Im Ausländer:innen-Rat politisieren Zürcher:innen ohne Schweizer Pass
Rund ein Drittel der Menschen in Zürich haben keinen Schweizer Pass. Wie können sich diese in die Politik einbringen? Der Ausländerinnen- und Ausländerbeirat versucht das Demokratiedefizit zu schliessen und bringt wichtige Anliegen in den Stadtrat.
Wenn die Schweizer:innen in Zürich am 13. Februar eine neue Regierung und ein neues Parlament wählen, muss ungefähr ein Drittel der Bevölkerung zuschauen. Denn sie haben keinen Schweizer Pass und deshalb auch kein Wahlrecht. Damit die Anliegen der Ausländer:innen trotzdem gehört werden, hat der Stadtrat den Ausländerinnen- und Ausländerbeirat eingeführt. Im Herbst startet die neue Amtszeit, noch bis am 2. Februar können sich Interessierte für einen Sitz im Gremium bewerben.
Das Co-Präsidium, bestehend aus Jana Waser und Francesco Genova, im Interview über Abhängigkeiten, Erfolge und die Zürich City Card.
Simon Jacoby: Mit dem Ausländerinnen- und Ausländerbeirat (ABR) haben Sie gegenüber dem Stadtrat nur eine beratende Funktion. Auf Ihre Forderungen muss die Regierung nicht eingehen. Werden Sie da überhaupt gehört?
Jana Waser/Francesco Genova: Politische Entscheide entwickeln sich oft über Jahre. Der ABR ist dabei ein Puzzlestück im politischen Entscheidungsprozess. Wir geben dem Teil der Stadtzürcher Bevölkerung ohne Stimm- und Wahlrecht eine Stimme. In der Stadt Zürich sind das ein Drittel der Bevölkerung, die gleichzeitig 31.1 Prozent der Zürcher Gemeindesteuern beitragen. Bei der Altersgruppe der 30-39-Jährigen sind sogar 50 Prozent ohne Stimm- und Wahlrecht. Eine Gruppe, die systematisch von politischer Partizipation ausgeschlossen ist.
«Es ist unserer Arbeit zu verdanken, dass Zürich der Städtekoalition gegen Rassismus beigetreten ist.»
Jana Waser/Francesco Genova
Die Mitglieder werden vom Stadtrat selber ausgewählt, noch bis am 2. Februar kann man sich für die nächste Amtsperiode bewerben. Führt die Auswahl durch den Stadtrat nicht zu einer Abhängigkeit? Müssten Sie nicht die Interessen der nicht-schweizerischen Bevölkerung vertreten?
Die Mitglieder des Beirats werden vom Stadtrat auf Vorschlag der Stadtpräsidentin gewählt. Der Wahlvorschlag muss dabei auf eine möglichst ausgewogene Zusammensetzung betreffend zahlenmässiger Stärke der verschiedenen Nationalitäten und Herkunftsgebiete der ausländischen Bevölkerung sowie die Verteilung nach Geschlecht, Alter und Quartieren achten. Bei der Auswahl der Mitglieder wird die Stadtpräsidentin von der Integrationsförderung sowie dem aktuellen Beirat unterstützt. Es besteht damit keine Abhängigkeit zu den Stadträt:innen.
Ganz konkret, wie läuft es ab bei Ihnen: Wie gelangt ein Anliegen aus der Bevölkerung zu Ihnen und dann in den Stadtrat?
Die Mitglieder des Beirats sind idealerweise gut vernetzt in der ausländischen Wohnbevölkerung der Stadt Zürich. Meist sind die Mitglieder in migrantischen Vereinen und Institutionen aktiv. Gleichzeitig findet jährlich ein Vernetzungstreffen mit Migrant:innenorganisationen und religiösen Gemeinschaften statt und der ABR ist jeweils auf der Zürcher Migrationskonferenz vertreten. Daneben suchen wir immer wieder den direkten Austausch mit der ausländischen Bevölkerung, wie zum Beispiel bei der Eröffnung der interkulturellen Programmwochen «About Us!».
Wenn Sie auf die vergangenen Jahren zurückschauen, welche Erfolge konnten Sie feiern?
Es ist der Arbeit des ABR zu verdanken, dass Zürich der Städtekoalition gegen Rassismus beigetreten ist. Wir pflegen einen aktiven Austausch mit dem Schulamt und waren ausschlaggebend beim Pilotprojekt «Schulbotschafter:innen». Wir sind mittlerweile fester Bestandteil in verschiedenen Arbeitsgruppen wie der «Frühförderung», der «Bildungsstrategie», der «Überprüfung der Schnittstellen zwischen der Verwaltung und den Quartieren» der Erarbeitung der «Schwerpunkte und Massnahmen zum Gleichstellungsplan für die Jahre 2019–2022», der «Mobilität und Stadträume 2050» oder der «Altersstrategie 2035».
Im Mai stimmen wir über die Zürich City Card ab. Wie steht der ABR dazu? Und wie zu einem Stimmrecht für Ausländer:innen?
2016 haben wir dem Stadtrat die aktuelle Situation der Sans-Papier in der Stadt Zürich sowie das Vorbild der City-Card aus New York vorgestellt und empfohlen, eine «City Card» zu prüfen. Wir stehen damit fest hinter einem offiziellen Ausweis für alle Stadtzürcher:innen, unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Daneben weisen wir seit unserem Bestehen auf das Demokratiedefizit in Zürich hin und haben im Jahr 2017 beim Stadtrat ein «Konsultatives Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer» gefordert. Die Beharrlichkeit des ABR war ein Teilstück, das schliesslich zur Lancierung der Behördeninitiative des Stadtrats geführt hat.