Wohnungen sind knapp und teuer

Wohnkrise trifft die Jungen: «Kann es mir nicht leisten, auszuziehen»

Junge Zürcher:innen ziehen immer später von zu Hause aus. Dafür ist neben längeren Ausbildungszeiten vor allem die Wohnungsknappheit verantwortlich. Gegenüber Tsüri.ch schildern Betroffene ihre Situation.

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Im Kanton und schweizweit passiert der Auszug aus dem Elternhaus immer später. (Bild: Statistisches Amt Kanton Zürich)

Der Auszug aus dem Elternhaus wird für junge Zürcher:innen immer schwerer. Mehr als die Hälfte der Menschen, die im letzten Jahr volljährig geworden sind, werden auch mit 25 noch daheim wohnen. Das zeigt eine neue Auswertung des Kantons. Ein jüngst veröffentlichtes Papier vom Bundesamt für Statistik zeigt schweizweit: Menschen, die nach 1988 geboren sind, ziehen im Schnitt fast zwei Jahre später aus als die vorherige Generation. 

Woran das liegt? Ein Faktor sei die heute durchschnittlich längere Ausbildungsdauer. «Viele junge Erwachsene können sich während der Ausbildung keine eigene Wohnung leisten», hält der Kanton fest. Allein erklären könne dies das Phänomen jedoch nicht – so seien auch das knappe Angebot auf dem Wohnungsmarkt und die hohen Mieten verantwortlich. 

«Das hat mir einen Geschmack des Zürcher Wohnungsmarkts gegeben»  

Laurel ist 25 Jahre alt und studiert Lebensmittelwissenschaften an der ETH. «Einige haben den Vorteil, dass die Eltern sie beim Auszug finanziell unterstützen, das ist bei mir nicht der Fall», erzählt Laurel. Für die ersten drei Semester sei das Studium ein Hundert-Prozent-Job, erst nachher lasse sich die Anzahl Credits auch reduzieren und nebenbei arbeiten.  Bezahlbare Wohnungen wie etwa von der Juwo seien rar und schwer umkämpft. Und einige der subventionierten Wohnungen seien für Laurel noch immer zu teuer. Dazu kommt: «Auf keine meiner zwölf Bewerbungen habe ich überhaupt eine Antwort erhalten. Das hat mir einen Geschmack davon gegeben, wie die Wohnsituation in Zürich aktuell aussieht».

Aktuell wohnt Laurel in Dielsdorf, verfügbare Wohnungen gibt es meist nur ausserhalb der Stadt. Deshalb würde ein Auszug faktisch eine Verdrängung bedeuten. Ähnlich zentral einen bezahlbaren Wohnraum zu finden, scheint fast unmöglich. «Ich kann es mir nicht leisten, auszuziehen. Das ist ein Fakt, der auch am Ego kratzt», berichtet Laurel. Das mag man zwar als «Luxusproblem» abtun, schlägt sich jedoch auch in der Statistik der sinkenden Erstauszüge nieder; und es beweist einmal mehr, dass die Nachfrage nach günstigem und zentralem Wohnraum viel höher ist, als das Angebot.  

18-Jährigen ist Bange vor der Zukunft 

Gemäss der kantonalen Auswertung dürfte künftig rund ein Fünftel derjenigen, die im letzten Jahr volljährig geworden sind, auch mit 30 Jahren noch daheim leben.

Der 18-jährige Cristian hofft, dass es ihm nicht so ergehen wird, jedoch ist die Skepsis gross, insbesondere was den Sprung in die Stadt Zürich angeht. Nach Abschluss des Gymnasiums hilft Cristian aktuell im Detailhandel aus, bevor er im nächsten Jahr mit dem Zivildienst beginnt. 

Mit seiner Familie wohnt er in Bachen-Bülach, sein soziales Leben findet jedoch hauptsächlich in der Stadt Zürich statt. «Es wäre schön, im Sommer nach dem Schwimmen am Letten einfach mit dem Tram heimzugehen, statt 40 Minuten S-Bahn zu fahren und dann noch den Bus zu nehmen», sagt er.  Das ständige Hin-und-Her-Fahren und insbesondere die Nachtverbindungen seien anstrengend.  Auch weil das Leben in der Stadt entspannter und weltoffener sei, locke es ihn nach Zürich. «Auch viele meiner Freund:innen aus der Agglo würden sehr gerne in die Stadt ziehen», erzählt er. Seine Freund:innen, die in der Stadt aufgewachsen sind, hätten es hingegen weniger eilig.

Auch mit Cristians künftigen Zivildienstlohn von 2100 Franken bleibt ein Auszug unrealistisch. «Die Wohnungen in Zürich sind viel zu teuer, ausserdem ist es extrem schwierig, überhaupt eine WG zu finden und die Suche nimmt viel Zeit in Anspruch», sagt er. Nach dem Zivi und dem gestalterischen Vorkurs will er Visuelle Kommunikation studieren. Dafür kämen neben der ZHDK auch Basel und Luzern infrage. 

Bis dahin sei an einen Auszug nicht zu denken. «Aber wenn ich das Studium in Basel oder Luzern anfange, müsste ich fast ausziehen und hoffe, dass ich ein günstiges WG-Zimmer finden werde». Dafür wäre in seinem Fall auch finanzielle Unterstützung durch die Eltern denkbar. 

Ein Auszug nach Zürich – die Stadt mit den weltweit zweitteuersten Bodenpreisen – wäre hingegen einiges schwieriger. Das Angebot ist knapp und teuer, die Mietpreise zeigen weiter nach oben. Die Hürden für junge Erwachsene in Kanton Zürich dürften damit nur noch höher werden. 

Welche Folgen dies für die jungen Menschen und für die Gesellschaft haben könnte, schildert Bettina Isengard vom Soziologischen Institut der Uni Zürich: «Als mögliche Folge kann sich der Prozess, Selbstständigkeit zu erlangen, hinauszögern. Das kann auch Ängste bis hin zu depressiven Symptomen auslösen». Ausserdem könne es passieren, dass individuelle Lebenspläne aufgeschoben werden. Dies führe oftmals zu einer verzögerten Familiengründung und könne sogar zu einer niedrigeren Geburtenziffer führen. Dies sei etwa in Italien der Fall, wo die Geburtenziffer im Vergleich gering ist und Jugendliche oft länger zu Hause wohnen. Im europäischen Vergleich liegt die Schweiz jedoch weiterhin in der Mitte, in Süd- und Osteuropa ist die sogenannte Koresidenz – also das Zusammenleben mit den Eltern – deutlich üblicher, in Skandinavien deutlich seltener.  

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