Wie die «Brudis» (Zusammen-)Arbeit neu definieren wollen

Die Zürcher IT-Bude brudi geht und ebnet in vielerlei Hinsicht neue Wege. Denn bei diesem Unternehmen verdienen nicht nur alle gleich viel und entscheiden solidarisch; es hat sich auch zum Ziel gesetzt, den Begriff Arbeit umzudenken.

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Die Brudis: weder Klo noch fliessend Wasser und trotzdem happy. Bild: Philipp Mikhail

Schon wenn man die Treppen zum Büro von brudi an der Kernstrasse hinaufgeht, merkt man, dass dort die Dinge etwas anders laufen. Je näher man dem Office kommt, umso klarer hört man nämlich die entspannenden Klänge eines elektronischen Ambient-Sets, das über die Anlage im Büro abgespielt wird. «Wir hören eigentlich immer unsere Musik bei der Arbeit», erklärt, Oliver Schneider, der sich auf LinkedIn als «Brocessor» bezeichnet. Die Bezeichnung hat er zurecht gewählt, aber dazu später mehr. In den Räumlichkeiten angekommen, fallen als erstes die vielen Post-It Zettel auf, mit welchen die Wände und Fenster tapeziert sind. Zudem stehen in der Mitte des Raumes ein Mischpult und zwei CDJs - also eine Art digitale Plattenspieler. Oli erklärt weiter, dass alle die bei brudi arbeiten, mitbestimmen, welche Musik während der Arbeit gerade gespielt wird. Doch bei den Brudis geht die Mitsprache der Angestellten noch deutlich weiter als das.

Eine digitale Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Die Brudis mögen es nicht in Schubladen gesteckt werden. Dementsprechend ist es schwierig zu definieren, was sie eigentlich genau machen. Wenn man es trotzdem versuchen möchte, dann könnte man sagen, dass sie neuartige und innovative Lösungen für Unternehmen suchen und bei der Umsetzung mithelfen. Dies beinhaltet unter Anderem die Entwicklung von Software und Design, deckt jedoch bei Weitem noch viele andere Felder ab. Sie unterstützen zum Beispiel auch Unternehmen bei der Lösungsfindung verschiedenster anderer Probleme oder organisieren Trainings und Workshops. Das klingt erstmal banal, ist es aber besonders wegen der Struktur des Unternehmens eben gerade nicht. Dass bei brudi alle gleich viel verdienen und die meisten Entscheidungen im Kollektiv getroffen werden, ist sicherlich exotisch. Wirklich einzigartig macht sie dagegen, dass sie sich zum Ziel gesetzt haben, Beruf und Berufung gleichzusetzen. Kurz: Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben sollen gesprengt werden. Wegen der flachen Hierarchie können neue Ideen jeglicher Art bei brudi auch jederzeit diskutiert und umgesetzt werden. Dies fördert unter anderem auch die Kreativität der einzelnen Mitarbeitenden und nötigt sie teilweise geradezu querzudenken. Ein Brainstorming mit einem Journalisten kann sich so schnell als Quelle neuer Inspiration für eine Software eines Solarzellen Projekts, das sie betreuen, erweisen.

Freunde, die zu Brudis werden

Es ist vermutlich zwingend, dass die momentan achtköpfige Gruppe – bestehend aus Programmierern, Ingenieuren, Design Denkern und einem Ökonomen – sich auch privat bestens versteht. Gewiss ist nicht jede*r bereit, sein/ihr erwirtschaftetes Geld in gleichen Kontingenten mit den anderen Mitarbeitenden zu teilen, unabhängig davon, wer am Ende des Monats wieviel gearbeitet hat. Bei den Brudis funktioniert das. Allerdings teilen sie sich nicht nur den Gewinn, sondern auch Freud und Leid. Denn so macht man das unter Brudis. Nicht zuletzt, weil sie auch neben der Arbeit viel Zeit zusammen verbringen, sei das beim Nachtessen oder im Nachtleben, freuen sich alle sichtlich, zusammen zu werken. Den richtigen «Anschiss» gäbe es nur selten, so Oli. Kein Wunder, die Präsenzzeit der Angestellten ist in der Regel von elf bis vier. Wer nun glaubt, das Leben der Brudis sei ein Ponyhof, irrt dennoch.

Radikale Kompromisse

Denn wer schon einmal Teil eines Kollektivs war, weiss um die Schwierigkeiten eines solchen Konzepts: Endlose Diskussionen, höchst diverse Bedürfnisse und Träume, präzise Kommunikation. «Sich in der Mitte zu treffen, ist weiss Gott nicht immer einfach», erklärt Dominic Leutert, Co-Creation Supporter und frischgebackener Vater. Die Frage «was will ich?» sei ebenso fundamental, wie deren Umsetzung radikal sein könne, fährt er fort. Wichtig sei es, transparent und lösungsorientiert zu sein, fügt er noch hinzu. Und auch lohntechnisch sind die Brudis durchaus kompromissbereit. Was die Brudis genau verdienen, wird hier nicht verraten, es sei aber nur soviel gesagt: würden sie in einem herkömmlichen Unternehmen arbeiten, verdienten sie vermutlich ein Vielfaches. Ferner verzichten sie wegen eines Umbaus momentan auch auf eine richtige Toilette und fliessendes Wasser. Und wenn es auch nur ein temporärer Zustand ist; ein Bisschen Garage-im-Silicon-Valley-Feeling kommt schon auf, wenn man die Kiste mit schmutzigen Gläsern und Kaffeetassen sieht, die jeweils am Abend zur Reinigung mitgenommen werden muss.

Wenn Menschlichkeit auch Nachhaltigkeit bedeutet

Kritiker*innen könnten der brudi GmbH vorwerfen, dass sie – trotz des nachhaltigen Kaffees, den sie selbst aus Kolumbien importieren – zu wenig für die Umwelt tun und letztlich Teil eines Wirtschaftszweiges sind, der irgendwie gar nicht richtig nachhaltig sein kann. Wenn man Umweltbelastung gleichwohl nicht nur als ein politisches, sondern auch als ein soziales Problem definiert, welches primär durch Aufklärung und neue Erkenntnisse gelöst werden kann, leisten die Brudis durchaus ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit. Eine ihrer wichtigsten Prämissen ist nämlich, nach neuen Formen der Arbeit und damit auch nach neuen Lebenskonzepten zu suchen, die mit der Umwelt im Einklang stehen. Im Gegensatz zu vielen anderen, haben sie den ersten Schritt in die ungewisse Zukunft dieses Prozesses gewagt. Es versteht sich von selbst, dass ihnen dieser, ihres digitalen Produkts wegen, etwas einfach gefallen sein muss. Doch ihnen musste, seit der Gründung 2016 durch Sandro Wyss, nie unter die Arme gegriffen werden. Es ist daher anzunehmen, dass man spätestens in ein paar Jahrzehnten Unternehmen wie brudi als Pionier*innen bezeichnen wird, weil sie die sonst üblichen Hierarchien relativiert und statt Profit, die Menschlichkeit ins Zentrum ihrer Tätigkeit gestellt haben.

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