Autonome Arbeit – ein leeres Versprechen?

Neue Managementkonzepte versprechen den Mitarbeitenden oft viel: Autonomie, Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit. Doch die Realität sieht häufig anders aus.

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Bild: Vladimir Kudinov via Unsplash

Autor: Nicolà Bezzola

Der Pharma-Riese Novartis arbeitet laut Presseberichten an einem radikalen Umbau der Unternehmensstruktur. Gemäss der neuen Strategie «Unboss», benannt nach dem gleichnamigen Buch der dänischen Autoren Lars Kolind und Jacob Bøtter, setzt Novartis vermehrt auf flache Hierarchien, mehr Selbstbestimmtheit der Mitarbeitenden und «Purpose» vor Profit. Auch andere Konzerne setzen schon länger auf ähnliche Managementkonzepte.

Mehr Sinn gleich mehr Leistung?

Die Grundpfeiler der Unternehmenskultur verschiedener Firmen heissen neu: Selbstverwirklichung und Selbstbestimmtheit. Google gibt zum Beispiel einigen Mitarbeitenden die Möglichkeit, eine gewisse Zeit pro Woche einem Projekt nach Wahl zu widmen, wobei dieses Projekt nichts mit ihren üblichen Aufgaben zu tun haben muss. Das Unternehmen Microsoft pflegt eine Unternehmenskultur, die in ähnlichem Sinne auf Empathie, individuellem Empowerment und flachen Hierarchien aufbaut. Und auch Starbucks hat sich einem ähnlichen Konzept – «Servant Leadership» – verschrieben.

Dieser Fokus auf Autonomie und Selbstverwirklichung geht auf Managementkonzepte der 1990er Jahre zurück, die den Mitarbeitenden selbstbestimmtes Arbeiten, Selbstverwirklichung und Sinnhaftigkeit versprechen und versuchen, sie so zu Kreativität und hohen Leistungen zu inspirieren. Persönliche und betriebliche Ziele sollen sich angleichen. In diesem Sinne betonte der Novartis CEO Vasant Narasimhan an einem Firmenanlass: «Wir arbeiten nicht für Novartis – wir sind Novartis».

Selbstbestimmtes und kreatives Arbeiten – hört sich gut an. Doch ein kritischer und vertiefter Blick lohnt sich. Tatsächlich hat sich im Vergleich zu früher einiges verbessert. Aber diese neuen Entwicklungen bringen auch problematische Folgen mit sich: So sind die Mitarbeitenden zwar frei in der Arbeitsgestaltung, müssen aber mit hohen Zielen und Druck selber umgehen. Die Flexibilisierung des Arbeitsprozesses hat oft zur Folge, dass die Ergebnisorientierung zum zentralen Aspekt der Leistungssteuerung wird. Der ständige Druck Ziele erreichen zu müssen, bringt die Gefahr mit sich, dass die Beschäftigten unter hohem Stress leiden und sich selbst ausbeuten. Auch in der Schweiz sind psychische Belastungen und Stress weit verbreitet und haben zuletzt zugenommen.

Der Markt im Unternehmen

In den letzten Jahren entwickelten sich viele Managementkonzepte hin zu einer Form der «Vermarktlichung» der Organisation von Arbeit; die Beschäftigten werden direkt marktwirtschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt und sollen selbst unternehmerisch handeln. An die Stelle von hierarchischer Kontrolle tritt eine marktwirtschaftliche Steuerung, indem Beschäftigte beispielsweise direkt mit Renditevergaben konfrontiert werden, für deren Erreichen sie verantwortlich sind. Die Beschäftigten erhalten grossen Spielraum ihre Aufgaben zu bewältigen, müssen sich aber den vom Markt und Unternehmen vorgegebenen Rahmenbedingungen unterordnen. Die Autonomie der Mitarbeitenden geht also nur so weit, wie dies die unternehmensinternen Kennzahlen zulassen. Dies mag aus Sicht unternehmerischen Profitstrebens verständlich sein, zeigt aber, dass die hohen Versprechen von autonomer Arbeit und Selbstbestimmung schnell an Grenzen stossen können.

Zusätzlich zum Leistungsdruck müssen autonom arbeitende Mitarbeitende allenfalls auftretende Unvereinbarkeiten zwischen den eigenen Ansprüchen an die Qualität der Arbeit und den äusseren Ansprüchen an die Verwertbarkeit auf dem Markt aushalten. Die Einschränkung auf Aktivitäten, die diesen Ansprüchen genügen, übernehmen die Mitarbeitenden gleich «autonom». Aus der versprochenen Autonomie und dem Freiraum für Kreativität wird so konformes Verhalten und ein reines Abarbeiten von Zielen.

Autonome Arbeit möglich machen

Diese Entwicklungen haben eine Art «Uberisierung» der Arbeit zur Folge. Immer mehr Menschen kommen in ähnliche Situationen wie Uber-Fahrer*innen. Diese können ihre Arbeitszeiten zwar selbständig und flexibel gestalten, arbeiten aber auch häufig sehr viele Stunden und befinden sich trotz formeller Selbständigkeit in einem Abhängigkeitsverhältnis.

Obwohl in den letzten Jahrzehnten Fortschritte in Bezug auf die Selbstbestimmtheit der Mitarbeitenden erzielt wurden, bleiben grundlegende Probleme weiterhin bestehen – nur in anderem Gewand. Flexibilität, Mobilität, Anpassungsfähigkeit und hohe Leistungsbereitschaft ist zu oft nicht selbst gewählt, sondern wird abverlangt. Für die Zukunft birgt die Digitalisierung viele Möglichkeiten zur Ausweitung selbstbestimmten Arbeitens. Eine ernstgemeinte Diskussion sollte aber über den Einsatz digitaler Technologien hinaus gehen. Wir sollten uns auch von ganz anderen Ansätzen der Arbeit inspirieren lassen – etwa durch die Commonsforschung, welche den Umgang der Menschen mit Gemeingütern untersucht. Es ist wichtig, dass die innere Qualität von Arbeit wieder vermehrt in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt wird.

<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Über den Autor </div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Nicolà Bezzola ist Mitglied der Projektgruppe Zukunft der Arbeit bei reatch.ch - einer Ideenschmiede für Wissenschaft, Technik und Gesellschaft. Er arbeitet als Hilfswerkvertreter beim HEKS. Vorher studierte im Master Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics. Seinen Bachelor absolvierte Bezzola an der Universität Bern in Volkswirtschaftslehre und Sozialanthropologie. </div>

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