Stroh, Erz, Lehm, Wolle oder Holz? Zu Besuch beim Catan-Turnier in Altstetten

Analoge Brettspiele werden wieder beliebter. In Zürcher Bars und Cafés treffen sich Menschen für Spieleabende mit fremden Personen. Beim Catan-Turnier in Altstetten geht es aber um mehr: Wer hier gewinnt, ist im Halbfinale der Schweizermeisterschaft.

Catan Turnier
10 Uhr in Altstetten: Hier wird Catan gespielt statt ausgeschlafen. (Bild: Sofie David)

Es ist ein verregneter Sonntagmorgen in Altstetten. Im «Bistro ufem Chilehügel» werden Spielbretter aufgestellt, Figuren verteilt und über Strategien gefachsimpelt. 

Hier haben sich 35 Personen eingefunden, um gegeneinander Catan zu spielen. Die meisten von ihnen sind zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Fast alle haben eine eigene Trinkflasche dabei. Sie unterhalten sich darüber, auf welche Ressource man setzen muss oder ob sich die längste Handelsstrasse lohnt. 

Auf jedem der neun Holztische steht eine Spielebox bereit. Es ist ein Qualifikationsturnier für die Schweizermeisterschaft. Wer hier gewinnt, darf ins Halbfinale einziehen.

«Es ist mehr als ein Hobby, es ist meine Leidenschaft.»

Xavi Bühlmann, Veranstalter

Das Brettspiel Catan gibt es seit 30 Jahren, früher hiess es «Die Siedler von Catan», 2015 bekam es die Namensänderung zum Geburtstag. Ziel ist es, auf die richtigen Ressourcen auf dem Feld zu setzen und damit eine Zivilisation aufzubauen. Wer nicht genügend Ressourcen hat, muss mit den Gegner:innen verhandeln. Bis heute wurde das Spiel in mehr als 40 Sprachen übersetzt. 

Weltweit gibt es begeisterte Fans – auch in Zürich. Einer von ihnen ist Khan Truong. Catan lernte er vor etwa einem Jahr über seinen Cousin kennen. Seither spiele er gut einmal in der Woche mit seiner Freundesgruppe, wo es mittlerweile «einfach dazugehört», sagt er. Zusammen hätten sie sich auch am Turnier angemeldet.

Khan Truong
Khan Truong hat in seiner ersten Runde gewonnen. (Bild: Sofie David)

Veranstalter nahm an Weltmeisterschaft teil

Organisiert wird die Schweizermeisterschaft von Xavi Bühlmann mit der Unterstützung von zwei Helfer:innen. «Es ist mehr als ein Hobby, es ist meine Leidenschaft», sagt der pensionierte Primarlehrer. Das Spielen zieht sich durch sein Leben.

Schon früh habe er mit seinem Vater gejasst, später seien dann Canasta oder Romé dazugekommen. Seit fast zwanzig Jahren organisiert der 65-Jährige in Wädenswil den offenen Spieleabend «Wädi spielt». Im Spielwarenladen, den seine Frau betreibt, helfe er auch immer wieder aus.

Zu Catan habe er eine besondere Liebe. Vor allem fasziniert ihn der «variable Aufbau» des Spiels. «Es ist immer wieder anders. Ausserdem gibt es keine Wartezeit.» Auch wenn die anderen Spieler:innen an der Reihe seien, bleibe man involviert.

2005 war er sogar an der Weltmeisterschaft, die im Rahmen der Spielemesse in Essen stattfand. «Ich habe dort gegen Menschen aus aller Welt gespielt. Sie alle sind vom Spiel gleich begeistert wie ich.»

Xavi Bühlmann
Seit 15 Jahren organisiert Xavi Bühlmann die Catan-Schweizermeisterschaft. (Bild: Sofie David)

Um an der Weltmeisterschaft teilzunehmen, muss man sich vorher im eigenen Land den Meistertitel holen. Als die Catan-Schweizermeisterschaft 2009 plötzlich nicht mehr stattfand, habe ihn das dementsprechend gestört. «Das Feuer», des Berner Siedlerclubs, die das Turnier zuvor organisiert hatten, «brannte nicht mehr genug für den Aufwand, eine Meisterschaft zu organisieren», meint Bühlmann. Also fragte er beim Spielevertrieb Kosmos an, ob er die Meisterschaft wieder einführen könne. Seither stemmt er dessen Organisation.

Früher habe er selbst an den Turnieren teilgenommen, heute ist er aber vor allem als Veranstalter tätig; nur 2023 sei er nochmal als Spieler eingesprungen, weil spontan mehrere Personen abgesagt hätten. Bis heute ist Catan sein Lieblingsspiel, aber: «Am Turnier ist der Spagat zwischen dem Spielen und der Organisation zu stressig geworden.»

«Du musst den anderen überzeugen, dich gewinnen zu lassen»

Altstetten ist nicht der einzige Austragungsort: Auch in Fribourg und St. Gallen finden Qualifikationsturniere statt. Dadurch erreiche man auch Spieler:innen, die nicht nach Zürich reisen möchten. «Ziel ist es, die Meisterschaft auszubauen, aber das ist natürlich ein Ausprobieren», sagt Xavi Bühlmann. Ganz dem Motto: Wenn die Leute nicht zum Turnier kommen, kommt das Turnier zu den Leuten.

Eine der wenigen Ostschweizer:innen in Altstetten ist Anita Broger. Sie trägt eine schmale Brille und eine blaue Kapuzenjacke. Vor ihr auf dem Tisch steht ein Eistee. Sie hat soeben die erste Runde gewonnen. Die 30-Jährige ist extra von St. Gallen nach Zürich gefahren, obwohl dort ebenfalls ein Qualifikationsturnier stattfindet. «Das ist kein Problem, ich nehme an beiden Turnieren teil.» Die Regeln würden dies erlauben.

Sie hoffe, sich in St. Gallen für das Halbfinale zu qualifizieren, in Zürich rechne sie nicht mit dem Sieg. «Die Zürcher:innen sind etwas angefressener», erklärt sie. Hier gibt es ihr zufolge es mehr gute Spieler:innen. An den Turnieren würde sie häufig mit ihrem Partner sowie mit ihren zwei Brüdern teilnehmen.

Broger gewann, obwohl sie mit Dominik Vagstad den amtierenden Meister als Gegner hatte. «Das hatte vor allem mit Glück zu tun», sind sich beide einig. Das Spiel sei sehr ausgeglichen gewesen, hätten sie auf mehr als zehn Punkte gespielt, hätten alle vier Spieler:innen Chancen auf den Sieg gehabt.

Anita Broger und Dominik Vagstad
Anita Broger und Dominik Vagstad sind beide ziemlich spielbegeistert. (Bild: Sofie David)

Da es beim Spiel auch viel ums Feilschen gehe, müsse man wissen, wie man manipuliert, sagt Vagstad. «Du musst den anderen davon überzeugen, dich gewinnen zu lassen.»

Auch in Vagstadts Leben haben Spiele eine wichtige Rolle. Die Catan Schweizermeisterschaft gewann er bereits zwei Mal: 2022 und 2024. Im Sommer plant er die Eröffnung einer eigenen Spielbar an der Zürcher Rosengartenstrasse. 

Er scheint damit einen Nerv zu treffen. In den vergangenen Jahren haben analoge Spiele zunehmend an Beliebtheit gewonnen. So gibt es in der Stadt immer mehr Tichu- oder Jassturniere.

Catan spielen statt telefonieren

Deutlich weniger lange als Broger und Vagstadt spielt Alina Pettersson. Sie ist erst vor kurzem zu ihrem Ehemann nach Engelberg gezogen. Ursprünglich kommt sie aus Kasachstan, doch die letzten zehn Jahre habe sie in Frankreich gelebt.

Zu ihrem Mann führte sie eine Fernbeziehung. Dabei habe Catan eine wichtige Rolle gespielt. Seit sie das Spiel vor einigen Monaten entdeckt hatten, seien sie jeweils online gegeneinander angetreten. Das sei spannender gewesen, als jeden Tag dasselbe Telefonat zu führen. Dass sie nur Englisch spricht, sei am Turnier kein Problem, sämtliche Gegenspieler:innen würden sich gerne anpassen.

Alina Petersson
Alina Petterssons Ehemann meldete sie beim Turnier an. (Bild: Sofie David)

Die Spielrunden dauern ungefähr eine Stunde, wobei gegen Schluss ein Timer eingesetzt wird, um zu verhindern, dass die Spieler:innen zu viel Zeit für einen Zug in Anspruch nehmen.

Kurz nach 16 Uhr stehen die beiden Gewinner:innen fest. Pettersson gehört nicht dazu, doch zu ihrem eigenen Überraschen kommt sie bis in die finale Runde, nachdem sie jede der drei Vorrunden gewonnen hat. 

Eigentlich hätte sie nicht erwartet, bei auch nur einem Spiel zu gewinnen. Sie sei froh, teilgenommen zu haben und werde sicher im nächsten Jahr wiederkommen.

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Sofie David

Sofies Begeisterung für die Medienbranche zeigt sich in ihren diversen Projekten: Sie leitete den Zeitungs-Kurs im Ferienlager, für die Jungen Jorunalist:innen Schweiz organisiert sie seit mehreren Jahren das Medienfestival «Journalismus Jetzt» mit. Teilzeit studiert sie an der ZHAW Kommunikation. Zu Tsüri.ch kam sie zunächst 2022 als Civic Media Praktikantin. 2024 kehrte sie dann als Projektleiterin und Briefing-Autorin zurück und momentan macht sie als erste Person ihr zweites Tsüri-Praktikum.

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Kommentare

Xavi Bühlmann
26. März 2025 um 11:28

Vielen Dank ...

...für deinen Besuch, Sofie, und den tollen Bericht :-) Wir sehen uns hoffentlich wieder einmal beim Spielen. Xavi