Ein Arzt erklärt, wie gefährlich es ist, mehr als 50 Stunden pro Woche zu arbeiten

Ärzte und Ärztinnen sind chronisch überlastet. Oft arbeiten sie mehr als die gesetzliche Höchstlimite von 50 Stunden pro Woche und gefährden damit ihre Gesundheit und jene ihrer Patient*innen.

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Bernhard Wegmüller, Direktor des Spitalverbandes H+, gesteht in der NZZ, dass nur wenige Spitäler in der Lage seien, «die Vorgaben des Arbeitsgesetzes jederzeit und vollständig einzuhalten».

Darum fordert er eine Flexibilisierung der ärztlichen Arbeitszeiten und schiebt den wirtschaftlichen Druck der Spitäler auf die Arbeitnehmenden ab. Er rechtfertigt dies u.a. mit folgender Begründung (sic!): «Angehörige der Generation Y, also der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, würden gerne auch einmal acht Tage am Stück arbeiten, um danach vier Tage freimachen und zum Kitesurfen nach Spanien fahren zu können.»

Arzt Korbinian Schmitz ist mit diesen Forderungen kein bisschen einverstanden und erklärt im offenen Brief an Wegmüller, warum «flexiblere» Arbeitszeiten keine gute Idee sind.

Sehr geehrter Herr Wegmüller

Vielen Dank für Ihren Einsatz im ewigen Kampf Arzt gegen Spital. Ich hätte da allerdings noch einige Nachfragen.

Haben Sie schon ein Mal sieben Nachtdienste hintereinander gearbeitet? Dann wüssten Sie mit grosser Sicherheit, dass die Regenerationszeit hiernach mindestens drei bis vier Tage beträgt, ehe man anfangen kann die restlichen ein bis zwei freien Tage zu geniessen. Bestimmt haben Sie auch oft an Wochenenden 14 Stunden unter gleichen Bedingungen gearbeitet wie ein Arzt. Ich kann Ihnen von einer Anekdote aus dem letzten Jahr während meines dreizehn stündigen Nachtdienstes erzählen: Nachts um zwei Uhr stellte sich eine hochschwangere Frau, die mehrere künstliche Befruchtungen hinter sich hatte, notfallmässig drei Tage vor dem Entbindungstermin vor. Ich musste ihr mitteilen, dass ihr langersehntes Kind leblos war. Um Acht am Morgen kam eine weitere Patientin notfallmässig, 29. Schwangerschaftswoche, dasselbe Schicksal. Natürlich kann das auch während einer «normalen» zehn Stunden Schicht am Tag passieren doch habe ich dann etwas mehr Zeit um meine Tränen zu trocknen. Wir Ärzte sind eben auch nur Menschen, auch wenn das einige Leute kaum glauben können.

Ihre Forderungen erinnern mich sehr an die kriegstreibenden Politiker, die ihre eigenen Kinder jedoch nicht in den Krieg schicken würden. Das nämlich ist die bittere Realität: Die kaufmännischen Direktoren interessieren sich nicht im Geringsten für das Wohl der Patienten geschweige denn das der Ärzte. Es geht ihnen nur um schwarze Zahlen.

Die dabei nun geforderten Gesetzesanpassungen sind derart unerhört, dass man als Arzt eigentlich nur noch eines fordern kann: Macht den Job doch gefälligst selbst! Falls Sie es also noch nicht bemerkt haben: Wir befinden uns im 21. Jahrhundert. Deshalb mache ich Ihnen hier ein paar Gegenvorschläge.

Was Herr Wegmüller unterschlägt, ist die Tatsache, dass bei uns Ärzten die übliche Sollarbeitszeit von 42 Stunden schweizweit mit der Höchstarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche gleichgesetzt wird. Das bedeutet Ärzte dürften eigentlich gar keine Überstunden machen, denn eine Zusatzregel besagt, dass ein Arzt nicht mehr als 100 Stunden in zwei Wochen arbeiten darf. Das wiederum bedeutet: Wenn ein Arzt in einer Woche 60 Stunden (absolute Obergrenze während einer Woche Mo-So) arbeitet, durfte er in der Woche zuvor und danach nicht mehr als 40 Stunden gearbeitet haben. Gegen dieses Gesetz wird momentan im Klinkalltag notorisch verstossen und es ist mit der 50 Stunden Woche quasi unmöglich einzuhalten.

Vorschlag eins: Wir müssen die gesetzlich vorgeschlagene Sollarbeitszeit auf 42 Stunden senken und gesetzlich verankern.

Von einem Betriebswirt, dessen alleiniges Ziel es ist die Spitäler profitabler zu machen, kann man wohl keine andere Haltung erwarten als die obige. Was aber ist mit den Ärzten selbst? Sind wir nicht selbst schuld? Ich finde ja, schliesslich lassen wir es mit uns machen. Grundsätzlich rührt sich weder ein Chef, noch der Staat, ohne eine Rebellion des Arbeitnehmers. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele in der Geschichte, Politik ist eben reaktiv. Statt jedoch für das Recht auf die 42 Stunden Woche zu kämpfen, finden die meisten Ärzte selbst Mechanismen, um das bestehende System aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel hierfür ist die oppressive Haltung im Umgang mit dem Nachwuchs. Was uns zum Thema Generation Y (oder auch der vermeintlichen Plage) bringt. Die sogenannte Work-Life-Balance wird von den neidischen Vorgesetzten nämlich stets belächelt, man traut sich als junger Arzt kaum diese Werte zu verteidigen. Im Gegenteil es wird dir früh suggeriert viel zu Arbeiten sei sehr wichtig um Erfahrungen und Kompetenzen zu erlangen. Dies liegt an der traditionellen Denkweise der älteren Ärzte, die – aus einer Generation nach Ruhm strebender Arbeitstiere stammend - neidisch auf den Nachwuchs sind, der es mal besser haben könnte als sie selbst. Dass dieses archaische Denkmodell überholt ist und zufriedene Mitarbeiter mehr leisten ist zu diesen Ärzten einfach noch nicht durchgedrungen.

Vorschlag zwei: Ärzte erhebt euch, steht für euer Recht ein.

Den wichtigsten Gesichtspunkt haben wir dabei noch gar nicht erwähnt: Die Patientensicherheit. Wie gut ist die Leistung einer Chirurgin, wie hoch ihre Fehlerquote nach zwölf Stunden Arbeit? Wie ist ihr Umgang mit den Patienten? Wie gut ist die Handlungsfähigkeit eines Geburtshelfers, wenn der Assistenzarzt anruft und mit zittriger Stimme ruft, dass die Patientin in Gebärsaal vier unter der Geburt vaginal stark blutet? Was dann passiert ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich, deshalb auch kein Aufruhr. Anders wäre dies Beispielsweise bei einem Flugzeugunglück, oder einem Tramunfall. Vielleicht wird daher bei diesen Berufen genauer auf die Einhaltung des Gesetzes geschaut? Schliesslich wäre es doch ein Einfaches, wenn die Arbeitsinspektoren die Dienstpläne der Ärzte stichprobenartig überprüfen würden (Was im Kanton Zürich zuletzt bereits geschehen ist und viele Bussen zur Folge hatte, nicht jedoch in der gesamten Schweiz). Das allerdings, könnte die Notwendigkeit nach mehr Ärzten und folglich höheren Beiträgen bei der Krankenkasse mit sich ziehen. Auf den ersten Blick politisch nicht einfach zu rechtfertigen, ausser man klärt die Bevölkerung darüber auf wofür sie zehn oder zwanzig Franken mehr im Monat zahlt.

Vorschlag drei: Mehr Geld für mehr Patientensicherheit.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Was von uns Ärzten erwartet wird ist unzumutbar, verantwortungslos und dennoch ein Resultat unserer eigenen Passivität. Der Staat muss – wie auch in anderen Bereichen – seiner Pflicht für die Sicherheit der Bevölkerung nachkommen und die von ihm sinnvollerweise festgelegte Sollarbeitszeit unterstreichen. Welchen Beitrag Ökonomen zum Wohl unserer Gesellschaft zu leisten vermögen ist - vorsichtig ausgedrückt - zumindest ein Mal eine kritische Auseinandersetzung wert.

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