Gemeinderats-Briefing #60: Demokratische Pflichtübung - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Simon Jacoby

Co-Geschäftsleitung & Chefredaktor

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16. November 2023 um 10:30

Gemeinderats-Briefing #60: Demokratische Pflichtübung

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Rosengartenstrasse, Geld für Kultur und Abstimmungsunterlagen.

Willkommen zu einer Doppelsitzung des Gemeinderats. Für die Parlamentarier:innen bedeutet dies mehr Sitzungsgeld. Für Journalist:innen bedeutet es Nachtarbeit und du bekommst hiermit eine geballte Ladung demokratischen Diskurs. 

Auf dem Programm: Hauptsächlich Vorstösse, die das Präsidialdepartement betreffen. Debattiert wurde bis kurz vor Mitternacht, ich habe mich bemüht, das Wichtigste dieser demokratischen Pflichtübung herauszufiltern. 

Let’s go.

(Foto: Zana Selimi)

Zürich ist zwar nicht die Hauptstadt der Schweiz, aber wenigstens wären wir die Kultur-Hauptstadt, wenn es diesen Titel denn geben würde. Gestern hat Parlament neun Institutionen Gelder gesprochen für die Jahre 2024 bis 2027 – total beläuft sich der Betrag auf 3,6 Millionen Franken. Klingt nach viel? Weiss nicht recht, denn dies entspricht nur rund 3,2 Prozent der gesamten Kulturausgaben.

Damit es hier nicht total ausufert, gehe ich nicht auf jedes einzelne Traktandum ein. Schön der Reihe nach wurden alle neun Kulturinstitutionen vorgestellt und dargelegt, wofür sie das Geld brauchen. Zuerst von jemandem aus der Kommission, dann allenfalls von jemandem, der dagegen ist, und dann hat die Stadtpräsidentin Corine Mauch etwas dazu gesagt. 

Die Beträge an sich waren nicht wirklich umstritten. Aber die Grünen und die AL wehrten sich dagegen, dass die jährlichen Beiträge um 1 Prozent reduziert werden, falls das Eigenkapital der Stadt Zürich auf weniger als 100 Millionen Franken sinken sollte. Mit einem aktuellen Eigenkapital von über 2 Milliarden Franken sind wir davon aber noch sehr weit entfernt. 

Die Gräben verliefen im Rahmen des Erwartbaren: links war für die Gelder, rechts-bürgerlich hat ab und zu versucht, Stiche zu setzen. Erfolglos. 

Wirklich hitzig wurde es nur einmal, als die Debatte irgendwo in Richtung Bücherverbrennung entgleist ist. Die Ratspräsidentin hat kühlend eingegriffen. Nach rund zweieinhalb Stunden fand das Thema ein Ende. Finde ich aber durchaus angemessen, denn die Gelder haben eine grosse Wichtigkeit für die Kulturbranche. 

Die Ratspräsidentin Sofia Karakostas blieb konzentriert bis kurz vor Mitternacht (Screenshot/Stadt Zürich)

Falls es dich interessiert, habe ich dir hier die Beiträge aufgelistet:

  1. Der Jazz Verein Moods kriegt jährlich knapp eine Million Franken.
  2. Der Verein Forum Alte Musik kriegt jährlich rund 160'000 Franken.
  3. Der Verein Sonic Matter kriegt jährlich eine Viertelmillion Franken.
  4. Das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien kriegt jährlich rund 100'000 Franken.
  5. Der Verein Zürcher Sängerknaben kriegt jährlich rund 150'000 Franken.
  6. Der Verein Kunsthalle kriegt jährlich rund eine Million Franken.
  7. Der Verein Camerata Zürich kriegt jährlich 380'000 Franken.
  8. Der Verein Unerhört kriegt jährlich rund 210'000 Franken.
  9. Der Verein Museumsgesellschaft, Literaturhaus Zürich kriegt jährlich rund 470'000 Franken.

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Wer ist schlauer in 1 Jahr?

Rund 50’000 Fahrzeuge brettern täglich über die Rosengartenstrasse. Seitdem die Kantonsbevölkerung den Tunnel versenkt hatte, liegt der Ball bei der Stadt. In einer Motion haben die links-grünen Kräfte darum eine stadtverträgliche Umgestaltung gefordert. Noch liegt nichts Genaues auf dem Tisch, doch Stadträtin Simone Brander gab gestern einen Einblick in die Planung: Neu sollen Fussgänger:innen an zwei Stellen die Strasse ebenerdig überqueren können. Gegen diese Pläne hat es Einsprachen gegeben, weshalb sie frühestens ab 2026 umgesetzt werden können. 

Ausserdem will die Stadt Zürich das Tempo zumindest teilweise auf 30 Kilometer pro Stunde senken, um den Strassenlärm zu reduzieren. Dies wiederum hat die Kantonspolizei nicht bewilligt. Dagegen hat die Stadt Zürich Rekurs eingelegt: «Die Gerichte werden entscheiden», sagte Brander dazu trocken. 

Für die längerfristige Umgestaltung des Verkehrsmoloch wurde ein Planungsprozess gestartet.

Gar nicht einverstanden ist die SVP. Die Ideen für die Umgestaltung würden den Verkehr nicht nur an der Rosengartenstrasse, sondern auch auf der Hardbrücke, am Albisriederplatz und bis nach Schlieren beeinträchtigen. 

Andreas Egli von der FDP drängt auf eine beschleunigte Präsentation der Massnahmen («es braucht Nägel mit Köpfen»), während Davy Grafvon der SP die Einführung von Tempo 30 befürwortet, um die Lärmbelastung zu senken. Sven Sobernheim von der GLP kritisiert die respektlose Haltung der Kantonspolizei gegenüber der Stadt, und Markus Knauss von den Grünen hat Verständnis, dass es lange dauert, diese Strasse stadtverträglich umzugestalten.

Entschieden ist noch nichts, im Januar 2025 wird der Stadtrat erneut Bericht ablegen. «Ob wir in 12 Monaten schlauer sind, werden wir sehen», sagt Benedikt Gerth von Die Mitte. 

Der Gemeinderat erteilte Fristerstreckung um ein Jahr gegen die Stimmen von FDP und SVP.

Weitere Themen der Woche

  1. Mehr Geld: Jeweils im Herbst beantragt der Stadtrat sogenannte Nachtragskredite, weil mehr Geld ausgegeben werden musste, als dies im Budget geplant war. Gestern hat der Gemeinderat knapp 80 Millionen Franken gesprochen (u.a. für die Heizkostenzulage und Projekte, die zeitlich verschoben werden). 
  2. Wer will, soll künftig die Abstimmungsunterlagen abbestellen können, dies fordern Flurin Capaul und Jehuda Spielman (beide FDP) mit einem Postulat. Das «Abstimmungsbüechli» müsse nicht auf Papier kommen, weil die Unterlagen auch digital angeschaut werden können – für mehr «Partizipation und Umweltschutz», wie Capaul (neu mit Schnauz!) ausführte. Die Mehrheit des Gemeinderats folgte dem Anliegen nach unnötig langer Diskussion (u.a. über Christoph Blochers Kinderstube). Nun hat der Stadtrat Zeit, eine Lösung vorzuschlagen.  

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