Veloverkehr in Zürich: Mit mehr Daten zu sicherer Mobilität
Zürcher:innen spenden ihre Bewegungsdaten einer Genossenschaft, damit diese der Stadt helfen kann, Strassen zu planen, die an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sind. Ist das die Mobilitätsplanung der Zukunft?
Du schwingst dich am Morgen auf dein Velo und kurvst in Richtung Hauptbahnhof. Unterwegs wird dir der Verkehr auf der Hauptstrasse zu viel und du entscheidest dich für den Weg durchs Quartier. Am Zielort angekommen, parkst du dein Velo bei der Sihlpost, in der Hoffnung, es am Abend wieder zu finden. Danach verschwindest du in den Untiefen des Bahnhofs und rauschst mit einem Zug davon.
Die Stadt Zürich will mit dem Smart-City-Projekt «Datenspende für Gemeinnützigkeit» die Bewegungen ihrer Einwohner:innen erfassen. Denn die persönlichen Mobilitätsdaten bergen grosses Potenzial für die Verkehrsplanung. Dadurch sollen künftig der öffentliche Verkehr und die Velowege besser den Bedürfnissen der Städter:innen angepasst werden. Um an diese Daten zu gelangen, spannt die Stadt mit der Datengenossenschaft Posmo zusammen. Posmo steht für Positive Mobility, positive Mobilität.
Seit vergangenen August gibt es eine App, die all diese eingeschlagenen Wege und besuchten Orte verfolgt – und sie heisst nicht Google Maps.
«Egal, was du mit deinem Handy machst, konstant werden deine Daten geplündert.»
Roger Fischer, Datengenossenschaft Posmo
Die Daten-Treuhänderin
Das Geschäftsmodell von Posmo funktioniert folgendermassen: Die Genossenschaft sammelt Daten und stellt diese gegen Gebühr anonym zur Verfügung. Aktuell arbeiten sie vor allem mit Hochschulen und Gemeinden wie der Stadt Zürich zusammen. Im Fokus stehen Projekte, die Daten brauchen, um die Mobilität nachhaltig zu gestalten. «Wir sind ethische Datenbroker, das Geld fliesst in den Aufbau der Genossenschaft – und wenn wir Gewinn machen – zurück an die Mitglieder, also an diejenigen, die die Daten einbringen, und nicht an die Shareholder der grossen Tech-Konzerne», sagt Roger Fischer, einer der Verwalter der Genossenschaft Posmo.
Die Daten sollen laut Fischer genossenschaftlich organisiert werden, denn: «Wir haben keine Kontrolle über unsere Daten. Egal, was du mit deinem Handy machst, konstant werden deine Daten geplündert. Mit der Genossenschaft wollen wir diese Macht zurückbekommen.» Geplündert im Sinne davon, dass wir kein Mitspracherecht darüber haben, was zum Beispiel Instagram genau mit dem Wissen über unsere Likes anfängt.
Gerade in Bezug auf Mobilität und die Klimakrise seien Daten aber extrem wertvoll und würden heute schon zu genüge angehäuft. Nur liegen diese Informationen in der Hand von privaten Unternehmen – und können nicht zu Planungs- und Forschungszwecken genutzt werden. Aus diesem Grund brauche es eine Genossenschaft, die diese Mobilitätsdaten ebenfalls erfasse – transparent und sicher, so Fischer.
Posmo funktioniere anders als Google, Facebook und Co.: Damit jene Menschen, die sich tracken lassen, wissen, was mit ihren Daten geschieht, gibt es einen Ethikrat. Dieser muss jedes Projekt absegnen. «Alle zehn Sekunden wird im App ein Datenpunkt gesetzt, also eine Markierung, wo sich die Person befindet. Das ist eine grosse Verantwortung», sagt der Datensammler. Personen, die eigene Daten über die App spenden, können Genossenschafter:innen werden, den Ethikrat bestimmen und mitentscheiden, welche Institutionen schlussendlich die Erkenntnisse nutzen können.
Stadt Zürich braucht Daten für ihre Klimaziele
Seit nun neun Monaten sammelt Posmo via App für die Stadt Zürich Mobilitätsdaten. Diese erhält anonymisierte Auswertungen und hat zu keinem Zeitpunkt Einsicht in die individuellen Mobilitätsprofile der Nutzer:innen, betont der Genossenschafter. Im Fokus steht sowohl die aktive Mobilität, also der Velo- und Fussverkehr als auch der öffentliche Verkehr. Laut den Plänen der Stadt soll damit ein Beitrag zur Erreichung der Mobilitäts- und Klimaziele geleistet werden.
Noch bis Ende Jahr will Zürich mit dem Pilotprojekt auch herausfinden, wie man Personen motivieren könne, ihre Daten für einen guten Zweck zu spenden und wie gross das Potenzial von Daten für die Verkehrsplanung sei, sagt David Weber, Leiter der Smart-City-Abteilung der Stadtentwicklung Zürich.
Heisst, die Stadt muss die Menschen dazu bringen, dass sie ihre Daten für das Allgemeinwohl spenden. «Wir verschleiern den Verwendungszweck nicht. Die Kommunikation ist klar: Wir möchten Erkenntnisse für eine bedarfsgerechte Verkehrsplanung generieren», sagt Weber. Aktuell lassen sich gut 250 Personen per App tracken. So sind mittlerweile 6860 Datentage zusammengekommen, die zeigen, wie sich Zürcher:innen bewegen. Sowohl Fischer als auch Weber hoffen, dass in Zukunft mehr Menschen ihre Daten spenden. Denn in diesem Punkt sind sie sich einig: Je mehr Daten, desto besser.
Das Auto ist zweitrangig
Und schlussendlich soll das Sammelsurium an Daten dann zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und zur Verbesserung der Infrastruktur führen. Hier erhofft sich die Stadt, genauer herauszufinden, wo die Menschen umsteigen, welche Wege sie mit dem Velo bevorzugen oder welche Verkehrsmittel sie kombinieren. Das Projekt soll also die Mobilität Zürichs verbessern oder zumindest dazu führen, dass die Verantwortlichen diese besser verstehen. Die Kommunikation ist klar auf Velofahrer:innen ausgerichtet. «Zum Autoverkehr gibt es bereits sehr viele Daten und es geht indirekt auch um die städtischen Ziele: Die Förderung des Langsamverkehrs sowie des ÖVs», so Weber. Aber auch Automobilist:innen seien gefragt, ihre Daten zu tracken und würden keinesfalls vom Projekt ausgeschlossen.
Welche Entscheidungen aufgrund des Projekts dann gefällt werden, ist noch unklar. «Die Daten sind aussagekräftiger, wenn möglichst viele spenden», so Weber. Aber auch kleinere Sample können wichtige Erkenntnisse ermöglichen.
Ein Fallbeispiel von Posmo zeigt, dass ein User, nachdem im August 2022 die Hardturmstrasse der Limmat entlang umgebaut wurde, auf einmal die Strasse mit dem Velo nutzt. «Es ist ebenfalls ersichtlich, dass der Datengenossenschafter eher weniger in die umgekehrte Richtung gefahren ist, also nur stadteinwärts, da in die Gegenrichtung der Verkehr für Velos eher unattraktiv ist», erklärt Fischer. Gesammelt können genau solche Beispiele der Stadt viel Aufschluss über das Fahrverhalten der Zürcher:innen geben.
Daten alleine machen Strassen nicht besser
In den vergangenen Wochen sorgte die erste Veloroute für Wirbel unter den Velofahrer:innen. Denn entgegen dem Versprechen der Stadt, ist die Strecke nicht vom Durchgangsverkehr befreit – die Autos weichen nicht auf andere Routen aus. Und auch der grüne Streifen irritierte und wurde mehrfach kritisiert. Wie attraktive Velowege auszusehen haben, ist eigentlich bekannt. Braucht es dafür Daten? «Dass alleine mehr Daten, die Strassen sicherer und besser für den Langsamverkehr machen, ist eine Illusion», gibt der Smart-City-Leiter zu.
Der Diskurs um den öffentlichen Raum, also das Verhandeln um den Platz auf den Strassen und die damit einhergehende neue Aufteilung, wird schlussendlich in der Politik und der Öffentlichkeit ausgetragen. Weber und sein Team sind überzeugt, dass Daten in diesem Diskurs aber eine wichtige Entscheidungsgrundlage liefern und zusätzliche Einblicke gewähren können.