Gemeinderats-Briefing #39: Angst um den Sonntagsbraten
Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Grüner Durchmarsch, Förderung für eCargo-Bikes, Corona in den Alterszentren.

Illustration: Zana Selimi (Foto: Zana Selimi)
Es wirkte wie eine Einleitung zu den Geschäften dieses Abends, als Julia Hofstetter zu Beginn der Sitzung eine Fraktionserklärung ihrer Grünen verlas. Darin wies sie auf den neuesten Sachstandsbericht des Weltklimarats hin. Der Tenor: Es sei schlimm, doch noch nicht zu spät. Allerdings seien wir als Gesellschaft gefangen in einem Denken, das die Krise noch weiter verstärke. Die Mitglieder des Gemeinderats hätten die Verantwortung, jede Weisung auf ihre Klimaverträglichkeit hin zu überprüfen und Ja zu den erforderlichen Massnahmen für das beschlossene Netto-Null-Ziel 2040 zu sagen. Auch der Stadtrat solle sich wirksam über die Stadtgrenzen hinaus engagieren.
Grüner Durchmarsch
Damit war die Zielmarke gesetzt für eine Reihe von Vorstössen, die je nach Position des eigenen Sitzplatzes äusserst unterschiedlich interpretiert wurden: Als notwendige Anpassungen an die Ziele des Klimaschutzes und der Kreislaufwirtschaft bei den Grünen und anderen linken Parteien, als unnötige, teure und umerzieherische Eingriffe in das Marktgeschehen bei der SVP und häufig bis in die Mitte hinein.
Den Anfang machte ein Postulat von Rahel Habegger (SP) und Selina Walgis (Grüne), das einen «Massnahmenplan Kreislaufwirtschaft und soziale Innovation» fordert. Was darunter zu verstehen ist, erklärte Habegger: Repair Cafés, Unverpackt- und Secondhand-Läden oder auch Projekte gegen Food Waste sollen gefördert, ausgebaut und miteinander sowie mit der Stadtverwaltung vernetzt werden. Die Bevölkerung Zürichs habe den kantonalen Gegenvorschlag zur Kreislaufwirtschafts-Initiative schliesslich mit überwältigender Mehrheit angenommen, die Stadt ihrerseits die «Circular Cities Declaration» unterzeichnet.
GLP-Fraktionspräsidentin Martina Novak fand zwar, dass die Umsetzung der bereits beschlossenen Massnahmen Vorrang haben solle vor immer weiteren Postulaten, unterstützte das Anliegen aber trotzdem. David Ondraschek (Die Mitte) erklärte, lokale Vernetzung sei eine solide Basis für den weiteren Ausbau solcher Initiativen. Walter Anken wiederum sagte, man solle das Ganze doch lieber dem Markt überlassen. Seine SVP stand mit dieser Forderung allerdings alleine da: Alle anderen Fraktionen stimmten dem Postulat zu.
Im nächsten Postulat forerten Selina Walgis und ihre Grünen-Fraktionskollegin Anna-Béatrice Schmaltz den Stadtrat auf, sich für eine Senkung der Treibhausgasemissionen im Bereich des Textilien-Konsums einzusetzen. Das Ziel sei eine Senkung der Menge an Textilien, die in den Sammelcontainern landeten, so Walgis. Der Fokus solle dabei auf der Sensibilisierung der Bevölkerung liegen. Das sei «Erziehungsphilosophie» und «eine völlige Überschätzung unserer Aufgabe hier im Rat», fand Michael Schmid (FDP). Walter Anken (SVP) sprach von Druck der Linken auf alle Lebensbereiche und erklärte, er werde keine Secondhand-Klamotten tragen. Auch Florine Angele (GLP), die ihrerseits kundtat, Secondhand zu tragen, sowie David Ondraschek (Die Mitte) sprachen sich gegen das Postulat aus. Sie, weil es zu vage formuliert sei und keine konkreten Vorschläge beinhalte, er, weil die Verschwendung auf nationaler Ebene angegangen werden müsse. Mit der knappen Mehrheit von 60 zu 58 Stimmen reichte es Grünen, SP und AL aber zur Überweisung des Postulats.
Ein weiterer Vorstoss aus der grünen Reihe verlangte eine Prüfung sämtlicher Verbrauchsmaterialien und Beschaffungen der Stadtverwaltung auf ihre Langlebigkeit und Wiederverwertbarkeit sowie eine Umsetzung des Kreislaufprinzips in städtischen Institutionen. Co-Postulant Jürg Rauser (Grüne) bezeichnete vor allem Kaffekapseln und Plastikgeschirr als Ärgernisse, die es mit recyclebaren oder wiederverwendbaren Alternativen zu ersetzen gelte. Auch hier sprach SVP-Mann Walter Anken von einem Eingriff in den freien Markt, während David Ondraschek (Die Mitte) mit einem Textänderungsantrag das Wörtchen «sämtliche» streichen und eine Berücksichtigung des Grenznutzens bei dem ganzen Unterfangen erreichen wollte. Das lehnte Co-Postulant Yves Henz (Grüne) aber ab. «Wenn man nicht alles prüft, weiss man auch nicht, ob man es ersetzen muss», fand er. Zusammen mit der GLP brachten die links-grünen Parteien das Anliegen durch das Parlament.
Den Abschluss machten Julia Hofstetter (Grüne) und Patrick Tscherrig (SP) mit der Forderung, dass in städtischen Versorgungsbetrieben zukünftig standardmässig ein pflanzenbasiertes, sprich veganes Menü angeboten werden solle. Wer ein Fleischmenü wolle, müsse dies dann aktiv bestellen, so Hofstetter, die von einem solchen Projekt in den Spitälern New Yorks berichtete, das erfolgreich umgesetzt worden sei und nicht nur die Ökobilanz verbessert habe, sondern auch noch Kosten spare. «Hände weg von meinem Sonntagsbraten!», forderte nun Walter Anken (SVP), während Tscherrig von einer eleganten Lösung sprach, den CO2-Ausstoss zu reduzieren. David Ondraschek (Die Mitte) befand, seiner Fraktion missfalle der Vorschlag, dass der Gemeinderat den städtischen Betrieben vorschreiben solle, was dort gekocht wird. Patrick Hässig (GLP) betonte, man müsse den älteren Menschen, die bei veganem Essen die Nase rümpften, ebenjenes besser erklären. Seine GLP stimmte trotzdem mit AL, Grünen und SP und verschaffte dem Postulat am Ende eine komfortable Mehrheit.
Förderung für eCargo-Bikes
Auch die SP ritt gestern Abend die grüne Welle: Die Fraktionkolleg:innen Islam Alijaj und Anna Graff forderten den Stadtrat per Postulat auf, eine Förderung des Gewerbes beim Umstieg von fossil betriebenen Fahrzeugen auf eCargo-Velos im innerstädtischen Verkehr zu prüfen. Diese solle allerdings nur dann erfolgen, wenn der Umstieg tatsächlich erfolge und den Weg des Unternehmens in die Klimaneutralität beschleunige.
Carla Reinhard (GLP) erkärte zwar, man sehe Subventionen kritisch, stehe allerdings hinter dem Vorstoss. Neben einem Bonus brauche es jedoch auch noch dringend einen Ausbau der Veloinfrastruktur, von Ladestationen für Elektroautos sowie von Ladezonen für Cargo-Velos. Auch David Ondraschek (Die Mitte) befand, man stehe hinter der Forderung, insofern die Lösung unbürokratisch daherkomme. Tanja Maag (AL) erklärte, man solle grundsätzlich unnötige Wege vermeiden, egal ob mit dem Auto oder dem Cargo-Velo. Trotzdem mache eine Förderung für den Umstieg in diesem Fall Sinn.
Auf der rechten Ratsseite war man von dem Vorstoss wenig begeistert. Martina Zürcher (FDP) befand, ein solches Anreizsystem bestehe schon mit der kantonalen Verkehrsabgabe, die für ein Cargo-Velo deutlich günstiger sei als für ein Auto. Johann Widmer (SVP) sprach von einer «krassen Fehleinschätzung der innerstädtischen Logistik» vonseiten der Linken, die weltfremd und dumm sei. Gegen die Stimmen von SVP und FDP fand der Vorstoss jedoch trotzdem eine satte Mehrheit.
Corona in den Alterszentren
Wenig umstritten war gestern ein Bericht des Stadtrats über die Handhabung und Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Gesundheitszentren für das Alter (GFA). Er ging zurück auf ein Postulat von Marion Schmid und Marcel Savarioud (beide SP), das einen solchen Bericht gefordert hatte. Als sie dieses Postulat im Winter 2020/21 eingereicht hatten, habe es die kurze Hoffnung gegeben, dass die Pandemie bald vorbei sein könnte, so Schmid. Angesichts mehrerer Ausbrüche in Pflegezentren und einiger damals unbeantwortet gebliebener Fragen habe man eine fundierte Nachbereitung des Geschehenen gewollt. Diese liegt nun mit dem Bericht vor, darin waren sich alle Fraktionen einig, die ihn einstimmig zur Kenntnis nahmen.
Die damals getroffenen Massnahmen seien von den Bewohnenden zum Grossteil geschätzt worden, so Schmid als Referentin der entsprechenden Kommission. Eine Ausnahme bilde das Besuchs- und Ausgehverbot, das allerdings eine Vorgabe des Bundes gewesen sei. Alle hätten in dieser Situation Ausserordentliches geleistet, sagte sie mit Blick auf die Mitarbeitenden. Damit reihte sie sich ein in diverse Lobeshymnen auf das Pflege- und Kaderpersonal, die je nach vortragender Person mit unterschiedlichen Perspektiven auf die damalige Zeit gespickt waren.
«So eine Schliessung darf nur noch im Notfall passieren.»
Stadtrat Andres Hauri (GLP) zum Besuchs- und Ausgehverbot an den Alters- und Pflegezentren während der Corona-Pandemie
So meinte Michael Schmid (FDP), er hoffe, «dass sich die Erkenntnisse in der DNA der Institutionen festsetzen, wo sie für zukünftige Pandemien oder andere Krankheitsereignisse gebraucht werden». Dass Menschen in der frühen Phase aufgrund des Besuchs- und Ausgehverbots alleine sterben mussten, dürfe sich allerdings nicht mehr wiederholen. Josef Widler (Die Mitte), selbst Hausarzt, erzählte von Menschen, die aufgrund unfreiwilliger Isolation suizidial geworden seien und befand, die wichtgste Lehre sei, dass die Patient:innen selbst entscheiden sollten.
Walter Anken (SVP) hob hervor, dass man sich in Zukunft in Sachen Schutzmaterial nicht nur auf das Ausland verlassen könne, sondern eigene Kapazitäten aufbauen müsse. Tanja Maag (AL) und Marion Schmid verwiesen beide darauf, dass die kantonale Ebene stärker in der Pflicht stehen müsse, zu steuern und zu koordinieren. Stadtrat Andreas Hauri (GLP) sagte, es sei bewundernswert, wie die GFA durch die Pandemie gekommen seien. Hätte man alles offen gelassen, so wäre die Mortalität insgesamt sicher höher gewesen, hier gelte es immer abzuwägen. Die Pflegeeinrichtungen seien allerdings auch zu spät ernst genommen worden und hätten lange keine Rolle im Pandemiegeschehen gespielt.
Weitere Themen der Woche:
- Per Weisung erstattete der Stadtrat dem Gemeinderat Bericht über ein dreijähriges Pilotprojekt zur Schliessung von Lücken in der Palliative Care-Versorgung, also der Versorgung unheilbar kranker Menschen. Das von Januar 2020 bis Dezember 2022 laufende Projekt umfasste unter anderem Informationsangebote für die Bevölkerung und Fachpersonen sowie die Weiterentwicklung mobiler Palliative Care Teams. Es ging ursprünglich auf eine Motion von Marcel Savarioud (SP) und Karin Weyermann (Die Mitte) aus dem Jahr 2016 zurück. Da noch ausreichend budgetierte Mittel vorhanden sind, wird das Projekt zunächst bis Ende 2024 als Pilot weitergeführt. Projekt und Bericht wurden von allen Seiten mit lobenden Worten bedacht, der Bericht einstimmig zur Kenntnis genommen.
- Neben dem von Alan David Sangines verkündete Gemeinderatspräsident Matthias Probst einen weiteren Rücktritt: Auch Sandra Bienek (GLP) wurde in den Kantonsrat gewählt und verlässt den Rat bereits nach einem Jahr wieder. Sie sei ein eher stilles Wasser und ein pflichtbewusstes und genau arbeitendes Mitglied der Redaktionskomission gewesen, so Probst: «Ich gehe davon aus, dass du politisch noch einiges anstossen wirst.»
- In persönlichen Erklärungen nahmen sowohl Martina Zürcher (FDP) als auch Stephan Iten und Johann Widmer (beide SVP) Bezug auf eine städtische Medienmitteilung zum Mehrzweckstreifen auf der Nordstrasse in Wipkingen. Dieser habe sich der Mitteilung zufolge nach knapp zwei Jahren bewährt und bleibe deshalb bestehen. Zürcher wies darauf hin, dass das positive Feedback aus der Bevölkerung, auf das sich die Stadt in ihrem Fazit beziehe, auf lediglich 30 Befragten fusse. Eine Umfrage des Quartiervereins Wipkingen mit sechsmal grösserer Grundlage habe ganz andere Ergebnisse gebracht. «Ich bin kein ängstlicher Mensch», fügte Stephan Iten an, «aber mir ist unwohl, wenn ich diese Strasse überqueren muss.»