1049 bezahlbare Wohnungen wurden abgebrochen
Die neue Wohnbau-Statistik der Stadt Zürich ist da – also die Zahlen für das Jahr 2023. Und auch wenn die Stadt die Zahlen in einem positiven Licht kommuniziert, findet unsere Kolumnistin Mieten-Marta den Befund doch eher ernüchternd und sorgt sich um Zürichs Verdrängungsquartiere.
«Hohe Bautätigkeit» titelt die Stadt in ihrer Medienmitteilung, und der erste Satz prahlt schon: «Im Jahr 2023 entstanden in Zürich 3047 Neubauwohnungen.» Dass dafür auch Wohnungen abgebrochen wurden, wird in der Medienmitteilung nicht einmal erwähnt – geschweige denn wie viele. Dabei sind es viele: 1049. 1049 bezahlbare Wohnungen notabene – denn egal, ob diese abgebrochenen Wohnungen kommerziell oder gemeinnützig betrieben waren: Die Tatsache, dass sie abgebrochen wurden, deutet darauf hin, dass sie nicht mehr lukrativ waren, oder in anderen Worten: Sie waren bezahlbar.
Stattdessen haben wir nun also 3047 Neubauwohnungen – und ihr wisst ja selbst, wie teuer neue Wohnungen vermietet werden. Doch diese teuren Wohnungen bleiben nicht einfach teure Inseln für sich. Vielmehr strahlen ihre Preise auch auf bestehende Wohnungen aus. Durch die sogenannten «Quartierüblichkeit» dürfen Eigentümer:innen laut Gesetz nämlich auch bei bestehenden Wohnungen ohne zu investieren höhere Mietpreise verlangen, wenn rundherum plötzlich ganz viel teurer Wohnraum entsteht. Unglaublich eigentlich, oder? Da wird bezahlbarer Wohnraum abgerissen, mit teuren Klötzen ersetzt, und am Schluss steigen deswegen sogar die Mieten der umliegenden bestehenden Wohnungen? Gaht’s no?
«Eigentlich müsste man als Regel einführen, dass für jede abgebrochene Wohnung eine bezahlbare Wohnung entstehen müsste.»
Mieten Marta
Doch zurück zur ernüchternden städtischen Wohnbau-Statistik: Da ist nämlich weiter zu lesen, dass nur ein Viertel der neuen Wohnungen gemeinnützig ist, also von Genossenschaften oder der öffentlichen Hand gebaut. Vielleicht erinnert ihr euch, dass die Stadtzürcher Stimmbevölkerung 2011 mit 67 Prozent Ja-Stimmen entschieden hat, dass in Zürich bis 2050 ein Drittel aller Mietwohnungen gemeinnützig sein soll? Von diesem Ziel entfernen wir uns leider Jahr für Jahr mehr. Mit dem Drittelsziel wird also nicht alles gut!
Und indem nun wieder nur ein Viertel gemeinnützig gebaut wurde, rückt das Drittelsziel wieder weiter weg. Grosszügig ausgelegt kann man sagen: Die Gemeinnützigen bauen schon auch fleissig, haben immerhin 734 neue Wohnungen erstellt im letzten Jahr. Aber die Kommerziellen bauen halt mehr und schneller – und eben (drum ist es überhaupt ein Problem): teurer.
Lasst euch also nicht irreführen von vermeintlich «schönen Zahlen». Eigentlich müsste man als Regel einführen, dass für jede abgebrochene Wohnung nicht irgendeine, sondern eine bezahlbare Wohnung entstehen müsste – mindestens! Stattdessen zankt sich der Gemeinderat aktuell über diesen lächerlichen Artikel 49b und gerät ob dessen Details in Grundsatzdiskussionen. Dabei muss man auch einfach mal deutlich sagen: Durch diesen Artikel 49b werden nur sehr, sehr wenige preisgünstige Wohnungen entstehen, weil er nur Vorschriften macht für einen Anteil allfälliger Mehrausnützungen. Es ist schlussendlich also ein bisschen egal, ob es da nun Einkommenslimiten gibt oder nicht. Der grosse Schub an preisgünstigem Wohnraum, bei dem sich solche Diskussionen lohnen würden, wird es durch 49b sowieso nicht geben.
Um zu verstehen, für wen eigentlich neu gebaut wird, lohnt sich ein Blick auf die Grundrisse und die neue Haushaltszusammensetzung: Es wurden deutlich mehr kleinere Wohnungen gebaut als grössere und als bisher. Und rund 60 Prozent der Neubauwohnungen (der Bauperiode 2019–2023) wurden von «Ein- oder Zweipersonenhaushalten im Erwerbsalter» bezogen. Aber was ist mit den Familien und den Wohngemeinschaften und den Rentner:innen?
Der Verdacht, dass solche Bauprojekte mit Verdrängungsprozessen einhergehen, bestätigt ein Blick auf die Stadtkarte: Viel gebaut wird gemäss neuer Statistik nämlich vor allem in den Kreisen 9 und 11. Diese sind zusammen mit Schwamendingen die grossen «Verdichtungsquartiere» – wie es in der Politik und Planung heisst. Gerade gestern habe ich mit Freundinnen darüber diskutiert, dass wir zukünftig stattdessen von «Verdrängungsquartieren» sprechen werden. Denn das sind auch die letzten Quartiere, wo Menschen mit kleineren Einkommen leben und somit überhaupt noch für die sogenannte «soziale Durchmischung» in dieser Stadt beitragen – wie kürzlich auch eine Recherche im Tagesanzeiger aufzeigte. Und genau diese Durchmischung ist nun gefährdet.
Trau also nur den Statistiken, die du selbst beschönigt hast. Sagt man doch…?
PS: Du denkst, wir sehen Gespenster? Selbst die städtische Ombudsstelle weist in ihrem Jahresbericht 2022 (Seite 28) darauf hin, dass die Berichterstattung von Statistik Stadt Zürich über die Bautätigkeiten in der Stadt schon 2021 zu stark politisch beeinflusst worden sei. Anonym wurde der Ombudsstelle gemeldet, «einzelne Textstellen seien so umformuliert worden, dass sie in die politische Agenda passten». So sollte zum Beispiel der ursprünglich vorgeschlagene Titel «Rekord bei den Wohnungsabbrüchen» nach erfolgter Diskussion geändert werden zu «Umschwung beim Wohnungsbau». Schauen wir also besser weiterhin genau hin bei neuen Medienmitteilungen.
Mieten-Marta |
Die Mieten-Marta steht für das Recht auf Wohnen. Sie ist eine Figur, die sich für bezahlbaren Wohnraum in Zürich und gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung einsetzt. Auf ihrem Blog und unregelmässig auf Tsüri.ch veröffentlicht sie Recherchen, Analysen und manchmal auch einfach hässige Kommentare. Hinter der Figur steckt ein Kollektiv von Mieter:innen. Diese Tsüri-Kolumne schrieben Sabeth Tödtli und Antonia Steger im Namen der Mieten-Marta. Kontaktieren kann man sie via [email protected]. |
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