Wohnungsnot in Zürich: Mieter:innen appellieren an Stadtpräsidentin

Eine Gruppe von Mieter:innen kritisiert die Haltung der Stadt Zürich gegenüber Menschen, die aus ihren Quartieren verdrängt werden. In einer Videonachricht, adressiert an die Stadtpräsidentin Corine Mauch, fordert sie ein Umdenken.

In Schwamendingen habe man keine Verdrängung beobachten können, so die Stadt. Eine Gruppe Mieter:innen widerspricht. (Bild: Isabel Brun)

Es brauche viel Mut, öffentlich zu widersprechen, schreibt eine Gruppe von 15 Mieter:innen. Doch die Wut scheint gross. In einem Brief und einer Videonachricht wendet sie sich an die Stadtpräsidentin Corine Mauch. Darin zeigt man sich enttäuscht über die Haltung der Verantwortlichen bei der wachsenden Wohnungsnot in Zürich und erwartet genaueres Hinschauen von der Stadt.

Auslöser für die Aktion war ein Interview mit den Direktorinnen Anna Schindler von der Stadtentwicklung und Katrin Gügler vom Amt für Städtebau, das Mitte Juli auf Tsüri.ch publiziert wurde. Das Thema sei bloss medial aufgekocht, sagte Schindler im Gespräch.

Dass die Stadt von einer Wohnungsknappheit und nicht von einer Wohnungsnot spreche, sei ein Affront an jene Menschen, welche die Stadt verlassen müssten, so die verärgerten Mieter:innen.

Lückenhafte Zahlen zu Wegzügen

Auch sei eine Auswertung der Stadt zu Weg- und Umzügen nicht nachvollziehbar. Gemäss dieser müssen nur 30 Prozent aller Mieter:innen aus der Stadt wegziehen. «Wir gehen davon aus, dass Anna Schindler die gesamtstädtischen Zahlen zu den Umzügen nach Leerkündigungen verwendet hat. Betrachtet man hingegen alle Um- und Wegzüge in der ganzen Stadt, berechnen wir für das Jahr 2023 eine höhere Wegzugrate von 49 Prozent», kritisiert die Gruppe. 

Dass Schindler mit diesen Zahlen die Verdrängung relativiere, sei ein Schlag in die Magengrube. «Da versucht uns die höchste Verwaltungsebene zu erklären: Es sei völlig egal, wenn 30 Prozent aller Umziehenden die Stadt verlassen müssen, weil sie es sich nicht mehr leisten können, hier zu leben. Geht’s noch?», empören sich die Mieter:innen.

Ein Drittel sei ein Drittel zu viel. Deshalb verlangt man von der Stadt Antworten: Wer sind diese 30 Prozent: Wie viele davon noch Kinder, wie viele pensioniert? In welchen Berufen arbeiten die Wegziehenden? Gibt es Betroffene, die kurz vor der Einbürgerung stehen und dringend in der gleichen Gemeinde wohnen bleiben müssen? 

Kollektive Kritik

Auch in Schwamendingen werden Menschen ihr Zuhause verlassen müssen. Der Stadtteil stand in der jüngsten Vergangenheit vermehrt in den Medien, weil im Zuge der Autobahneinhausung viele grosse Überbauungen ersetzt werden. In den kommenden Jahren wird sich die Demografie verändern, denn durch die Neubauten werden auch die Mieten steigen. Trotzdem habe die Stadt bisher keine Verdrängung beobachten können, so die Direktorinnen im Interview. In Schwamendingen sei die Situation besser als anderswo: 40 Prozent könnten demnach im Quartier bleiben.

Doch diese Zahl stamme aus dem Ergänzungsbericht Überlandpark, der sich lediglich mit den Grundstücken direkt neben der Einhausung sowie einem leicht ausgeweiteten Einzugsgebiet beschäftige, jedoch keine Rückschlüsse auf das gesamte Quartier zulassen würde, so die Kritik der Mieter:innen.

Viele von ihnen hätten eigene Erfahrungen mit der Situation im Quartier gemacht, selbst Kündigungen erhalten oder andere dabei unterstützt, eine neue Bleibe zu suchen, so eine der Verfasserinnen auf Anfrage. Obwohl sich einige von ihnen im Video mit Gesicht zeigen, will man als kollektive Stimme aller Mieter:innen in Zürich wahrgenommen werden.

Mut habe es trotzdem gebraucht – und diesen fordern sie auch von Corine Mauch: «Wir appellieren an Sie, dass Sie das Ziel einer Stadt für alle mit uns zusammen verteidigen.»

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2024-02-27 Isabel Brun Redaktorin Tsüri

Isabel hat an der ZHAW Kommunikation studiert und schreibt seit 2019 für Tsüri.ch. Bevor sie sich dem Journalismus verschrieb, arbeitete sie als tiermedizinische Praxisassistentin. Als erste Klima-Redaktorin von Tsüri.ch trieb sie die Berichterstattung zu Klimathemen massgeblich voran. In der Redaktion hält sie die Fäden in der Hand, findet vergessene Kommas und koordiniert die Kolumnen. 

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Weil ich eine Gwundernase bin und es mir durch meinen Beruf erlaubt ist, dumme Fragen zu stellen. Ausserdem finde ich es wichtig, Dinge kritisch zu hinterfragen und Wissen für alle zugänglich zu machen. (Hab mal gehört, das sei wichtig für eine Demokratie.)

Das mag ich an Zürich am meisten:

Die Preise, der unterirdische Teil des HBs und das enorme Selbstbewusstsein der Stadt.

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Kommentare

Er Klärer
25. Juli 2024 um 14:09

"Gring abe u seckle"

Einen Artikel über Wohnungsnot schrieben, gleichzeitig ein Bild aufschalten, welches Neubauprojekte im grösseren Ausmass ausweist... Ich hoffe sie merken es selber. Es ist in der Tat so, dass es wieder eine Wohnungsnot, noch eine Wohnungsknappheit gibt. Das eigentliche Problem ist die generelle Zuwanderung von In- und Ausländern; welche sich sehr stark auf den Raum Zürich, also die City und umliegende Agglomeration konzentriert. Somit steigen die Preise, was zur Folge hat, dass "Geringverdiener" aus der Stadt "vertrieben" werden. Und um es einfach mal so zu sagen... Schwamendingen where? Hören Sie auf von Zürich zu sprechen und dann Randteile wie Schlieren oder Schwamendingen zu thematisieren. Das ist nämlich Peanuts im Vergleich zu den Dingen, welche beispielsweise gerade im Kreis 8 passieren. Sie regen sich auf und sagen sie werden vertrieben? Ich lege Ihnen den Kapitalismus ans Herz oder anders ausgedrückt: Fressen oder gefressen werden.