Antisemitisches Graffiti im Zürcher Kreis 4 aufgetaucht
Unbekannte haben in der Glasmalergasse im Zürcher Kreis 4 mehrere Graffiti hinterlassen, die mit Parolen wie «Free Gaza», «Death to Israel» und «Nakba is now!» für Aufsehen sorgen. Die Schriftzüge stehen für eine Zunahme politisch motivierter Sachbeschädigungen, die seit Beginn des Gaza-Kriegs vermehrt auftreten.
An der Fassade eines Wohn- und Geschäftshauses im Kreis 4 nahe dem Stauffacher sind seit Dienstag die Schriftzüge «Free Gaza», «Nakba is now!» und «Death to Israel» zu sehen.
Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG), differenziert zwischen den Slogans. «Free Gaza» und «Nakba is now!» seien für sich genommen nicht antisemitisch.
Eine andere Dimension erhält Kreutner zufolge die Parole «Death to Israel». Wenn damit die Auslöschung Israels und seiner jüdischen Bevölkerung gemeint sei, würde dies als judenfeindlich gewertet werden. Der SIG orientiere sich an der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und prüfe jeden Fall einzeln.
«Kritik am Staat Israel beziehungsweise an seiner Politik ist selbstverständlich erlaubt und nicht generell antisemitisch», betont Kreutner. Doch Aufrufe zu Gewalt und Hass gegen jüdische Menschen überschritten eine klare Grenze. Problematisch werde es ebenfalls, wenn doppelte Standards angelegt, «Israelis» und «Juden oder Jüdinnen» gleichgesetzt oder Israel das Existenzrecht abgesprochen würden.
Situation hat sich verschärft
Die Situation für jüdische Menschen in Zürich habe sich seit dem 7. Oktober 2023 massiv verschärft. Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat sich laut SIG verdreifacht, Übergriffe und offene Anfeindungen nehmen zu. «Jüdische Menschen in der Schweiz erleben Antisemitismus direkter und unverhohlener als zuvor», sagt Kreutner.
Viele würden inzwischen darauf verzichten, in der Öffentlichkeit religiöse Symbole, wie der Davidsstern oder die Kippa, zu tragen. Der Messerangriff auf einen jüdischen Mann im März vergangenen Jahres habe die Gemeinschaft tief erschüttert, sagt Kreutner. Eine aktuelle Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) bestätigt diese Verunsicherung.
Bereits vergangenen Sommer wurden am Oberen Letten der Slogan «Smash Zionism» zusammen mit dem roten Dreieck gesprayt, mit dem die Terrororganisation Hamas ihre Gegner:innen markiert. Auf der grossen Mauer prangten die umstrittenen Schriftzüge «From the River to the Sea» und «Intifada».
Auch die Stadtpolizei Zürich beobachtet die Entwicklung. In den vergangenen zwei Monaten verzeichnete sie einen leichten Anstieg bei Sachbeschädigungen, die meisten davon Graffiti – nur wenige jedoch mit antisemitischen Inhalten, teilt Pascal Siegenthaler von der Stadtpolizei Zürich auf Anfrage mit. Genaue Zahlen nennt er jedoch nicht. Antisemitische oder diskriminierende Graffiti würden nach Eingang einer Meldung rasch entfernt, die rechtliche Bewertung solcher Botschaften obliege der Staatsanwaltschaft, sagt Siegenthaler. Ob und wie oft Täter:innen ermittelt werden, hänge vom Einzelfall ab.
Palästinensischer Gedenktag
Während die Parole «Free Gaza» in erster Linie ein Ende der Blockade und der militärischen Kontrolle des Gazastreifens sowie eine Verbesserung der Lebensbedingungen der dortigen Bevölkerung fordert, verweist die Botschaft «Nakba is now!» auf die sogenannte «Nakba».
Diese bezeichnet im arabischen Sprachgebrauch die Flucht und Vertreibung von rund 700'000 Palästinenser:innen im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskriegs 1948. Bis heute gilt die Nakba als Symbol für anhaltende Enteignung, Vertreibung und Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung.
Dass die Graffiti ausgerechnet zu Wochenbeginn angebracht wurden, ist kein Zufall: Am 15. Mai gedenken Palästinenser:innen weltweit dem Verlust ihrer Heimat vor 77 Jahren, den sie als Nakba bezeichnen. Für viele ist dies ein Tag der Trauer, der von Protesten und Demonstrationen begleitet ist.
Auslöser für die Parolen im Kreis 4 dürfte die dramatische Lage im Gazastreifen sein, wo laut Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bis März 2025 über 50’000 Menschen getötet und mehr als 110’000 verletzt worden sind. Damit verschärft sich die Debatte über legitime Kritik an Israel und antisemitische Hetze. Die Grenze zwischen politischem Protest und Hassbotschaft verläuft oft unscharf. Jonathan Kreutner vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund betont, dass der Krieg im Nahen Osten auch in der jüdischen Gemeinschaft kontrovers diskutiert werde und das Leid aller in der Region betroffenen Menschen nicht ausgeblendet werde.
Antisemitismusstrategie gefordert
Trotz Beteuerungen der Stadt, Antisemitismus entschieden zu bekämpfen, bleibt das Problem virulent. Immer wieder tauchen in Zürich NS-Symbole und Hassparolen auf. Kreutner fordert deshalb eine umfassende Antisemitismusstrategie für die Schweiz, die über den Schutz jüdischer Einrichtungen hinausgeht und auch Prävention und Massnahmen gegen Hassrede umfasst. Der Forderung kommt die Schweiz ab Donnerstag zumindest in einem Bereich einen Schritt näher – dann tritt das Hamas-Verbot in Kraft.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.