Agil ist nicht beliebig: Bildung, die Ziele erreicht

Die Rolle der Lehrperson verschiebt sich vom Wissensvortrager*in und Kontrolleur*in zu Enabler, zum Coach, zur Lernbegleiterin. Wer steuert aber jetzt? Wer gestaltet den gemeinsamen Lernraum? Wer schaut genau hin, ob und wenn ja welche neuen Fähigkeiten, Kompetenzen entstehen? Steuern und «prüfen» müssen neu gedacht werden. Dazu helfen ein Dreieck und ein Tetraeder. Und einige neue Ideen.

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Text: Christof Arn, Hochschule für agile Bildung

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Abildung: Lerndreieck (Gestaltung Co-Produktion W. Arn, G. Raschle, C. Arn)

Das Lernfeld wird durch das sogenannte didaktische Dreieck aufgespannt, welches Teil der meisten pädagogischen bzw. didaktischen Aus- und Weiterbildungen ist und Wurzeln hat, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Seine Sprengkraft kommt allerdings erst zum Tragen, wenn man nicht nur auf die Bedeutung der Ecken, sondern auf die Kanten, also die Beziehungen, achtet: Die Kante von der lehrenden bzw. prozessbegleitenden Person zum Thema ist nämlich eine andere Kante als diejenige von den Lernenden zum Thema.

Damit ist grafisch verbrieft: Das Ziel des Lernprozesses ist gerade nicht, dass die Lernenden eine gleiche Beziehung zum Gegenstand entwickeln wie die Lehrperson, sondern einen eigenen, individuellen Zugang. Zudem ist offensichtlich und erwünscht, dass die Lernenden sich dem Gegenstand nähern ohne die Lehrperson als Mittelsperson. Sie ist also gerade nicht Vermittler*in im Sinne von «Medium», von «dazwischen», sondern eher «Verkuppler*in». Einmal miteinander in Kontakt gebracht sollen Lernende und Lerngegenstand durchaus Eigendynamik miteinander entwickeln, auch unabhängig von der Lehrperson. Die digitale Transformation stärkt dies zusätzlich: Auch Suchmaschinen und andere Funktionen des Internets «verkuppeln» Lernende und Lernthema weiter.

Die Realität im Bildungssystem hinkt dieser Dynamik öfter noch etwas hinterher. Dieses didaktische Dreieck ist da schon fast eine Vision: Das Thema «steuern» ändert sich massiv, denn es ist nicht mehr die lehrende Person, die entscheidet, was Teil dieses Settings ist: Lernende können sich selbst Dinge ins Setting holen. Steuerung muss gemeinsam mit den Lernenden geschehen. Der Prozess und auch das Resultat sind nicht mehr vorgegeben. Denn das Resultat eines Lernprozesses ist ja nicht der Lerngegenstand, sondern die Beziehung zwischen den einzelnen Lernenden und diesem Gegenstand. D.h. das Lernziel ist, dass die Gerade zwischen diesen beiden Eckpunkten aufgebaut wird – das ist die Pointe. Diese Gerade muss zumindest teilweise individuell sein, also vor allem unterscheidbar ist von der Gerade zwischen lehrender Person und Gegenstand. Daher ist auch das Ergebnis des Lernprozesses nicht determiniert.

Von der lehrenden Person braucht es für einen solchen Lernprozess Offenheit in der Sache sowie Bereitschaft und Fähigkeit zu situativem Handeln, zu fortlaufendem Wechsel zwischen leiten und begleiten – und Freude daran, in all diesen unberechenbaren Interaktionen auch auf verschiedenen Ebenen (namentlich didaktisch wie inhaltlich) selbst auch zu lernen.

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Abildung: Lerntetraeder (Gestaltung Co-Produktion W. Arn, G. Raschle, C. Arn)

Im etwas anderen Dreieck der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn kommt die Gruppe als eigene Ecke vor. Kombiniert man dieses Dreieck mit dem didaktischen, kommt man zu einem Bildungs-Tetraeder; zugleich von einem zweidimensionalen Lern-Feld zu einem dreidimensionalen Lern-Raum. Die Rolle der Lehrperson – die auch als Moderator*in im Dreieck der Themenzentrierten Interaktion interessanterweise nicht repräsentiert wird – verändert sich: Die lehrende bzw. prozessbegleitende Person sieht sich einem vollwertigen Dreieck gegenüber. Vollwertig heisst: Es kann auch ohne Lehrperson eine komplexe Eigendynamik und systemische Selbstproduktivität entwickeln. Mit dieser neuen Position im System sind neue Steuerungstechniken verbunden: didaktische Methoden wie z.B. Lernvereinbarungen und Lernprozessdokumentation, individuell aber vor allem auch gemeinschaftlich.

Wenn nun Prozesse immer mehr Eigendynamik, Eigenmotivation, Eigensteuerung, Gruppendynamik usw. erhalten dürfen und der direkte Einfluss der lehrenden bzw. prozessbegleitenden Person zurückgeht, dann stellt sich die Frage der Zielerreichung anders. Hier passt, wie z.B. in der Lehrer*innen-Bildung der Hochschule für agile Bildung und bei STRIDE angelegt, wenn die Lernenden nicht nur selbst die Verantwortung für die Zielerreichung übernehmen sondern auch dafür, wie sie sich selbst und der Gruppe (bzw. gegebenenfalls der Institution in Hinblick auf die Erteilung eines Bildungsabschlusses) zeigen wollen, dass sie dort angekommen sind.

Sie sollen das in einer selbst entwickelten Art und Weise zeigen dürfen: In einem Entwicklungs- und allenfalls auch Aushandlungsprozess mit der für die Vergabe eines Testats bzw. einer Note zuständigen Person (Modulleitung, Kursleitung, Jury, wie auch immer) entsteht für jeden Studierenden selbst eine individuelle Art nachzuweisen, was man gelernt hat. So erbringt jeder Lernende im Verlauf seines Studiums eine ganze Anzahl von Belegen von eigenen Fähigkeiten und dem eigenen oder gemeinschaftlichen «in die Welt bringen»: Filme, Haiku, Cartoons, Dokumentationen, selbst verfasste Fachtexte, dokumentierte Vorführungen von Kompetenzen, (ad)ventures als Unternehmen oder politische Kampagnen sind wichtiger Teil davon, die auch direkt Teil des eigenen CVs oder Portfolios werden können. Dieser Nachweis von Gelerntem ist dabei selbst entscheidender Teil des Lernprozesses selbst und wenn dieses «In-die-Welt-Treten» von Feedback und gemeinschaftlicher Reflektion begleitet wird, führt es nicht nur zu einer Veränderung der Beziehung zur Welt sondern eben auch zum Selbst.

Die Ansprüche an die Lernenden sind dabei zugegebenermassen deutlich höher als bei Lernprüfungen. Man lernt nochmals extra, wenn man sich überlegt, wie man eine Fähigkeit oder Kompetenz überhaupt plausibel zeigen kannt. Lernabenteuer mit Gipfelerlebnis oben auf dem Tetraeder.

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