Architektur-Kolumne: Licht, Luft, Aufstockung - Tsüri.ch #MirSindTsüri
account iconsearch
Von ZAS*

Kolumnist:innen

7. Oktober 2023 um 05:00

Licht, Luft, Aufstockung: Zürich in der Schwebe

Das Aufstocken von Gebäude ist in der städtischen Politik eine heiss umkämpfte Debatte. Die einen sehen darin eine «Wohnraumoffensive», die anderen einen «Brandbeschleuniger» für teure Ersatzneubauten. Für unsere Kolumnist:innen der ZAS* ist klar: Aktives «Nicht-Bauen» muss Priorität haben, aber Aufstockungen können auch neue Chancen bieten.

Luftig und leicht sollen Häuser in der Stadt Zürich in die Höhe wachsen. (Illustration: ZAS*)

«Ein Stockwerk mehr gegen die Wohnungsnot», ohne Fragezeichen am Schluss wirkt der Titel des Gemeinderats-Briefings, das Ende August auf Tsüri.ch erschienen ist, wie ein Versprechen: Stocken wir den Gebäudebestand in der Stadt Zürich flächendeckend um ein Vollgeschoss auf, lindern wir damit die Wohnungsnot. Die Argumente für und gegen die Motion der FDP-Fraktion, zu diesem Zweck die maximal zulässige Gebäudehöhe in allen Wohnzonen zu erhöhen, lassen sich im Briefing und im Protokoll des Gemeinderats vom 23. August 2023 nachlesen.

In der Kurzfassung: Die bürgerlich-mittigen Befürworter:innen forderten eine «Wohnraumoffensive», während die rot-grünen Gegner:innen im Vorschlag unter anderem einen «Brandbeschleuniger für Häuserabrisse und Ersatzneubauten» auszumachen glaubten. Schliesslich wurde die Motion mit 60 zu 61 Stimmen knapp abgelehnt. Für den Moment ist eine entsprechende Teilrevision der Bau- und Zonenordnung (BZO) also vom Tisch.

Das Versprechen, der Wohnungsnot mit einem stadtweiten Mechanismus entgegenzuwirken, der sich als Raumgenerator über die Gebäude legt, ist nicht neu. Die Rede ist von Wien und Genf – die Beispiele wurden im Gemeinderat genannt. In Genf sichert ein Manual die städtebauliche Qualität der als «surélévations» bekannten Aufstockungen. «Radikale» Beispiele für die veränderten Typologien gibt es aber auch in Basel, inklusive nutzungsneutralem Gemeinschaftsraum unter dem Dach. Interessant sind aber vor allem jene Vorschläge, die über eine rein bauliche Erweiterung hinausgehen und ein sozialpolitisches Instrument darstellen.

Gewinnmaximierung und Gemeinwohl

Eine nähere Betrachtung verdient in diesem Zusammenhang der Vorschlag des deutschen Architekten Arno Brandlhuber. In einem Interview mit dem Tagesspiegel aus dem Jahr 2015 fordert er «Mehr Penthäuser nach Marzahn». Der Mechanismus, den er für Berlin vorschlägt: Auf alle Gebäude darf über die bisherige Höhenbeschränkung hinaus ein weiteres Geschoss gebaut werden, wenn dafür die gleiche Fläche in einem darunterliegenden Stockwerk dauerhaft als Sozialwohnung abgegeben wird. Natürlich dürfe nur dort ein Zusatzgeschoss gebaut werden, wo die Nachbar:innen noch genügend Licht und Luft haben. Das Modell verbinde private Gewinnmaximierung mit gemeinwohlorientierten Anforderungen. Das Ziel: eine sozial durchmischte Nachbarschaft.

«Ein durchmischtes Quartier ist im hippen Zürich ein attraktives Quartier.»

ZAS*

Auch im Gemeinderat der Stadt Zürich wurde darüber diskutiert, wie das zusätzliche Stockwerk dem Gemeinwohl zugute kommen könnte. Die AL überlegte sich einen Textänderungsantrag, der die zusätzlichen Vollgeschosse im Sinne von Paragraf 49b des Planungs- und Baugesetzes (PBG) dem preisgünstigen Wohnraum zuschreibt, verzichtete schliesslich aber darauf. Tatsächlich liegt die Herausforderung der voranschreitenden Verdichtung darin, die soziale Verdrängung zu verhindern, wie in dieser ETH-Studie gut beschrieben wird. Selbst bei Nachverdichtungen, mit denen eine Sanierung einhergeht, steigen die Mieten. Dieses Argument wird wiederum oft dazu verwendet, den Ersatzneubau zu legitimieren, da, so wird behauptet, der Verbleib der Mieter:innen im Bestand zu gleichen Konditionen unmöglich sei.

Zurück zum Berliner Modell: Lässt sich dieses auf Zürich übertragen? Lässt sich mit einer Aufstockung der Boom der Stadt oben ökonomisch ausnutzen und der Mietzins unten nicht belasten? Hier gilt es zu bedenken, dass das Penthaus den Markt weiter antreibt. Die preisgünstige Wohnung darunter würde dem Markt zwar entzogen, der Druck auf das Quartier und die umliegenden Wohnungen stiege aber weiterhin an. Die zynische Note: ein durchmischtes Quartier ist im hippen Zürich ein attraktives Quartier. Eine Kopplung des beschriebenen Mechanismus an Wohnschutzkonzepte wäre zwingend, wenn wir die Supportstruktur unserer Stadt nicht verlieren wollen.

Mehr bezahlbare Stockwerke

Die Stadt Zürich hat nach wie vor ein Drittelsziel für den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen. Momentan sieht es danach aus, dass sie dieses nicht erreichen wird. Wir sollten trotzdem alles daran setzen, in diese Richtung hinzuarbeiten. Die Abstimmung im Gemeinderat hat gezeigt, dass die Fraktionen geschlossen abgestimmt haben. Liesse sich eine neuerliche Motion unter «umgekehrten Vorzeichen» anbringen? So, dass die 61 Gegner:innen zu 61 Befürworter:innen werden? Plus ein paar Stimmen aus der Richtung, aus der die Motion ursprünglich kam? Diese Umkehrung scheint gar nicht so weit weg.

An der Hohlstrasse wurde bereits im Jahr 1999 aufgestockt. (Foto: zvg)

«Die Erhöhung der Gebäudehöhe ist gebunden an die Erstellung von zusätzlichem Wohnraum durch Aufstockung im Bestand.» – In der angenommenen Textänderung der ursprünglichen Motion wird eigentlich klar, dass es hier nicht um eine versteckte Abriss-und-Neubau-Maschine gehen soll. Gegen den Bau eines oder mehrerer zusätzlichen Geschosse spricht nichts, wenn das bestehende Gebäude mit Ausnahme des Dachs erhalten bleibt. Und die zusätzlich generierten Geschosse dem preisgünstigen Wohnen zukommen. Dabei ist wichtig, dass mehr Wohnraum für mehr Menschen entsteht, nicht bloss mehr Wohnfläche.

Der Aufstockungsmechanismus wäre somit ein weiteres Mittel in Richtung Drittelsziel, das auch von Privaten genutzt werden kann. Die Aufstockungen ragten dann um ein oder mehr Geschosse über die bestehende Stadt hinaus. Das «Drittel» würde nicht nur gesamtstädtisch, sondern auf der Ebene einzelner Gebäude eingelöst. In der Stadtsilhouette würde die kollektive Anstrengung ablesbar, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Irgendwann wäre Zürich aufgestockt. Was folgt dann? Vielleicht träumen wir von den Ideen Yona Friedmans, zukünftige Städte leicht, flexibel und mobil über den bereits bestehenden schweben zu lassen.

Der Bestand bestimmt, was möglich ist

Wir möchten festhalten: Auch in der ZAS* gibt es zum besprochenen Mechanismus unterschiedliche Meinungen. Aktives «Nicht-Bauen» muss angesichts der Klimakrise Priorität haben, auch und gerade wenn wir den Ankommenden Platz bieten wollen. Alle können weniger Raum beanspruchen, vor allem jene, die zu viel davon haben. Wir müssen näher zusammenrücken. Kommt es doch zum Bauen – als ultima ratio – bietet der Aufstockungsmechanismus einen interessanten Denkansatz, um die Zeit von Abriss-und-Neubau zu überwinden.

Geht es darum, mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, sorgsam umzugehen, bedeutet das auch, die bestehenden Kapazitäten unseres Gebäudebestands zu nutzen. Das bedeutet, bestehende Traglastreserven auszureizen, ohne mehr Grund und Boden zu beanspruchen oder verführerischen Hochhauskonstruktionen zu verfallen, die mit grossem Aufwand verbunden sind. Wie viele Geschosse aufgestockt werden sollen, ist nicht a priori zu bestimmen, sondern aus dem Bestand heraus zu entwickeln. Dann folgt der Aushandlungsprozess und die städtebauliche Qualitätssicherung. Die Regel für die nächste Zukunft: Der Bestand bestimmt, was möglich ist. Zwei, drei Geschosse mehr reichen aus, um eine ganze Stadt zu verändern.

ZAS* ist ein Zusammenschluss junger Architekt:innen und Stadtbewohner:innen. Unter ihnen kursieren heute verschiedene Versionen darüber, wo, wann und warum dieser Verein gegründet wurde. Dem Zusammenschluss voraus ging eine geteilte Erregung über die kurze Lebensdauer der Gebäude in Zürich. Durch Erzählungen und Aktionen denkt ZAS* die bestehende Stadt weiter und bietet andere Vorstellungen an als jene, die durch normalisierte Prozesse zustande gekommen sind. Um nicht nur Opposition gegenüber den offiziellen Vorschlägen der Stadtplanung zu markieren, werden transformative Gegenvorschläge erarbeitet. Dabei werden imaginative Räume eröffnet und in bestehenden Überlagerungen mögliche Zukünfte lokalisiert. Die Kolumne navigiert mit Ballast auf ein anderes Zürich zu und entspringt einem gemeinsamen Schreibprozess. Zur Kontaktaufnahme schreiben an: [email protected]

Das könnte dich auch interessieren