Gemeinderats-Briefing #48: Frühphasen-Startups und Fensterlüften - Tsüri.ch #MirSindTsüri
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Gemeinderats-Briefing #48: Frühphasen-Startups und Fensterlüften

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Neue Klimaschutz-Förderung, Vorfahrt für den Baubestand, bessere Luftqualität mit weniger Technik.

Gestern hielt die Gemeinderatssitzung eine Premiere bereit. Zumindest für mich. Zum ersten Mal seit dem Start des Gemeinderats-Briefings kam eine Einzelinitiative in den Rat. Einzelinitiativen kann jede:r stimmberechtigte Bürger:in einreichen und damit die Umsetzung eines bestimmten Anliegens verlangen. Mindestens 42 Gemeinderät:innen müssen das Vorhaben vorläufig gutheissen, dann geht die Initiative an den Stadtrat, der wiederum eine Weisung ausarbeitet. Erst dann wird im Gemeinderat inhaltlich darüber diskutiert.

In den letzten Jahren wurden aus der Bevölkerung immer wieder interessante Forderungen eingereicht, zum Beispiel, dass die Stadt Parks nach den Prinzipien der Empathie und Liebe statt jenen der Zweckmässigkeit gestalten solle, dass der «Haschisch-Pilotversuch» verhindert werden solle, weil Cannabis-Konsum unter anderem zu kriminellen Handlungen führe oder dass die neuen Flexity-Trams ein anderes Design bekommen sollen, weil das aktuelle zu sehr an den Kanton Aargau erinnere.

Laut Andreas Ammann, dem Leiter der Parlamentsdienste, scheitert ein grosser Teil dieser Initiativen am Quorum. Eine einzige Vorlage, die vorläufig unterstützt wurde, sei aktuell in der Kommissionsberatung, nämlich die Forderung nach einer Späterlegung des Unterrichtsbeginns in der Volksschule. Auch die gestrige Einzelinitiative hatte keine Chance, das Quorum zu erreichen. Sie forderte ein generelles Verbot motorisierter Fortbewegungsmittel im Wald, um seine tierischen Bewohner:innen zu schonen und den Erholungswert des Waldes zu erhalten. Neun Gemeinderät:innen stimmten für eine vorläufige Unterstützung, darunter knapp die Hälfte der Grünen und eine Parlamentarierin der GLP.

Illustration: Zana Selimi

Stadt gibt Geld an nachhaltige Firmen

Grosses Thema des Abends war aber ein neues Förderprogramm, mit dem der Stadtrat in einer fünfjährigen Pilotphase Unternehmen und Akteur:innen unterstützen will, die sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz einsetzen. Dieses Projekt hört auf den Namen KlimUp und geht auf insgesamt vier Vorstösse zurück, die vonseiten der SP und der GLP zwischen 2020 und 2022 eingereicht worden waren und städtische Fördermassnahmen in diesen Bereichen forderten. Man müsse vor allem die Entwicklungen bei den indirekten Emissionen und den Negativemissionstechnologien beschleunigen, um das städtische Netto-Null-Ziel zu erreichen, erklärte Martina Novak (GLP) bei der Vorstellung der Weisung. Das vorgelegte Programm im Umfang von 12 Millionen Franken richte sich vor allem an Frühphasen-Startups und gemeinnützige Nonprofit-Organisationen (NPOs), die «innovative Lösungen für eine klimaneutrale Stadt und eine intelligente Ressourcennutzung entwickeln».

Gefeilscht wurde im Anschluss um die konkrete Ausgestaltung. Die Grünen hatten in der zuständigen Gesundheits- und Umweltkommission den Antrag gestellt, die Ausgaben auf 14 Millionen Franken zu erhöhen und davon mindestens 4 Millionen Franken für NPOs festzuschreiben. Die Weisung des Stadtrats beinhalte viele technologische und unternehmerische Lösungen, so Julia Hofstetter zur Begründung. «Man glaubt, Technologie kann vieles lösen, wir aber glauben, Klimaschutz ist häufig eine beharrliche, hartnäckige Arbeit, die NGOs im Hintergrund leisten.» Dafür brauche es nicht Einmalzahlungen, sondern mehrjährige, wiederkehrende Beiträge.

Die AL wollte Startups gleich ganz aus der Weisung streichen. «Wir sehen nicht ein, warum die Stadt private, profitorientierte Unternehmen subventionieren sollte», erläuterte Moritz Bögli diesen Antrag. Nachdem dieses Vorhaben jedoch in einer ersten Abstimmungsrunde keine Chance hatte, stimmte die AL mit SP und Grünen für deren Änderungsantrag und half ihm so mit 63 zu 57 Stimmen zur Mehrheit. Bei der Abstimmung über die geänderte Weisung stimmte die AL dafür mit FDP und SVP dagegen. Es handle sich bei der ganzen Vorlage nicht um einen ernstgemeinten Versuch, eine Lösung für die Klimakrise zu schaffen, sondern um einen plumpen Versuch der Klientelpolitik, so Bögli. Immerhin werde mit dem Änderungsantrag der Grünen ein Teil der Gelder für NPOs reserviert. David Ondraschek begründete die Enthaltung seiner Mitte-Fraktion mit ebenjenem erfolgreichen Änderungsantrag, der die Gesamtausgaben erhöhe. Grundsätzlich bekenne man sich zu dem Vorschlag.

«Das Lebensmodell der Linken lautet: Jutesack, Sandalen, Lagerfeuer, ab in die Höhle, Stein davor.»

Walter Anken, SVP, wirft den Linken Technologiefeindlichkeit vor.

Doch mit den Änderungsanträgen nicht genug: Zur weiteren Konkretisierung des Vorhabens warfen SP, Grüne und AL noch zwei Begleitpostulate in den Ring.

Mit dem ersten forderten sie, die Energiesuffizienz in den Mittelpunkt der Förderung zu stellen, also eine Senkung des Ressourcenverbrauchs auf ein Mass innerhalb der planetaren Grenzen den Negativemissionstechnologien vorzuziehen. Das zweite Postulat zielte darauf ab, auch kleinere Förderbeiträge zwischen 1000 und 5000 Franken in das Programm zu integrieren, die Klimaschutz-Initiativen aus den Stadtzürcher Quartieren wie Repaircafés und Tauschbörsen zugute kommen sollten. Die Förderung von Startups und Unternehmen bringe nichts, wenn wir nicht bereit seien, unseren übermässigen Konsum zu reduzieren, begründete dies Nadina Diday (SP). Initiativen im und fürs Quartier leisteten hierbei einen wichtigen Beitrag.

Damit drohe der Staat zum Selbstbedienungsladen zu verkommen, konterte Thomas Hofstetter (FDP). Walter Anken (SVP) sah in diesem Vorstoss die Klientelpolitik heraufziehen, die Moritz Bögli zuvor angesprochen hatte. Schliesslich würden Repaircafés eher nicht von SVP- oder FDP-Mitgliedern betrieben, sondern von Vertreter:innen der gegnüberliegenden Seite. Den Linken warf er in ihrer Skepsis gegenüber Negativemissionstechnologien Technologiefeindlichkeit vor: «Das Lebensmodell der Linken lautet: Jutesack, Sandalen, Lagerfeuer, ab in die Höhle, Stein davor.»

Auch Martina Novak erklärte, ihre GLP werde beide Postulate ablehnen. Beim ersten halte man die Hervorhebung der Energiesuffizienz für obsolet, da sie bereits als Fokus im Programm auftauche. Beim zweiten frage man sich, ob er finanzielle Aufwand für die Verwaltung solch kleiner Beträge wirklich im Verhältnis zum Nutzen stehe. David Ondraschek (Die Mitte) dagegen fand die zusätzliche Förderung lokaler Initiativen unterstützenswert. Seine Fraktion stimmte mit den rotgrünen Fraktionen für das entsprechende Postulat, während diese beim Energiesuffizienz-Postulat nur auf ihre dünne Ratsmehrheit von 63 zu 58 Stimmen bauen konnten.

Vorfahrt für den Baubestand

Ein Viertel der verbrauchten Gesamtenergiemenge entfällt bei einem modernen, energieeffizenten Neubau auf den Betrieb, schaut man den gesamten Lebenszyklus an. Drei Viertel der Energie fallen dagegen beim Bau an. Das referierte gestern Jürg Rauser (Grüne), als er ein Postulat von ihm und seinem Fraktionskollegen Yves Henz vorstellte. Darin fordern die beiden, dass bei Bauprojekten auf Grundstücken mit Bestandsbauten künftig die Treibhausgasemissionen des gesamten Lebenszyklus als Kriterium aufgenommen werden sollen.

Bauen im Bestand sei nicht nur punkto Emissionen meist die nachhaltigere Variante, sondern schone auch die gewachsenen Strukturen eines Quartiers und seiner Bevölkerung, so Rauser. Einen direkten Einfluss habe die Stadt bei Eigenbauten und jenen städtischer Firmen und Stiftungen sowie bei Bauten im Baurecht auf städtischen Parzellen. Bei Arealüberbauungen und Gestaltungsplänen könnten Wettbewerbe ein Hebel sein, um das Kriterium einfliessen zu lassen.

Fast alle Fraktionen hiessen den Vorstoss gut. Mischa Schiwow (AL) sprach von einer wichtigen Ergänzung der aktuellen Regelung und meinte: «Wir sollten aufhören, so zu tun, als würden wir auf der grünen Wiese bauen.» Michael Schmid (FDP) befand, da das Postulat die Stadt als Bauherrin in den Fokus rücke und nicht Private, sei es unterstützenswert. Damit werde die Vorbildfunktion der Stadt, die sich für ihre Verwaltung und die Eigenbetriebe das Netto-Null-Ziel 2035 gesetzt hat, ernstgenommen.

Auch Selina Frey (GLP) stellte sich hinter das Postulat. Für die GLP sei es wichtig, dass man sowohl auf die Lebensumstände der Einzelpersonen im und um das Gebäude als auch auf das Klima eingehen könne. Einzig SVP und dieDie Mitte/EVP befanden, dass Bauherr:innen dieses Kriterium bereits heute schon genug in ihre Vorhaben miteinbeziehen würden. Eine grosse Mehrheit von 97 zu 23 Stimmen votierte dementsprechend für das Postulat.

Bessere Luftqualität mit weniger Technik

Ein wenig 2021-Vibes versprühte Anna Graff (SP), als sie ein Postulat vorstellte, das sie zusammen mit Christian Monn (GLP) eingereicht hatte. Die Politik dürfe auch mitten im Sommer nicht vergessen, dass Covid-19 kein Gespenst der Vergangenheit sei, so Graff. Auch die Grippe stelle in den Wintermonaten für weite Teile der Bevölkerung ein hohes Risiko dar. Die Folge sei eine starke Belastung des Gesundheitssystems und, wegen hoher Krankenstände, auch der Wirtschaft.

Deshalb sieht ihr Postulat eine «Luftqualitätsoffensive» in den Gebäuden der Stadt Zürich vor: In geschlossenen Räumen, in denen sich viele Menschen aufhalten, sollen technische Geräte beispielsweise zur Luftfilterung, zur CO2-Messung oder zur Viren-Inaktivierung eingesetzt werden. Ein guter Gedanke, befanden sowohl Reto Brüesch (SVP) als auch Deborah Wettstein (FDP). Jedoch habe die Verwaltung solche Geräte bereits teilweise in Benutzung gehabt und sich gegen einen flächendeckenden Einsatz entschieden. Zudem habe die SP erst in diesem Frühjahr einem Postulat von Jürg Rauser und Yves Henz (beide Grüne) zugestimmt, das die Einhaltung des Prinzips «so wenig wie möglich, so viel wie nötig» beim Einbau von Haustechnik forderte. Sie widerspreche sich hier also selbst.

Der erwähnte Rauser meldete sich gleich selbst zu Wort. Es gehe ihm darum, dass Technik erst dann angewendet werde, wenn andere, nicht-technische Massnahmen nicht genügten. Deshalb brachte er eine Textänderung ein, die das Fensterlüften zum ersten Mittel der Wahl erheben soll. Anna Graff entgegnete zwar, es sei ihr wichtig, dass vor allem im Winter nicht zu viel und zu lange gelüftet werde, man nehme die Textänderung aber trotzdem an. Ihr Fraktionskollege Florian Blättler verglich in einem geschichtlichen Exkurs noch die Luftreinhaltung mit der Säuberung des Trinkwassers nach den Cholera- und Typhus-Epidemien im 19. Jahrhundert. Danach stimmten SP, Grüne und GLP zusammen mit der AL in deutlicher Mehrheit für den Vorstoss.

Weitere Themen der Woche

  1. Islam Alijaj (SP) und Tanja Maag (AL) forderten in einer Motion, in den nächsten fünf Jahren bei Neu- und Umbauten von Spiel- und Pausenplätzen, diese inklusiv und barrierefrei anhand des Leitfadens der Stiftung «Denk an mich» zu gestalten. Sowohl Stadtrat André Odermatt (SP) als auch Vertreter:innen von FDP, GLP und der Mitte betonten, sie würden das Anliegen gerne unterstützen, allerdings nur als Postulat. Eine Motion sehe die Schaffung eines Rahmenkredits vor, der mit grossem Aufwand und Bürokratie verbunden sei, statt dass Geld und Ressourcen direkt in Projekte fliessen könnten, so die durchgängige Argumentation. Tanja Maag erklärte, man habe Angst, dass das Anliegen versande, wenn es nur als Postulat überwiesen werde, und bleibe deshalb bei der Motion. Die Grünen folgten SP und AL und verhalfen dem Vorstoss zu einer hauchdünnen Mehrheit von 58 zu 55 Stimmen.

  1. Der Stadtrat beantragte dem Gemeinderat per Weisung einen Projektierungskredit von knapp 3,9 Millionen Franken für die Erweiterung der Schulanlage Brunnenhof. Während diesem ausser der SVP alle Fraktionen zustimmten, hatten Urs Riklin und Balz Bürgisser (beide Grüne), wie bei eigentlich jeder Schulhaus-Weisung in letzter Zeit, wieder ein Begleitpostulat eingereicht, das eine attraktive Velo-Infrastruktur, insbesondere mit ausreichend witterungsgeschützten Velo-Abstellplätzen, forderte. Nur SVP und FDP stellten sich dem entgegen. Es wird voraussichtlich das letzte Mal gewesen sein, dass dieser inzwischen gewohnte Ablauf stattfand: Später kam noch ein Postulat von Riklin und Bürgisser zur Abstimmung, das generell bei Schulhaussanierungen eine attraktive Velo-Infrastruktur fordert. Nachdem die FDP eine Textänderung durchgebracht hatte, die statt des Neubaus die bevorzugte Nutzung der vorhandenen Dusch- und Umkleide-Infrastruktur forderte, stimmten dem Vorstoss alle Fraktionen ausser der SVP zu.

  1. Dominik Waser (Grüne) drückte in einer persönlichen Erklärung seine Freude über die Medienmitteilungen aus, die zur wöchentlichen Stadtratssitzung verschickt worden waren. Unter anderem wird darin von einer hohen Nachfrage nach der städtischen Förderung beim Ersatz fossiler Heizungen berichtet sowie die Planung eines Netto-Null-Pilotquartiers in Wiedikon angekündigt. «Wir sehen: Es funktioniert und es funktioniert gut», befand Waser und lobte ausdrücklich die Stadträte Michael Baumer (FDP) und Andreas Hauri (GLP), denen er sonst nicht immer so wohlwollend gegenübersteht. Diese Rolle übernahm dafür Walter Angst in seiner Erklärung: Er frage sich, wie es um andere Vorhaben stehe wie beispielsweise die Beiträge für Sanierungen, die an den Verzicht auf Leerkündigungen gekoppelt sind, so der AL-Politiker.

  1. Jean-Marc Jung (SVP) teilte in einer persönlichen Erklärung mit, dass der SVP-Stand beim Riesbach-Fest von etwa 20 Linksautonomen bedrängt worden sei. Man habe Personenschutz anfordern müssen, sagte er: «Das ist eine Sauerei.»

  1. Im Zusammenhang mit der Besetzung der ehemaligen Post in Wipkingen reichten Moritz Bögli (AL) und Lisa Diggelmann (SP) eine schriftliche Anfrage ein. Sie umfasst Fragen zum Kenntnisstand zur bisherigen (Nicht-)Nutzung und zur Kommunikation mit der Post sowie zur Möglichkeit eines Kaufs der Liegenschaft durch die Stadt.

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