auf das Amt.
Entsprechend intensiv läuft der Wahlkampf – allerdings fast ausschliesslich innerhalb der Partei. Unterstützungsgruppen der Kandidierenden telefonieren die Delegierten ab und versuchen diese von ihren Lieblingen zu überzeugen.
Die Kantonsrätin Mandy Abou Shoak wählt zum stillen Wahlkampf im Hintergrund auch den Weg an die Öffentlichkeit. Seit Wochen ist sie sehr präsent in den Sozialen Medien, besucht diverse Anlässe und geht aktiv auf Leute zu. Mit dem Slogan «Züri isch parat» konnte Abou Shoak bereits die Juso, die SP Frauen und die SP Migrant:innen auf ihre Seite ziehen.
Ihr parteiinterner Konkurrent und langjähriger Stadtrat Raphael Golta hingegen tritt nach aussen derzeit kaum in Erscheinung. Am öffentlichen Hearing der SP wirkte der «Kronprinz» für das Präsidium unbeeindruckt und gelassen.
Verkennt Golta damit die von Abou Shoak angestossene Dynamik? Schafft es die Herausforderin mit dem öffentlichen Wirbel, die Delegierten zu überzeugen?
In zahlreichen Hintergrundgesprächen, unter anderen mit Delegierten der SP, zeichnen sich zwei Thesen ab.
These 1: Abou Shoak überschätzt ihre Chancen
Die Einen sind überzeugt, dass Abou Shoak die Parteidynamik verkenne. Golta gilt in der Partei als gut vernetzt, mit engen Bindungen und einem soliden Netzwerk. Eine Basis, die Abou Shoak mit nur zwei Jahren im Kantonsrat noch fehle. Ein strukturelles Handicap, das sich nicht kurzfristig kompensieren lasse. Dass Golta in seinen bisher elf Jahren als Stadtrat keinen schlechten Job gemacht habe, mindere die Chancen für Abou Shoak zusätzlich.
Zwar werde Abou Shoaks öffentlicher Wirbel durchaus wahrgenommen, doch einige Delegierten bezweifeln, dass ihreUnterstützer:innen über genügend Einfluss in der SP verfügen.
Ausserdem würden sich die Delegierten kaum von einer öffentlichen Kampagne umstimmen lassen. Viel mehr seien es die persönlichen Gespräche und die Reden an der Versammlung, die über den Erfolg bestimmen würden.
These 2: Abou Shoak überzeugt mit Kontaktoffensive
Doch es gibt auch die andere Perspektive. Von jenen, die Abou Shoak durchaus zutrauen, noch aufzuholen. Die öffentliche Bewegung, die sie in Gang gesetzt habe, wirke sich positiv auf die Dynamik innerhalb der Partei aus. Abou Shoak trete nicht nur öffentlich sichtbarer auf als Golta, sie suche auch innerhalb der Partei aktiver den Kontakt zu den Delegierten.
Sie sammle Sympathiepunkte, weil sie offen auf Menschen zugehe und Wärme ausstrahle.
Attribute, die auf ihren Gegenspieler Golta weniger zutreffen. Er sei aufbrausend und erscheine weniger sympathisch als Abou Shoak. Ein Faktor, der bei einer Personenwahl nicht zu unterschätzen ist.
Das sagen die Kandidierenden
Wie schätzen die beiden Kandidierenden die aktuelle Dynamik ein? Rund eine Woche vor dem internen Wahltermin lassen sie sich nicht zu provokanten Aussagen hinreissen.
Golta schreibt auf Anfrage: «Als ich mich für die Kandidatur als Stadtpräsident entschieden habe, ging ich davon aus, dass es sowohl parteiintern wie auch parteiextern Konkurrenz gibt.» Der Weg zum Stadtpräsidium sei kein Spaziergang und dies sei auch gut so.
Abou Shoak sagt, sie glaube nicht, dass ihr Konkurrent die Dynamik verschlafen habe. Aber es sei spürbar, «dass jetzt eine neue Dynamik entstanden ist – überraschend für viele, aber voller Chancen».
Ihre Bewerbung sei ein Angebot, mit dem «wir Stimmen aus der Zivilgesellschaft, von jungen Menschen und von Menschen mit Migrationsgeschichte aktivieren können, um die linke Mehrheit im Gemeinderat auszubauen.»
Wahlprozedere als Hürde für Abou Shoak
Eine eher technische Hürde für Abou Shoak ist hingegen der Ablauf der Nominierungsversammlung: Zuerst wählen die Delegierten die Kandidierenden für den Stadtrat, wobei die bisherigen Stadträt:innen Simone Brander und Raphael Golta gesetzt sind. Denn nur, wer als Stadträt:in nominiert ist, kann überhaupt fürs Präsidium antreten.
Im ersten Schritt tritt Mandy Abou Shoak also nicht gegen Golta, sondern gegen Celine Widmer, Gabriela Rothenfluh und Tobias Langenegger an. Nur zwei von diesen vier Politiker:innen kommen in die nächste Runde.
Für viele ist Kantonsrat Langenegger derzeit Favorit auf einen Sitz auf dem Stadtratsticket, der zweite Platz werde wohl an Widmer oder Abou Shoak gehen. Bildungspolitiker Rothenfluh scheint derzeit nur geringe Wahlchancen zu haben. Scheitert Abou Shoak im ersten Wahlgang, verliert sie die Chance auf das Präsidium.
Würde in einem ersten Schritt hingegen das Stadtpräsidium nominiert, also Golta versus Abou Shoak, hätte sie grössere Chancen.
Die SP steht somit nächste Woche vor einem Grundsatzentscheid. Die politischen Profile und auch die Persönlichkeiten von Mandy Abou Shoak und Raphael Golta liegen weit auseinander. Entscheiden sich die Delegierten für den bewährten, sicheren und stabilen Weg? Oder packt sie die Lust auf das Neue?
Eine klare Prognose will niemand abgeben. Nur so viel: Golta sei zwar nach wie vor Favorit, aber Abou Shoak hole auf.
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An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.