Bürgerliche Parteien mischen die städtische Wohnpolitik auf
Die FDP lanciert eine Wohnbauinitiative, die SVP wünscht sich mehr Wohnungen für ältere Menschen. Auf einmal entdecken die Bürgerlichen die städtische Wohnpolitik für sich. Über die Gründe und ob die Parteien damit Erfolg haben werden.
Lange Zeit lag die Stadtzürcher Wohnpolitik fest in den Händen linker Parteien. Allen voran der SP, die sich seit vielen Jahrzehnten für gemeinnützigen Wohnbau einsetzt. Auch die AL und die Grünen machten regelmässig mit wohnpolitischen Forderungen auf sich aufmerksam. Die Bürgerlichen hingegen standen in der Regel aussen vor. Ein Grossteil ihrer Vorstösse im Gemeinderat beschränkten sich darauf, die links-grüne Wohnbaupolitik zu bremsen.
Einigermassen erstaunt reagierten die Medien deshalb vor wenigen Wochen, als die FDP zusammen mit SVP, Mitte und GLP eine Volksinitiative lancierte, um mit Gebäudeaufstockungen gegen die drohende Wohnungsknappheit vorzugehen. Von einem «Angriff auf ein linkes Monopol» war in der NZZ die Rede und der Tages-Anzeiger titelte in einem Kommentar: «Die Bürgerlichen lernen von den Linken». Auch eine SVP-Initiative, die in städtischen Liegenschaften künftig 20 Prozent Alterswohnungen fordert, sorgte für einige lange Gesichter.
Wie kommt es, dass Mitte-rechts Parteien sich an einem Thema bedienen, das sonst auf der linken Agenda steht?
Breite Bevölkerung betroffen
«Wir haben die wohnpolitische Debatte lange stiefmütterlich behandelt», sagt Reto Brüesch. Der SVP-Gemeinderat ist eine der treibenden Kräfte der städtischen Initiative «Endlich mehr Alterswohnungen», in dessen Komitee hauptsächlich SVP-Politiker:innen sitzen. Sie alle wollen, dass in Zukunft 20 Prozent aller städtischen Wohnungen von Senior:innen belegt werden. Als Präsident einer Wohnbaugenossenschaft in Kloten seien ihm die Bedürfnisse von älteren Mieter:innen bekannt, sagt Brüesch. «Günstig wohnen wollen alle, aber Menschen über 60 mit einem schmalen Budget haben es besonders schwer, an zentralen Lagen in den Quartieren eine preisgünstige Wohnung zu finden.»
«Die Linken sind mit dem Latein am Ende.»
Përparim Avdili, Präsident FDP Stadt Zürich
Bereits vergangenen Juni hatte er deshalb zusammen mit seinem Parteikollegen Jean-Marc Jung eine Motion eingereicht, welche die Stadt aufforderte, in den nächsten zehn Jahren 500 ihrer Wohnungen Senior:innen zu vermieten. Zwei weitere Vorstösse stehen laut dem SVP-Politiker in den Startlöchern, um im Parlament diskutiert zu werden. Dass die rechte Ratshälfte sich nun ebenfalls mit dem Wohnthema auseinandersetzt, habe in erster Linie damit zu tun, dass immer mehr Menschen in Zürich unter den jetzigen Umständen leiden würden, so Brüesch: «Die Wohnungsnot betrifft alle Schichten.»
Ähnlich tönt es vonseiten der FDP. Das Wohnproblem habe sich in den letzten 30 Jahren zugespitzt, so der Parteipräsident der Stadt Zürich, Përparim Avdili. Und «weil die FDP eine Volkspartei ist», nehme man die Sorgen der Stadtbewohner:innen ernst. Ein weiterer Grund sei die bisherige Wohnbaupolitik, die Avdili zufolge zur heutigen Misere geführt habe: «Die Linken sind mit dem Latein am Ende.» Es brauche neue Lösungsansätze; der Weg über Regulierung und Verstaatlichung habe nicht funktioniert.
Per Umweg zum Erfolg?
Ganz aus dem Nichts komme die Wohnbau-Offensive aus dem bürgerlichen Lager jedoch nicht, sagt Avdili: «Die FDP hat in den letzten Jahren immer wieder wohnpolitische Forderungen eingebracht.» Doch im links-grün geprägten Stadtparlament eine Mehrheit zu finden, sei schwierig. Anfang Dezember scheiterte eine Motion, die quasi dasselbe verlangte wie die Volksinitiative, mit 60 zu 61 Stimmen.
Die linke Ratshälfte befürchtete, dass durch die Möglichkeit zur Aufstockung ganze Häuser saniert und danach teurer vermietet würden. Nach der Niederlage im Parlament soll deshalb das Stimmvolk darüber entscheiden, ob Gebäude künftig um ein Stockwerk erweitert werden dürfen. Und auch die SVP-Initiative über die Alterswohnungen kommt an die Urne. Sowohl Prëparim Avdili als auch Reto Brüesch geben sich zuversichtlich, dass ihre Vorlagen erfolgreich sein werden.
Der Politologe Oliver Strijbis räumt den Initiativen aus dem bürgerlichen Lager Chancen ein, «sofern sie auch linke Politiker:innen von ihrem Vorhaben überzeugen können». Die Unterstützung sei wichtig, da die Bürgerlichen noch nicht auf das Vertrauen von Mieter:innen setzen könnten. «Bisher haben die FDP und die SVP die Auffassung vertreten, dass es kein Menschenrecht sei, in der Stadt zu wohnen», sagt Strijbis. Das sei bei der städtischen Bevölkerung nicht gut angekommen. Erst recht nicht, seit sich die Situation in Zürich verschärft habe. Er bezeichnet die beiden Initiativen deshalb als «verzweifelten Versuch», bei der städtischen Wählerschaft nicht den Anschluss zu verlieren. Einer, der laut dem Politologen taktisch zu einem guten Zeitpunkt kommt.
Die SP in der Kritik
Erst vergangene Woche kam es innerhalb des linken Lagers zu Unstimmigkeiten. Dafür verantwortlich war das Vorhaben der SP im Gemeinderat, die Einkommenslimite für preisgünstige Wohnungen von privaten Eigentümer:innen zu streichen. Die Idee erntete viel Kritik – unter anderem vom grünen Stadtrat Daniel Leupi. Eine Woche nach der Abstimmung dann die Wende: Die AL versagte dem Ansinnen ihre Zustimmung, weshalb die Vorlage für die Errichtung preisgünstigen Wohnraums bei Privaten nun überarbeitet werden muss.
«Es gibt Themen, bei welchen die Ideologie keine Rolle spielen sollte – das Wohnen wäre eines davon.»
Reto Brüetsch, SVP-Gemeinderat
Solche Aktionen würden nicht nur die linke Allianz aufweichen, sondern auch den Bürgerlichen in die Hände spielen, ist sich Strijbis sicher. «Bisher hatte die SP bezüglich der Wohnpolitik die Themenführerschaft. Nun muss sie aufpassen, dass sie ihre Wählerschaft nicht verärgert, weil diese sich sonst von anderen Parteien besser abgeholt fühlt», so der Experte.
Trotz allem werden laut ihm die linken Kräfte auch weiterhin das wohnpolitische Feld anführen. «Es dauert mehrere Jahre und viele Vorstösse, bis ein Thema einer Partei zugeschrieben wird.» Wie stark die Linken die Zürcher Wohnpolitik prägen, zeigt sich nicht nur in der Reaktion der Medien auf die beiden bürgerlichen Vorlagen, sondern auch darin, wie die Initiativen betitelt wurden. Strijbis glaubt, dass man sich beim Titel «Mehr Wohnraum durch Aufstockung - quartierverträglich und nachhaltig» bewusst an einem linken Narrativ bedient hat.
Darauf angesprochen gibt Prëparim Avdili zu, sich bezüglich Kommunikation etwas von den Linken abgeschaut zu haben. Die Kernforderung sei aber klar freisinnig – daraus mache man auch keinen Hehl. Der Vorwurf, eine rechte Forderung für links zu verkaufen, weist auch der SVP-Politiker Reto Brüesch von sich: «Es gibt Themen, bei welchen die Ideologie keine Rolle spielen sollte – das Wohnen wäre eines davon.»
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 1500 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2000 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!