Podium: Zürich in der Wohnkrise – Wie gelingt der Wohnungsbau?
Zürich wächst – doch der Wohnraum bleibt knapp. Am Podium «Endlich mehr Wohnungen für Zürich – doch wie?» diskutierten Expert:innen aus Stadt, Planung und Entwicklung, warum die Bautätigkeit stockt und welche Lösungen jetzt gefragt sind.
Am Mittwochabend, 4. Juni 2025, fand im Kulturpark das Podium «Endlich mehr Wohnungen für Zürich – doch wie?» statt – organisiert von Tsüri.ch im Rahmen des Fokusmonats «Wohnen». Es war die zweite von insgesamt fünf Veranstaltungen rund um das Thema Wohnen.
Rund 60 Personen verfolgten die Diskussion, die aktueller kaum sein könnte: Laut Prognosen der Stadt Zürich könnten bis 2045 rund 520'000 Menschen in der Stadt leben – fast 80'000 mehr als heute. Doch der Wohnraum ist bereits jetzt knapp, und das Bauen kommt nur schleppend voran.
So wurden im vergangenen Jahr lediglich 2630 neue Wohnungen fertiggestellt – 417 weniger als im Jahr zuvor. Woran liegt das? Und wie kann Zürich das prognostizierte Wachstum räumlich und sozial bewältigen?
Auf dem Podium diskutierten:
- Armin Isler, Geschäftsführer der Dr. Stephan à Porta-Stiftung
- Karin Bührer, Geschäftsleiterin der Entwicklung Schweiz
- Sibylle Wälty, Dozentin an der ETH Zürich und CEO des Thinktanks Resilientsy
- André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartements und Stadtrat der Stadt Zürich
Moderiert wurde das Gespräch von Isabel Brun, Redaktionsleiterin von Tsüri.ch.
Armin Isler über Herausforderungen und Lösungen im Wohnbau
Armin Isler, Geschäftsführer der Dr. Stephan à Porta-Stiftung, sprach sich klar für einen Kurswechsel in der Baupolitik aus.
Sein Hauptvorschlag: Die aktuelle Lärmschutzverordnung rückgängig machen und stattdessen ein Zürcher Modell einführen. Seinen Schätzungen zufolge könne man so in kürzester Zeit mehrere Tausend Wohnungen bauen. Die Bauvorschriften hätten sich in den letzten Jahren derart verkompliziert, dass selbst einfache Bauprojekte bis zu einem Jahr für die Baubewilligung bräuchten – teils mit widersprüchlichen Rückmeldungen aus demselben Departement.
Zudem kritisierte er die zunehmende Anonymität im Bauprozess: «Die Bauherren sind oft nicht bekannt, wodurch das Vertrauensverhältnis dort einfach nicht so gross ist.» Diese Skepsis erschwere den Bauprozess zusätzlich.
Auch die Frage des Wohnens im Alter sprach er an. Viele ältere Menschen lebten allein in grossen Wohnungen, seien aber nicht bereit, in kleinere zu ziehen. Eine interne Umfrage seiner Stiftung zeigte: Nur eine von 30 Personen sei sofort zum Wechsel bereit, vier weitere würden es sich überlegen, doch 25 lehnten einen Umzug kategorisch ab. Sein Fazit: Man könne die Menschen nicht zwingen, sie aber durch Gespräche langsam dafür gewinnen.
Karin Bührer zu «weissen Zonen», Regulierungen und Akzeptanz für Wohnraumprojekte
Karin Bührer, Geschäftsleiterin Entwicklung Schweiz, erklärte, dass sogenannte «weisse Zonen» – wie etwa im Kanton Zug – eine Möglichkeit bieten könnten, schneller und dichter zu bauen. In diesen Zonen können bestimmte Bewilligungsschritte übersprungen werden, bevor wieder zur Bau- und Zonenordnung (BZO), also den städtischen Regeln für Nutzung und Bebauung von Grundstücken, zurückgekehrt wird.
Regulierungen seien wichtig, betonte sie, beispielsweise zum Schutz vor Verdrängung und für einen gemeinnützigen Anteil, der einen ausgewogenen Wohnungsmarkt sicherstellt. Gleichzeitig könnten widersprüchliche Vorschriften und erleichterte Einsprachen den Bauprozess unnötig verzögern und so die Kosten in die Höhe treiben.
Bührer wies darauf hin, dass Wachstum Zeit, eine klare Vision und Begeisterung erfordere – ebenso wie das Gespür dafür, wie viel Veränderung die Bevölkerung verträgt. Gute, sozial akzeptierte Projekte sowie die Unterstützung verschiedener politischer Akteur:innen seien dabei entscheidend.
Sie schlug vor, nicht mehr von «Innenverdichtung» zu sprechen, da dieser Begriff negativ besetzt sei, sondern von «Innenentwicklung». Es gehe darum, zu zeigen, wie sich das Leben in solchen Quartieren anfühle. Langfristige und offene Gespräche mit den Bewohner:innen könnten so die Akzeptanz fördern und sogar Begeisterung für die Veränderung wecken.
Mehr Lebensqualität trotz Verdichtung – Sibylle Wälty über Zürichs Wohnraum
Sibylle Wälty, ETH-Dozentin und CEO des Thinktanks Resilientsy, betonte, dass Zürich deutlich mehr Menschen aufnehmen könnte – ohne an Lebensqualität einzubüssen. «Mit der richtigen Verdichtung würden in Zürich 300'000 bis 400'000 mehr Menschen Platz finden», sagte sie.
Als wichtigste Massnahme forderte sie eine Revision der Bau- und Zonenordnung (BZO). Statt auf rechtlich unsichere «White Zones» zu setzen, solle man die Regeln klar und verbindlich gestalten. Regulierungen per se seien dabei nicht das Problem – aber sie müssen die richtigen Ziele verfolgen. Manche heutige Vorschriften würden Fehlentwicklungen begünstigen, anstatt sie zu korrigieren.
Wälty machte deutlich, dass Verdichtung nicht zwangsläufig Nachteile mit sich bringt. In einigen bereits verdichteten Zürcher Quartieren zeigt sich, dass eine höhere Bevölkerungsdichte nicht automatisch zu mehr Autoverkehr führt, sondern zu lebendigeren Quartieren mit mehr Fussgänger:innen, Grünflächen und einer besseren Aufenthaltsqualität. «Wenn dieser Mehrwert sichtbar wird, gewinnt man die Menschen für die Akzeptanz», erklärte sie.
André Odermatt zum Umgang mit Verdichtung und Leerkündigungen
André Odermatt, Vorsteher Hochbaudepartement & Stadtrat Stadt Zürich, betonte die Bedeutung eines neuen Regelwerks für Verdichtung und den Umgang mit Leerkündigungen.
Wichtig sei zudem der Dialog mit den Privaten und der Mieterschaft, denn am Ende brauche man eine Bevölkerung, die diese Veränderungen mitträgt.
Trotz rückläufiger Bautätigkeit 2024 bleibe das Bauen mit Fokus auf Wohnungen weiterhin hoch. Der langwierige Bewilligungsprozess, vor allem bei Rekursen, liege oft in der Hand der Nachbarschaft, nicht der Verwaltung.
Besonders bei anonymen Leerkündigungen forderte Odermatt mehr Dialog: Verdichtung bedeute für viele, ihre Wohnung zu verlieren oder sich eine neue nicht mehr leisten zu können. «Das Planungsrecht stellt diese soziale Frage leider nicht.»
Er unterstrich, dass Verdichtung nicht nur Masse, sondern vor allem Qualität brauche. Das erfordere klare Regeln, viel Überzeugungsarbeit und Zeit, bis neue Quartiere lebendig werden.
Die Wohnraumsituation in Zürich bleibt angespannt, vor allem aufgrund der deutlichen Wachstumsprognosen. Expert:innen sind sich einig: Es bedarf eines grundlegenden Wandels in der Baupolitik, vereinfachter und verbindlicher Regelwerke sowie eines verstärkten Dialogs mit Bevölkerung und Investor:innen. Nur so kann Zürich nicht nur mehr Wohnraum schaffen, sondern zugleich Lebensqualität und soziale Akzeptanz sichern.
Diese Veranstaltung ist Teil des Fokusmonats Wohnen. Zum ganzen Programm.
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Vera hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit studiert. Während ihres Studiums engagierte sie sich als Vorstandsmitglied im Fachverein Polito, wo sie verschiedene Events organisierte und Diskussionen zu aktuellen politischen Themen mitgestaltete. Ihr Interesse an Medien und politischer Teilhabe führte sie in den Bereich Civic Media, wo sie seit April 2025 als Praktikantin tätig ist.