Eine Tellerwäscher-Geschichte made in 8048: Die Halter AG

Spricht man über Stadtentwicklung und den Kreis 9, fällt schnell der Name Halter. Das Unternehmen hat in den letzten hundert Jahren diverse Grundstücke in Altstetten bebaut und entwickelt, und so das Quartier geprägt. Eine Begegnung mit Balz Halter.

Balz Halter führt seit 37 Jahren ein Bau- und Immobilienunternehmen, das den Namen der Familie trägt. (Bild: Lara Blatter)

Am Empfang begrüsst ein iPad. Wenige Minuten später erscheint Jost Balthasar Halter, besser bekannt als Balz Halter. Mit optimalem Händedruck und einem leichten, aber zielstrebigen Gang führt er in die oberen Stockwerke des Baus. Statt in sein Büro leitet er in einen offenen Raum, wo auch andere Mitarbeitende Espressi trinken und Sitzungen halten. Der erste Eindruck passt zur Positionierung des Unternehmens: modern und visionär.

Der 62-Jährige führt die Halter AG als Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär in dritter Generation. Er übernahm die Firma mit 26 Jahren aufgrund eines verfrühten Todes seines Vaters. Das einstige Bauunternehmen wandelte sich unter ihm zu einer «Pionierin für Arealentwicklung». 

Hinter der Firma steht heute eine ganze Gruppe, mit rund zehn Firmen, die verschiedene Bau- und Immobilienleistungen anbieten und sich alle im Entferntesten mit Städtebau beschäftigen. Von einem Familienunternehmen kann nicht mehr die Rede sein. Die Halter AG alleine beschäftigt rund 400 Mitarbeitende und erwirtschaftet einen jährlichen Umsatz von rund 800 Millionen Franken. 

Befasst man sich mit den Entwicklungen im Quartier Altstetten, sind die Halters nicht ganz unwichtig. Bekanntere Halter-Bauten sind etwa die Gewerbeüberbauung Im Struppen, die städtische Siedlung Grünau, die Grossüberbauung Limmatwest im Kreis 5 oder das Lagerhaus von Franz Carl Weber, welches heute als Gleis 70 bekannt ist: ein genossenschaftlich geführtes Gewerbe- und Atelierhaus. 

Neubauprojekt «Letzigarten»: In eineinhalb Jahren werden die ersten Häuser an der Baslerstrasse abgerissen. (Bild: Isabel Brun)

«Wir werden kritisiert, wenn wir bauen. Wir werden kritisiert, wenn wir nicht bauen.»

Balz Halter

Je grösser der Einfluss, desto grösser ist auch das öffentliche Interesse. Erst kürzlich stand das Unternehmen in der Kritik. Aufgrund des Neubauprojekts «Letzigarten» blüht über 700 Mieter:innen die Verdrängung. Eigentümer des Areals ist Balz Halter und weitere Halter-Erben, mit dem Projekt beauftragt ist seine Firma.

Mit der Kritik müsse er leben, sagte er damals zu Tsüri.ch: «Verdichtungsprojekte, die einen Abriss der bestehenden Liegenschaften erfordern, haben in Zürich grundsätzlich einen schweren Stand.» Kündigungen seien Teil der Realität in Zürich.

Balz Halter, ein Wolf im Schafspelz? Die Frage lässt den Unternehmer kalt. «Wir werden kritisiert, wenn wir bauen. Wir werden kritisiert, wenn wir nicht bauen», sagt er. Es allen recht machen, das gehe nie. 

Verfechter der Agglo 

Der Sitz des Unternehmens befindet sich ausserhalb der Stadt. Nämlich da, wo die Badenerstrasse zur Zürcherstrasse wird – in Schlieren.

Von der klaren Grenzziehung zwischen Zürich und Agglomeration hält er wenig. «Wir müssen Altstetten, Albisrieden, Schlieren und das ganze Limmattal als einen Raum anschauen und uns überlegen, wohin wir wollen», sagt er. Die Agglo schmackhaft machen, kann er. Wo Zeitungen in den 00er-Jahren Schlieren noch als «Abfallkübel vom Kanton» beschrieben hätten, lebe es sich heute ganz gut – und vor allem günstiger als in der Stadt, betont Halter.

Der Agglomeration eile zu Unrecht ein schlechter Ruf voraus, längst sei sie Teil des urbanen Raums. «Zürich hat das Gefühl, es muss alles auf städtischem Boden passieren. Aber das muss es nicht», sagt er. Im 19. und 20. Jahrhundert habe man Vororte in Zürich eingemeindet, heute müsse man das in Form von gemeinsamem Städtebau tun, findet Halter. Es gelte den nächsten Kreis, um Zürich zu ziehen. ​​Dafür hat er beispielsweise die Limmatstadt AG lanciert, eine regionale Standortförderung, aus welcher er sich aber im Frühling dieses Jahres zurückzog.

Altstetten, Zürich West und jetzt Schlieren: Der Sitz der Halter Gruppe. (Bild: Lara Blatter)

Die Halters, eine Grossfamilie mit 130 Liegenschaften

Mittlerweile entwickelt, plant und baut die Halter Gruppe weit über die Zürcher Agglo hinaus und hat schweizweite Ableger. Doch die Ursprünge des Immobilienentwicklers führen nach Altstetten. 

1918 übernahm der Grossvater von Balz Halter ein bestehendes Maurergeschäft unweit des Lindenplatzes. Das Startkapital für die Firmengründung hatte er grösstenteils selber erarbeitet, zunächst als Gleisarbeiter, dann als Bauführer im Strassenbau. «Mit unermüdlichem Einsatz und sicherem Geschäftssinn brachte Wilhelm Halter seine Firma schon bald auf ein solides Fundament», heisst es im Buch zum 100-jährigen Halter-Jubiläum. Schon wenige Jahre später war er einer der wohlhabendsten Bürger der Gemeinde Altstetten.

Den Kreis 9 gab es zu dieser Zeit noch nicht. Altstetten wurde erst 1934 ein Teil von Zürich. Doch die Zeichen standen auf wirtschaftlichen Boom und das erkannte Wilhelm Halter. Er erwarb zahlreiche Landreserven, baute sowohl für sich selbst als auch für private Bauherren, die Stadt und Genossenschaften. 

Limmatwest: Im einstigen Industriequartier hat die Firma Mitte der 1990er-Jahre diese Grossüberbauung errichtet. Sie galt damals als ein besonders innovatives Projekt hinsichtlich Architektur und Durchmischung von Wohnen und Arbeiten. (Bild: Isabel Brun)
Gemeinsam mit der Stadt Zürich baute Halter in den 70er-Jahren die Siedlung Grünau direkt bei der Europabrücke. (Bild: Isabel Brun)

Aus einem kleinen Büezer-Betrieb wurde ein grosses Generalunternehmen, das in den ersten 50 Jahren seines Bestehens rund 1800 Wohnungen, 200 Einfamilienhäuser, grössere Geschäfts- und Gewerbebauten und Schulhäuser in Zürich errichtet hat. Eine Tellerwäscher-Geschichte made in 8048.

Wie viele Liegenschaften heute noch seiner Familie im Kreis 9 gehören, kann Balz Halter nicht sagen. Sein Grossvater hatte fünf Kinder, dementsprechend verzettelt ist mittlerweile sein Erbe. Die aktuellste Übersicht der Besitzverhältnisse stammt aus dem Jahr 1996: Im städtischen Adressbuch von damals waren im Kreis 9 knapp 130 Liegenschaften im Besitz der Familie Halter. 

Altstetten wird umgebaut

Balz Halter ist in Uitikon aufgewachsen, heute wohnt er in Wettswil. Nostalgische Gefühle hegt er durchaus für den Kreis 9. Als Jugendlicher verbrachte er aufgrund des damaligen Wohnortes und Firmensitzes viel Zeit in Altstetten. Seine unternehmerischen Tätigkeiten sind wie das Unternehmen aber aus Zürich hinausgewachsen.

Dabei verändert sich das grösste Quartier Zürichs rasant: Ganze Siedlungen werden abgerissen, neue Hochhäuser zieren bereits den Horizont – weitere werden folgen. Auch wenn Halter vom Potenzial der Agglo schwärmt; seine Firma baut Altstetten ebenfalls mit um. «Altstetten steht mitten in einem Erneuerungsprozess – Zürich muss verdichten», sagt er. 

Gegen diesen Erneuerungsprozess gibt es aber viel Gegenwind: Grosse Bauprojekte, die Massenkündigungen mit sich ziehen, sind zum Politikum geworden. Dass der Widerstand wächst, kann der Unternehmer nachvollziehen: «Veränderungen, der Verlust von Heimat und von bezahlbarem Wohnraum macht Angst. Das Bevölkerungswachstum überfordert uns alle.» 

Weniger Zuwanderung würde den Wohnungsmarkt am schnellsten entlasten. Klare Worte fand er auch in der aktuellsten Ausgabe vom Komplex, dem Magazin der Halter-Gruppe: «Die politisch Linke spricht vom Marktversagen und versucht, die Gelegenheit zu nutzen, weiter zu regulieren und Eigentumsrechte zu beschneiden, statt das Übel an der Wurzel zu packen.»

Balz Halters Antwort auf die Wohnkrise: Das Angebot ankurbeln – bauen. (Bild: Isabel Brun)

Seine Lösung gleicht jenem Vorschlag der Bürgerlichen: Bauen, bauen, bauen. Doch politische Prozesse würden dies systematisch verhindern. Verdichtungsprojekte könnten an wenigen Gegenstimmen scheitern, was zu erheblichen Rechtsunsicherheiten für die Baubranche führe.

Dass durch Ersatzneubauten günstiger Wohnraum verloren geht, bestreitet Halter nicht. Doch die Rahmenbedingungen würden oft gegen den Erhalt von Liegenschaften sprechen. «Die Auflagen zwingen uns oft zum Abriss», sagt er. Gewissensbisse hat er nicht. «Wir reissen nicht leichtfertig ab. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr.»

Zürich betreibt keinen Städtebau

Halter will Verantwortung übernehmen. Ein neueres Projekt widmet sich deshalb dem gemeinsamen Städtebau, für den er vehement plädiert: Im Sommer 2023 hat Balz Halter gemeinsam mit weiteren Fachpersonen aus den Bereichen Planung, Immobilien und Architektur das Manifest «Urbanistica – Vereinigung für guten Städtebau» veröffentlicht.

Darin kritisieren die über 1500 Unterzeichner:innen, dass die Wohnungsknappheit eine Folge von verfehlter Raumplanung ist. Guter Städtebau führe zu weniger Verkehr, bezahlbarem Wohnraum und einem verbessertem Stadtklima. Balz Halter sieht die Gemeinden in der Verantwortung, «endlich» Stadtplanung zu betreiben und über die eigenen Ortsgrenzen hinaus zu denken. Der Immobilienentwickler betont, dass dies staatliche Eingriffe in den Markt vermeiden würde.

Balz Halter: «Zürich fehlt es an einer übergeordneten Stadtplanung.» (Bild: Lara Blatter)

Will man als Bauherrschaft ein grosses Areal entwickeln und verdichten, «ist man gezwungen, einen Gestaltungsplan durchzuführen». Dieser kann aber nicht über den eigenen Grundstücksrand hinausgehen. Genau das sei beispielsweise in Zürich West passiert. Das einstige Industriequartier ist heute geprägt von einer Vielzahl von Gestaltungsplänen, die nicht zusammenwirken. Halter spricht von «Inselurbanisums». Die Stimmung wirkt ausgestorben. «Zürich fehlt es an einer übergeordneten Stadtplanung», schlussfolgert er, der selbst in die Entwicklung von Zürich West involviert war. Es sei Aufgabe der Gemeinden, eine Bauordnung zu schaffen, die aufzeigt, wie sich die Gemeinden entwickeln sollen und wo man verdichten will. 

Verdichtungs-Vorhaben wie der Aufstockungs-Initiative der FDP steht er aber auch kritisch gegenüber. Überall in der Stadt soll ein Stock höher gebaut werden können, als dies bis anhin erlaubt ist. Das sei weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll und städtebaulich wenig attraktiv. «Das führt zu einem grossen Flickenteppich, das ist keine gute Strategie.»

Altstetten im Fokus

Wir nehmen dich mit zu den spannendsten Orten in Altstetten. In den nächsten Tagen publizieren wir hier auf Tsüri.ch Recherchen, Reportagen und Porträts. Willst du mehr wissen? Dann komme mit auf die Velo-Tour durch Altstetten zum Thema Stadtentwicklung und Wohnungsnot! Hier kannst du dich anmelden.

Visionen mit wirtschaftlichem Potenzial

Halters Einfluss auf die Szene ist gross, entsprechend winken die meisten ab, sich öffentlich zum Engagement von Balz Halter und seinem Unternehmen zu äussern. 

«Die Halter Gruppe spaltet die Architekt:innen. Einerseits setzten sie sich sehr für Städtebau ein, was ihnen hoch anzurechnen ist. Dass nicht immer ästhetische Ziele, sondern auch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen, ist naheliegend. Da gibts ein Seilziehen. Aber das gehört dazu», so der Architekt und ZHAW-Professor Stefan Kurath.

Während Zürich gebaut ist, gibt es in der Agglomeration noch grosses Entwicklungspotential und dieses erkennt das Immobilienunternehmen. Balz Halters Vision einer modernen Stadt mit wenig Verkehr, guter Durchmischung und einer hippen Agglomeration klingt aufs erste nach einer Zukunft, wie man sie sich wünscht. Doch die Frage ist nur, für wen er diese Stadt entwickelt. So wird er auch weiterhin für die einen ein Wolf im Schafspelz und für andere ein Pionier im Städtebau sein. 

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