Datenschutz versus Transparenz: Das Dilemma des digitalen Grundbuchs
Seit kurzem können Zürcher Hauseigentümer:innen Einträge im Grundbuch sperren lassen. Für die einen ein notwendiger Schritt für besseren Datenschutz, für die anderen ein Hindernis für transparente Wohnpolitik.
Wem gehört die Stadt? Will man wissen, wer Eigentümer:in eines Grundstücks ist, gibt das Grundbuch Antwort. Doch hier heisst es in Zürich: «Ein Schritt füre und drüü wieder zrugg.»
Nachdem der Kanton – als Schlusslicht – im August 2023 das Grundbuch online zugänglich gemacht hat (wir berichteten), kommt bereits wieder ein Einschnitt: Das Obergericht hat nicht nur den Zugang eingeschränkt, Eigentümer:innen können ihre Grundstücke für die digitale Einsicht nun auch sperren lassen.
Einschnitt in Transparenz des Wohnungsmarkts
2023 hat Zürich als letzter Schweizer Kanton sein Grundbuch digital zugänglich gemacht. So konnte jede:r pro Tag fünf Grundstücksabfragen machen und erfahren, wem welches Grundstück gehört. Seit der Einschränkung im letzten Dezember kann es jetzt aber sein, dass im entsprechenden Feld keine Informationen zur Eigentümerschaft stehen, weil diese gesperrt worden sind.
Seit der Änderung Anfang Dezember seien für 2077 «E-GRIDS», die eidgenössischen Grundstücknummern, Sperranträge eingegangen und dann auch umgesetzt worden, schreibt Lukas Häusermann vom Notariatsinpektorar Zürich.
Nicht betroffen von der Praxisänderung ist die telefonische Auskunft: Dort ist eine Streichung nicht möglich.
Für die Befürworter:innen des digitalen Grundbuchs stellt diese Änderung einen Rückschritt in Sachen transparenter Wohnpolitik dar. Und sogar bei Kritiker:innen sorgt sie für Unverständnis.
Sonja Rueff-Frenkel, FDP-Kantonsrätin und Vorständin beim kantonalen Hauseigentümerverband, hatte 2023 noch die aus ihrer Sicht zu leichte Zugänglichkeit des Online-Grundbuchs kritisiert. Gegenüber dem Tages-Anzeiger meint sie, die jüngste Sperrmöglichkeit ergebe keinen Sinn. Wenn die Information telefonisch weiterhin möglich sei, mache das für das Schutzbedürfnis der Hauseigentümer:innen keinen Unterschied.
Überfälliger Schutz der Eigentümer:innen
Für Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum, war dieser Entscheid hingegen längst überfällig. «Ich war von Anfang an erstaunt, dass es online keine Sperrmöglichkeiten gab», meint er.
«Die betroffenen Personen müssen sich vor den Risiken für ihre Persönlichkeit und Privatsphäre schützen können.»
Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum
Die im Grundbuch enthaltenen Daten verdienten besonderen Schutz, da sie Rückschlüsse auf Eigentums- und Vermögensverhältnisse zulassen würden. «Die betroffenen Personen müssen sich vor den Risiken für ihre Persönlichkeit und Privatsphäre schützen können. Dieser Schutz greift auch dann, wenn sie als Grundstückseigentümer:innen nicht allen gleich sympathisch sind», erklärt Steiger.
Dass dabei zwischen digitaler und telefonischer Abfrage unterschieden wird, begründet der Datenschutzexperte folgendermassen: «Die Risiken und die Zugangsmöglichkeiten zu den Daten sind bei einer online Abfrage eine andere, als wenn man dazu extra beim Amt anrufen muss.» Die Missbrauchsgefahr sei online höher und es gelte den Datenschutz der Eigentümer:innen zu gewährleisten. «Nicht alle Anfragen verfolgen hehre Ziele», so Steiger.
Solche Datenbanken können für Unternehmen aus aller Welt ein Einfallstor bieten, um diese Daten für Werbezwecke brauchen oder mit ihnen handeln, erklärt Martin Steiger. Gerade die Verknüpfung mit Informationen über den Wohnort sei heikel, aber es könne beispielsweise auch um Fälle von Stalking gehen. Unter anderem aus diesem Grund gebe es die Beschränkung der täglichen Zugriffe, um Massenabfragen zu verhindern.
Weniger Einschränkungen in Basel-Stadt
Nicht alle Kantone ziehen in Sachen Datenschutz die Zügel enger: So können Grundstückseigentümer:innen aus Basel-Stadt ihre Einträge bislang nicht sperren lassen. Das bestätigt Annatina Wirz, Leiterin des Basler Grundbuchs, auf Anfrage.
Es gebe jedoch die Möglichkeit, die Wohnadresse der Eigentümer:innen zu löschen. «Und nachdem die Meldung aus Zürich aber bekannt wurde, haben sich bei uns auch schon verschiedene Eigentümer:innen gemeldet, ob sie ihren Namen auch streichen lassen können», sagt Wirz. Bislang sei eine solche Anpassung aber nicht geplant.
Das Grundbuch des Kantons ist schon länger als jenes von Zürich online zugänglich. Auch in Basel wurden die Zugriffsmöglichkeiten auf das digitale Grundbuch eingeschränkt, nachdem die Behörde stark erhöhte Zugriffszahlen aus dem Ausland festgestellt hatte.
Heute können pro Tag noch zehn statt wie zuvor zwanzig Eigentumsabfragen gemacht werden. Zudem wurde Geoblocking eingeführt: Abfragen sind nur noch aus der Schweiz und den Nachbarländern möglich.
Eigentumsinformationen in Zürich bleiben intransparent
Während der Datenschutz der Eigentümer:inneninformationen ein legitimer Grund ist, beim Zugang der Grundbücher Vorsicht walten zu lassen, besteht auf der anderen Seite auch ein öffentliches Interesse von Seiten der Bevölkerung zu wissen, wie die Eigentumsverhältnisse in einer Stadt aussehen.
«Leider hat im Kanton Zürich das Öffentlichkeitsprinzip einen schwierigen Stand.»
Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum
Tsüri.ch hat mehrfach versucht, Einsicht in die Grundbücher der Stadt Zürich zu erhalten, um Informationen zu Eigentumsverhältnissen zu recherchieren. Dabei zeigte sich, wie aufwändig und teilweise erfolglos solche Anfragen verlaufen können.
Für eine Recherche zu den 107 Parzellen entlang der Langstrasse musste das öffentliche Interesse aufgrund der explodierenden Mietpreise nachgewiesen werden – erst ein Bundesgerichtsurteil ermöglichte schliesslich den Zugang.
Auch beim Versuch, die Immobilien des Versicherungskonzerns Swiss Life in Zürich zu erfassen, war die Hürde hoch: Um herauszufinden, wie viele Gebäude im Besitz des Konzerns sind, benötigte es für jedes einzelne Grundbuch der Stadt einen separaten Antrag. Als eines der Grundbuchämter die Herausgabe der Daten verweigerte, führte erst die Argumentation, dass ein Bundesgerichtsurteil in Basel die Herausgabe ermöglichte, zum Zugang.
Für ganze Quartiere, geschweige denn die ganze Stadt Besitzinformationen zu erhalten, erwies sich als unmöglich. Und das, obwohl das öffentliche Interesse durch die steigenden Mietpreise und die hohe Leerstandsziffer nachvollziehbar gestützt werden kann.
Der Anwalt Martin Steiger ist der Ansicht, dass Journalist:innen die Grundbuchdaten für journalistische Zwecke – unabhängig vom Online-Zugang – erhalten müssten. «Dafür sprechen die Medienfreiheit, die Rechte und Pflichten von Journalist:innen und ein überwiegendes Interesse. Leider hat im Kanton Zürich das Öffentlichkeitsprinzip bislang einen schwierigen Stand», sagt der Datenschutzexperte. Banken hätten für die Abklärung der Kreditvergabe, beispielsweise für Hypotheken, bereits Zugang auf die Grundbuchdaten.
Auf die Frage, ob der Kanton Zürich an Möglichkeiten arbeitet, dass Journalist:innen einen vollständigen Zugriff auf die Daten zu den Eigentumsverhältnissen in Zürich erhalten, schreibt Lukas Häusermann vom Notariatsinpektorar Zürich: «Die Auskunftserteilung und Einsichtnahme in das Grundbuch sindgesetzlich geregelt und in diesem Rahmen würden die Grundbuchämter auch Journalistinnen und Journalisten Auskünfte geben.»
Mit anderen Worten: Die Bedingungen für Journalist:innen sind gleichgeblieben. Die Frage nach den Eigentumsverhältnissen vom Zürcher Immobilienmarkt bleibt weiterhin ungelöst, aufgerieben zwischen dem Anspruch auf Transparenz und den Anforderungen des Datenschutzes.
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