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«Sex sollte keine To-do-Liste sein» – ein Gespräch über Lustlosigkeit
An den «Porny Days» in Zürich lädt Beate Absalon zur Gesprächsrunde über sexuelle Lust und Unlust. Im Interview klärt die Kulturwissenschaftlerin die Frage, ob Sex zur gesellschaftlichen Verpflichtung geworden ist.
Nina Schneider: Statistiken zeigen, dass Menschen seltener Sex haben, sich vermehrt lustlos fühlen. An den Porny Days in Zürich laden Sie deshalb zum Gespräch über Unlust und sexuellen Erfolgsdruck. Vergeht uns die Lust am Sex?
Beate Absalon: Man muss genauer hinsehen, denn diese Statistiken betrachten oft nur penetrativen Geschlechtsverkehr. Sex kann jedoch so viel mehr sein. Vielleicht vergeht uns die Lust auf bestimmte Arten von Sex – auf Sex, der als Pflicht empfunden wird oder der instrumentalisiert wird, etwa zur Bestätigung des Selbstwerts. Das heisst nicht, dass generell keine Lust mehr verspürt werden kann, sondern dass Sex offener definiert werden müsste.
Wenn Menschen doch unter Lustlosigkeit leiden, wie können sie diese überwinden?
Der erste Schritt wäre, mit einer wohlwollenden und neugierigen Haltung ein Interesse für sich selbst zu entwickeln. Wann habe ich Lust, die nicht gleich etwas mit Sex zu tun haben muss? Welche Situationen, Gerüche, Worte oder Fantasien sprechen mich an?
Wir können Räume schaffen, die die Lust freundlich einladen, ohne Druck, dass sie kommen muss. Das kann eine warme, sinnliche Atmosphäre sein, ein klärendes Gespräch mit dem oder der Partner:in oder etwas, das einen wieder mehr den Körper spüren lässt, vom Achterbahn fahren bis zum Zumba tanzen.
Beim Achterbahnfahren und Tanzen gibt es aber keinen Orgasmus.
Natürlich kann ein Orgasmus eine tolle Erfahrung sein, aber wenn der Orgasmus das Ziel ist, erzeugt das einen Druck. Es gibt einen Unterschied zwischen «einen Orgasmus haben» und «orgasmisch sein».
Inwiefern ist das nicht dasselbe?
Vielleicht lässt es sich mit einer Bergwanderung vergleichen. Wenn es das Wichtigste ist, den Gipfel zu erreichen und oben als Beweis siegreich ein Fähnchen einzustecken, verpasst man die Erfahrung als Gesamterlebnis: den Weg hoch, die Pausensnacks, die Ausblicke dazwischen. Sonst wird Sex zu einer To-do-Liste – und das sollte er nicht sein.
Wie wirkt sich das Alter auf die Lust aus?
Es herrscht das Klischee, dass die Lust mit dem Alter abnimmt, während man es im Jugendalter wild treibt. Das lässt sich aber nicht pauschalisieren. Viele ältere Personen berichten von ihrem florierenden Sexleben. Das könnte auch etwas mit einer neuen Entspannung zu tun haben.
Fällt man eh aus der gesellschaftlichen Norm der Sexyness, muss man nicht mehr verkrampft versuchen, ihr entsprechen zu müssen, sondern genügt und vergnügt sich stattdessen. Jüngere Personen scheinen demgegenüber das Lustvolle am Verzicht für sich zu entdecken und ersparen sich so den Stress, den Sex als wenig befriedigender Konkurrenzkampf erzeugen kann.
Welche Rolle spielen dabei Pornos: Sind sie Lustkiller oder Stimmungsmacher?
Pornos werden oft verteufelt, aber ich glaube, es kommt darauf an, wie sie genutzt werden. An Mainstream-Pornografie wird meist problematisiert, dass sie ein eindimensionales Bild von Sex vermittle.
Aber Festivals wie die Porny Days zeigen vielfältige Seiten: queer-feministische Filme, die Sex als Spielfläche zeigen und auch Raum für Ambivalenzen, Fürsorglichkeit und neue Zugänge schaffen. Diese Filme können inspirierend sein, weil sie zeigen, was Sex alles sein kann – dass er unheimlich sein kann, aber auch sweet oder lustig, und dass er nicht perfekt sein muss. Diese Sinnoffenheit zu sehen, kann einem guttun.
Haben Sie sonst noch einen Tipp, wie man durch den Besuch von Events wie den Porny Days noch mehr Lust ins eigene Leben bringen kann?
Ich finde es hilfreich, ein Notizbuch zu führen. Anstatt nur zu konsumieren, könnte man nach einem Film oder Workshop schreibend reflektieren: Was hat mich berührt? Was hat mich vielleicht abgestossen? Warum? So eine kleine Forschungsreise in die eigene Lust kann unglaublich spannend sein. Und wir entwickeln dadurch ein Verständnis für uns selbst und können unser Liebesleben dann quasi entlang unserer eigenen Bedürfnisse massschneidern.
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