Zürcher Start-up zeigt wie moderne Landwirtschaft funktioniert

In Altstetten pflanzt das Start-up «UMAMI» Microgreens auf Regalen statt auf Feldern. Svend Henri Rinder ist für die Betreuung der Gastronomiekund:innen zuständig.

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Durch die vertikale Anpflanzung kann «UMAMI» bis zu neunmal mehr pro Quadratmeter anbauen, als die herkömmliche Landwirtschaft. (Bild: Sophie Wagner)

Rechtlich gesehen ist das hier ein Bauernhof – dabei stehen wir mitten im Industriequartier von Altstetten.

Die Luft ist schwer bei über 70 Prozent Luftfeuchtigkeit, Wasser plätschert, Fische ziehen ihre Bahnen in den Becken. Dazwischen steht ein handgebauter Kühlschrank mit Schiebetür aus Holz, mit Thermometer und Notizen.

Hier betreibt das Zürcher Start-up «UMAMI» sogenanntes Vertical Farming. Auf rund 600 Quadratmeter – das entspricht etwa sechs Tennisfeldern – gedeihen Radieschen, Zuckermais und Erbsen auf «Trays», bis sie ihre ersten Keimblätter zeigen. 

Die Pflanzen werden aber nicht in Erde gezogen, sondern auf einem speziellen Substrat. Die Nährstoffversorgung erfolgt in einem geschlossenen Kreislaufsystem nach dem Prinzip der Aquaponik: Dabei werden Fischzucht und Pflanzenanbau kombiniert, sodass die Ausscheidungen der Fische als Dünger für die Pflanzen dienen.

Im Gegenzug reinigen die Microgreens das Wasser, das anschliessend in den Tank zurückfliesst. So entsteht ein ressourcenschonender Kreislauf, der im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft erheblich weniger Wasser verbraucht.

LED-Lampen an den Regalrahmen ersetzen das Sonnenlicht. Je nach Sorte wird das Lichtspektrum angepasst, um Form und Farbe der Microgreens gezielt zu beeinflussen.

Im Raum vornedran streuen zwei Mitarbeitende von Hand neue Sprossen aus.

Microgreens statt Menükarten

Svend Henri Rinder läuft zwischen den Regalkonstruktionen durch und zeigt auf die Fische, Muscheln und Garnelen im Wasserbecken. Rinder arbeitet seit einem Monat bei «UMAMI». Er betreut die Gastronomiekund:innen und ist für den Vertrieb zuständig. Rinder kennt die Bedürfnisse der Kund:innen genau – nicht zuletzt, weil er selbst gelernter Koch ist.

Svend Henri Rinder kennt als ehemaliger Koch die Bedürfnisse der Restaurants.
Svend Henri Rinder kennt als ehemaliger Koch die Bedürfnisse der Restaurants. (Bild: Sophie Wagner)

Er habe schon früh seine Leidenschaft für gutes Essen entdeckt, erzählt er. Doch die Realität in vielen Betrieben machte es ihm schwer. Oft sei es am Zusammenhalt im Team gescheitert. «Dadurch wurde meine Leidenschaft für das Kochen eher ausgebremst als gefördert.»

Rinder zog nach Koblenz, wo er eine Weiterbildung zum Hotelbetriebswirt absolvierte. Dort habe sich ihm eine neue Perspektive in der Gastronomie eröffnet – abseits des Kochens.

Zurück in der Schweiz stiess Svend Henri Rinder zufällig auf die Stelle bei «UMAMI». Heute besucht er Gastronomiebetriebe und vermarktet dort Microgreens. Sein früherer Beruf helfe ihm, die Abläufe in Betrieben zu verstehen: «Ich kenne ihre Sprache, ihre Herausforderungen. Auch die unromantischen Seiten wie Lagerung oder Lieferpläne.»

Immer mehr Lokale würden auf ein klares Alleinstellungsmerkmal setzen. Diese Entwicklung verfolgt Rinder und erfreut sich an neuen Konzepten. Vegane Brunch-Spots, Restaurants, die nur mit Feuer kochen oder kompromisslos auf Regionalität setzen, seien gute Beispiele. Eine Gefahr wäre in Einzelfällen jedoch, dass Restaurants zu krampfhaft versuchen, sich abzuheben. Manchmal würden, laut Rinder, ein schöner Ort und gute Zutaten ausreichen.

Gehören Microgreens nicht selbst zu diesem Trend? Sie wirken auf dem Teller oft wie ein Statement – schön, besonders, exklusiv.

Rinder entgegnet dem: «Ich denke nicht, dass die Exklusivität Microgreens ausmacht, da sie auch in unterschiedlichsten Arten von Küchen und Betrieben verwendet werden.»

Trotz stolzem Preis, steigt die Nachfrage. Noch im Juli zieht «UMAMI» nach Illnau, in eine Anlage mit etwa fünfmal so viel Platz.

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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