Big Tech in Zürich: Kommt das Silicon Limmattal?
Die grossen IT-Firmen sind schon lange in Zürich. Doch die neuesten Expansionspläne von Google und Facebook sowie der Zuzug von Zalando lösen Hoffnungen und Ängste aus. Die Stadt könnte sich zu einem zweiten Silicon Valley entwickeln. Fest steht: Der Mangel an IT-Fachkräften ist gewaltig. Kleine und mittlere Unternehmen können mit den Löhnen der Grossen nicht mithalten, haben dafür aber andere Vorteile.
Eine Rutsche wie auf dem Kinderspielplatz, eine Boulderwand, eine «Water Lounge» mit Aquarien und Badewanne: Wer die Zürcher Vertretung von Google, nun ja, googelt, dem eröffnen sich Bilder einer Welt, die mehr nach Freizeit als nach Arbeit aussieht.
Über 4000 Mitarbeiter:innen hat der Konzern hier an seinem grössten Standort ausserhalb der USA. Sie kommen nicht nur wegen dem firmeninternen Spassangebot, sondern auch wegen des Geldes, das sich hier als junges IT-Talent verdienen lässt. Und der Konzern will weiter kräftig ausbauen in Zürich: 2023 soll beim Stauffacher ein dritter Standort nach dem Hürlimann-Areal und der Europaallee eröffnen, wie die NZZ im Sommer berichtete.
Auch Facebook, das ja gerade erst den Aufbau seines Metaverse angekündigt hat, will seine Belegschaft in Zürich verdoppeln: Immerhin von 150 auf 300 Mitarbeitende, wie Watson schreibt. Und dann ist da noch das deutsche Online-Versandhaus Zalando. Wie der Tagesanzeiger berichtete, mietet sich das Unternehmen ab 2022 im Prime Tower ein, um um dort die Entwicklung einer digitalen Umkleidekabine voranzutreiben.
Amazon und Microsoft sind sowieso schon längst da und auch Apple sucht immer wieder nach IT-Spezialist:innen für einen nicht näher genannten Standort in Zürich. Big Tech ist also präsent an der Limmat, so präsent, dass Manche schon ein neues Silicon Valley heraufziehen sehen.
Was Zürich für die grossen Firmen attraktiv macht, ist, dass es hier eine relativ hohe Dichte an gescheiten Leuten gibt.
Dorian Selz, Squirro
Hohe Dichte an gescheiten Leuten
Doch das sei übertrieben, meint Dorian Selz. Er gründete 2004 das Unternehmen Local.ch, ist aktuell Geschäftsführer des Start-Ups Squirro und hat die Entwicklung der letzten 20 Jahre in der Branche hautnah miterlebt: «Ein neues Silicon Valley wird es in der Schweiz nicht geben», erklärt er: «Zürich ist kein Hub im Sinne von Unternehmensgründungen, sondern im Sinne eines Technologieschwerpunkts.»
Kapital gäbe es hier schon, sagt Selz. Aber im Vergleich zu den USA seien die Summen, die hier investiert werden, Krümel: «Ausserdem ist die Schweiz kein grosser Markt, man muss ziemlich schnell raus aus dem Land, wenn es um die Distribution geht. Was Zürich aber für die grossen Firmen attraktiv macht, ist, dass es hier eine relativ hohe Dichte an gescheiten Leuten gibt. Und gute Leute ziehen gute Leute an.»
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Der Grund für die hohe Dichte an gescheiten Leuten ist auf drei Buchstaben zurückzuführen: ETH. Die Hochschule geniesst einen exzellenten Ruf und verfügt über das nötige Knowhow, zum Beispiel im Bereich Virtual Reality, der wegen Projekten wie dem Metaverse gerade einer der gefragtesten ist. Die hier ausgebildeten Talente werden von den Unternehmen mit Kusshand übernommen, genauso wie Start-Up-Gründungen aus dem ETH-Umfeld.
Rund 400 Spin-Off-Unternehmen hätten sich seit 1996 gegründet, erklärt die Medienstelle der ETH auf Anfrage. Darunter ist auch die Fision AG, deren 3D-Software die Grundlage für Zalandos virtuelle Umkleidekabinen bilden soll. Auch Google Maps basiere in weiten Teilen auf der Arbeit von Schweizer IT-Fachleuten, die von Google Zürich 2006 übernommen wurden, so Dorian Selz. Und die Gesichtserkennungssoftware von Apple sei mit Schweizer Know-How entwickelt worden.
Die Firmen expandieren, die ETH auch
Bei der ETH freut man sich über die Aufmerksamkeit der Tech-Firmen. Man profitiere davon, «dass die Strahlkraft Zürichs als High-Tech-Standort dank internationalen Technologieunternehmen wie Facebook oder Google steigt», erklärt die Medienstelle auf Anfrage. Die Attraktivität der ETH nehme so weltweit noch zu, die Innovation werde gefördert: «Das ist letztlich ganz im Sinne der ETH.» Parallel zu den IT-Unternehmen werden auch an der Hochschule die Kapazitäten erweitert.
In den letzten zehn Jahren seien die Neueinschreibungen im Informatik-Bachelor von rund 150 auf 420 gestiegen, erklärt die Medienstelle, in den Masterstudiengängen von 145 auf 514. Parallel dazu habe man in den letzten Jahren neue Masterstudiengänge und Weiterbildungsangebote in Cyber Security und Data Science aufgebaut.
Die Lohnvorstellungen bei Entwickler:innen sind oft brutal
Kaspar Gertsch, Mitgründer von Denteo
Und doch herrscht gewaltiger Personalmangel im Silicon Limmattal. Es gibt kaum Unternehmen, die nicht nach IT-Fachleuten suchen. Dazu gehören auch KMUs oder Verwaltungen, die ihre Digitalisierung vorantreiben wollen. Und die Grossen machten den Mangel für die Kleinen noch schlimmer, heisst es immer wieder. Denn sie zahlen so hohe Löhne, dass Start-Ups oder KMUs gar nicht mithalten könnten.
8000 Franken bekommen alleine Praktikant:innen bei Facebook, hat die NZZ recherchiert, bei Google liege der Monatslohn oft über 11’000 Franken. Auch Dorian Selz klagte über sein Leid bereits gegenüber dem Tages-Anzeiger: Mittelgrosse Unternehmen wie seines könnten mit den Löhnen der Grossen nicht mithalten, Start-Ups in der Gründungsphase könnten fast nur noch aus dem Familien- und Freundeskreis rekrutieren.
Familiäre Atmosphäre oder 350’000 Franken
«Die Lohnvorstellungen bei Entwickler:innen sind oft brutal», meint auch Kaspar Gertsch. Er ist einer der Gründer von Denteo, einem Start-Up, das eine Praxissoftware für Zahnarztpraxen entwickelt hat. Doch er finde durchaus Personal, erklärt er: «Wir stehen nicht unbedingt in direkter Konkurrenz zu Firmen wie Google. Als kleine Unternehmung sind bei uns die menschlichen Aspekte genauso wichtig wie technische Fähigkeiten. Leute, die beispielsweise in erster Linie an technischen Problemen interessiert sind, sich tief in Engineering Challenges vergraben wollen ohne sich Gedanken um den Business Value machen zu müssen, sind vielleicht bei grösseren Unternehmungen besser aufgehoben.»
Während die Grossen natürlich deutlich mehr zahlen – Gertsch hat von gut ausgebildeten Google-Mitarbeitenden gehört, die 350’000 Franken im Jahr verdienen – könne ein Start-Up wie seines mit einer familiären Atmosphäre punkten sowie der Aussicht, im Unternehmen langfristig Verantwortung zu übernehmen: «Ich vermute mal, dass man bei Facebook, Google und so weiter stärker in seiner Rolle steckt.»
Das bestätigt auch Selz: «Es ist nicht mehr, wie es einmal war. Die Arbeit bei diesen Grosskonzernen ist streng strukturiert. Doch das ist eine natürliche Entwicklung: Ein Unternehmen mit 50’000 Mitarbeitern ist anders organisiert als eines mit 1000. Für wirklich ambitionierte junge Leute gibt es eigentlich viel spannendere Jobs als zu Google, Facebook, Amazon oder einem der anderen Grossen zu gehen.»
Der Zuzug als Chance
Am schwierigsten sei es, geschlechterdivers zu rekrutieren, erzählt Gertsch: «Gut ausgebildete Frauen in der IT sind selten und ziemlich begehrt. Sie wissen das auch und gehen oft sehr selbstbewusst in Rekrutierungsverfahren. Auch gingen uns Frauen gefühlt überdurchschnittlich oft während des Bewerbungsprozesses an Google verloren.» Abgeworben wurde ihm bisher erst ein Mitarbeiter, erzählt er.
Aber das sei ein weit verbreitetes Phänomen. Manche Firmen stellen auch gut ausgebildete IT-Fachkräfte aus dem Ausland an, die dann remote von zu Hause aus arbeiten, oft aus Osteuropa. Bei Denteo komme das nur bedingt in Frage, so Gertsch: «Wir arbeiten zum Teil mit Freelancern aus Tschechien zusammen, die uns unterstützen. Aber wir sehen es momentan nicht, dass wir durch Remote-Mitarbeiter:innen die Kollaboration und Magie entstehen lassen können, die im Büro passiert, durch gemeinsame Erfahrungen und Face-to-Face-Kommunikation. Und das ist wichtig, weil wir ein Unternehmen im Aufbau sind, wo noch Vieles am Entstehen ist.»
Gertsch sieht auch eine grosse Chance im Zuzug grosser IT-Unternehmen: «Dadurch kommen auch viele Leute nach Zürich. Und die haben nach zwei, drei Jahren vielleicht auch keine Lust mehr auf den rein finanziellen Gewinn. Sie wollen noch etwas anderes im Leben. Das könnte dann auch eine Chance für Firmen wie uns sein.»
Währenddessen werden für die grossen Firmen die gut ausgebildeten IT-Fachkräfte in Osteuropa sowie der dortige EU-Marktzugang immer interessanter: Wie Watson schreibt, will Facebook seine Präsenz in Europa deutlich ausbauen. Weit mehr als auf Zürich schiele der Konzern dabei auf den Osten des Kontinents. Vielleicht heisst es dann ja bald eher Silicon Moldautal statt Silicon Limmattal.
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