Gemeinderats-Briefing #58: Dank linker Paranoia weniger Videoüberwachung - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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2. November 2023 um 12:15

Gemeinderats-Briefing #58: Dank linker Paranoia weniger Videoüberwachung

Das Parlament hat lange debattiert und sich dann auf eine neue Datenschutzverordnung geeinigt. Neu wird es weniger Überwachung geben: sowohl die Stadt, als auch Private werden eingeschränkt. Was sonst noch wichtig war: Linke und SVP stoppen Preis­erhöhung in Altersheimen.

Gemeinderatsbriefing

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. (Illustration: Zana Selimi)

Die Debatte um die neue Datenschutzverordnung füllte fast die ganze Ratssitzung. In einem Punkt waren sich die Politiker:innen einig: Komplette Überwachung ist uncool. Was sachlich anfing, wurde aber immer verstrickter und emotionaler. Die Bürgerlichen warfen den Linken Paranoia vor.

Im Kern ging es der Linken Ratsmehrheit darum, dass weniger überwacht wird. Spaziert man nämlich durch die Strassen, fällt einem auf, dass doch einige Linsen auf einen gerichtet sind. Fünf Vorstösse von der AL, GLP, Grüne und SP haben dazu geführt, dass die Datenschutzverordnung grundsätzlich überarbeitet worden ist. Gestern Abend wurde im Parlament über diese Teilrevision debattiert. Es standen städtische und private Kameras im Fokus.

Grundsätzlich darf die Stadt Zürich filmen, wenn es für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sei, da war man sich auch einig. Danach war fertig mit Einigkeit: Die linken Parteien forderten einen Zusatz, der etwas einschränkt, beziehungsweise präzisiert. So soll nur noch gefilmt werden, wenn es um Gefahr für Leib und Leben geht. Oder bei grossem Sachschaden. Auch dürfe keine Gesichtserkennungssoftware eingesetzt werden, ausgeschlossen sei hier die Polizei, was diese filmen darf, ist im kantonalen Gesetz geregelt. 

«Es zeigt, wie paranoid die Linken sind, wenn es um Videoüberwachung geht.»

Karin Weyermann (Mitte)

Weiter ging es mit privaten Kameras. Hierbei sind beispielsweise Kameras gemeint, die zwar einen Kioskeingang oder ein Schaufenster filmen, aber ungewollt auch den öffentlichen Raum mitfilmen. Dies würde die Grundrechte von Passant:innen verletzen, ist sich Links einig. Private Hauseigentümer:innen brauchen darum neu eine Bewilligung, wenn sie mit ihren Kameras den öffentlichen Raum mitfilmen. 

Eine Bewilligungspflicht für Private? Nein, finden die Bürgerlichen und auch Stadträtin Karin Rykart (Grüne). Es brauche eine Toleranzgrenze, sonst ufere der Mehraufwand für Unternehmen und die Stadt aus. Und das Motto von Michael Schmid (FDP): «So wenig wie möglich, so viel wie nötig.» Es brauche einen rechtlichen Rahmen, doch die Revision überzeuge nicht, sie ginge über die Zuständigkeiten heraus. So sei etwa die Überwachung durch Private im öffentlichen Raum auf Bundesebene geregelt und bereits verboten. Auch Karin Weyermann (Mitte) befand es für wichtig, dass es Regeln gebe, doch die Präzisierungen gingen zu weit: «Es zeigt, wie paranoid die Linken sind, wenn es um Videoüberwachung geht.»

«Wehret den Anfängen», entgegnete Rahel Habegger (SP). Den Vorwurf von Paranoia stritt sie vehement ab. Es ginge hier um einen wichtigen Bereich. Starke Eingriffe in die Grundrechte, wie sie Videoüberwachungen seien, brauchen klare Richtlinien, fügte Luca Maggi (Grüne) an. Den Vorwurf, dass die Verordnung über die Kompetenzen der Stadt hinaus gingen, bestritt er. Die Überwachung Privater sie zwar auf Bundesebene geregelt. Kameras, die beispielsweise Schaufenster filmen, filmen immer auch Strassenabschnitte mit, als Beifang. Hier handle es sich um einen Graubereich, wo man neue Regeln finden müsse. 

EVP, Mitte, FDP und SVP blieben schlussendlich chancenlos, sie wurden von GLP, SP, AL und Grüne überstimmt. Die Verordnung geht nun mit den verabschiedeten Anpassungen an die Kommission zurück und in einer nächsten Sitzung gibt es dann eine Schlussabstimmung. 

Aber sieht ganz danach aus, dass wir bald weniger gefilmt werden.

Linke und SVP stoppen Preis­erhöhung in Altersheimen

Im Altersheim zu wohnen, ist teuer und soll nächstes Jahr in Zürich noch teurer werden. Der Stadtrat kündigte bereits im August eine Erhörung der Taxen an. Im Durchschnitt sollen die jährlichen Gebühren für die Bewohner:innen um 6200 Franken steigen. 

Das sei für den unteren und mittleren Mittelstand nicht tragbar, finden einige Gemeinderät:innen. Gegen diese geplante Gebührenerhöhung in den Gesundheitszentren für das Alter (aka Altersheime) stellt sich die Linke zusammen mit der SVP. Ja richtig gelesen. Links und rechts spannt im Namen der Betagten zusammen. Sie haben sowohl ein Postulat als auch eine parlamentarische Initiative eingereicht.

Beginnen wir bei letzterem. Diese fordert, dass in Zukunft der Gemeinderat über die Höhe solcher Gebühren bestimmen kann. Florian Utz (SP) stellte nämlich infrage, ob es in Ordnung sei, dass der Stadtrat in Eigenregie einen solchen Entscheid fällte. Im Saal stand also die Frage: Wer darf über solche Gebühren entscheiden? 

Die Antwort sei nicht nur aus Sicht von SP, Grüne, AL und SVP klar, sondern auch aus Sicht der Gemeindeordnung. «Für die Festlegung der Gebühren von städtischen Dienstabteilungen ist grundsätzlich der Gemeinderat zuständig», zitiert Utz die Gemeindeordnung. Heisst: Für solche wesentlichen Beträge sei das Parlament zuständig, für allfällige Feinjustierungen der Stadtrat. Das sah dann auch die Mehrheit im Rat so, die Initiative wurde mit 68 Stimmen an die entsprechende Kommission überwiesen.

«Wir haben nicht den Grundstein für den Erfolg Zürichs gelegt. Diesen hat die ältere Generation gelegt. Jene, die jetzt im Alterszentrum sind.»

Florian Utz (SP)

Danach ging es im Rat gleich weiter mit dem entsprechenden Postulat. Dieses fordert, dass der Stadtrat auf die vorgesehene Erhöhung der Taxen verzichtet. Erneut bekam Florian Utz das Wort. Prämien, Mieten, Lebensmittel, alles werde teurer, viele hätten Angst, sich das Leben in Zürich nicht mehr leisten zu können. Wohlhabende könnten sich die Teuerung leisten und jene, die es sich nicht leisten könnten, würden Ergänzungsleistungen bekommen. Aber der Mittelstand? Für diesen seien die rund 6200 Franken massiv. 

Weiter erinnerte Utz an die gute finanzielle Lage der Stadt, der unter anderem auch älteren Menschen zu verdanken sei. «Wir haben nicht den Grundstein für den Erfolg Zürichs gelegt. Diesen hat die ältere Generation gelegt. Jene, die jetzt im Alterszentrum sind», so Utz. Es sei nur gerecht, wenn auch sie am Erfolg beteiligt sind und nicht mehr bezahlen müssen. 

Gegen das Postulat stellt sich der Stadtrat. Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri (GLP) zählte die Gründe für die Erhöhung auf: Teuerung, Energiepreise, Personalkosten, Immobilienkosten. Auch Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) äusserte sich. Er verwies nochmals auf die Zusatzleistungen, die vor Altersarmut schützte und ein würdevolles Altern garantiere.

Die Schlussabstimmung machte deutlich: Die Mehrheit im Rat befürwortet das Postulat. Mit 69 zu 45 Stimmen wurde der Vorstoss an die Stadtregierung übergeben. Die Stadtzürcher Altersheime sollen also nicht teurer werden. 

Weitere Themen der Woche:

  1. Mehr Graffiti für Zürich: Severin Meier (SP) und Guy Krähenbühl (GLP) wollen mehr Graffiti in den Strassen Zürichs sehen. Sie wollen, dass der Stadtrat prüft, ob an städtischen Liegenschaften grossflächige Wandmalereien angebracht werden können. Also nicht etwa illegale Sprayerein, sondern lokalen und internationalen Wandmalerei-Künstler:innen sollen sich auf Flächen bewerben können. Das Postulat wurde diskussionslos dem Stadtrat überwiesen.  

  1. Gegen Gebärmutterhalskrebs: Ebenfalls ohne Diskussion wurde ein Vorstoss der SP überwiesen. Dieser fordert, dass künftig die Informationen, die Prävention und das Impfangebot an Schulen gegen das Humane Papillomavirus (HPV) sich auch an Knaben richtet – und nicht nur an Mädchen. Denn auch sie schütze die Impfung vor Krebs, plus schützten geimpfte Knaben auch ihre Sexualpartner:innen.

  1. Mehr Musik in den Strassen: Seit der Pandemie dürfen Gastronomiebetriebe mehr Plätze im Aussenbereich anbieten. Dies begrüssen die beiden Gemeinderäte Severin Meier (SP) und Martin Bürki (FDP). Jedoch fehlt ihnen die Musik im Aussenbereich. «Auf Boulevardflächen wird heute nicht einmal das Abspielen von Hintergrundmusik bewilligt», heisst es im Vorstoss, der vorsieht, dass diese Regelung künftig gelockert werde. Sofern es sich mit dem Ruhebedürfnis der Anwohner:innen vereinbaren lässt. Michael Schmid von der AL stellte einen Ablehnungsantrag. Es wurde somit nicht an den Stadtrat überwiesen und wird an einer späteren Sitzung diskutiert. Mal schauen, wer den Ton angeben wird.

  1. SP und Grüne greifen Schrebergärten an: «Die Idee des Familiengartens stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und muss überdacht werden», heisst es in einem Postulat. Gefordert wird, dass ein Teil der Gärten umgenutzt werden kann. Heisst: Schrebergärten sollen für alle Stadtbewohner:innen öffentlich zugänglich gemacht werden. Wo möglich, sollen auch Spielplätze und Grillstellen gepflanzt werden. Eine Enteignung der Schrebergärtner:innen? Hört sich für einige wohl ganz danach an. FDP-Gemeinderat Sebastian Vogel stellte einen Ablehnungsantrag. Das Postulat wird in einer späteren Sitzung diskutiert. 

  1. Kita-Kosten an privaten Markt anpassen: FDP und Mitte wollen, dass die Stadt in ihren Kindertagesstätten die Preise den durchschnittlichen privaten Ansätzen anpasst. Stand jetzt liegen die Ansätze der Stadt Zürich unter den durchschnittlichen Preisen von privaten Kitas. Der Ablehnungsantrag kam umgehend, und zwar von Moritz Bögli (AL).

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