Auf die Autos folgte das Glück: Das «Bonheur» prägt den Bullingerplatz

Der Bullingerplatz im Kreis 4 erlebte in den letzten zehn Jahren eine Verwandlung und wurde vom Verkehrsknotenpunkt zum Quartiertreffpunkt. Das hat auch mit dem Café du Bonheur zu tun, das von Nushin Coste geführt wird.

Nushin Coste verwirklichte sich vor elf Jahren den Traum vom eigenen Café. (Bild: Isabel Brun)

«Ich wollte nie eine Bar haben, das ist nicht meine Uhrzeit», sagt Nushin Coste. Es ist ein grauer Vormittag im Dezember, ihre Hände umarmen den dampfenden Ingwertee. Im Hintergrund schreit es lauthals aus dem Kinderwagen. Einige Gäst:innen tippen auf ihren Laptops. Am Nebentisch erzählt eine Kunststudentin euphorisch über ihr neuestes Projekt.

Elf Jahre ist es her, seit Coste das Café du Bonheur eröffnet hat – kurz nachdem der Bullingerplatz verkehrsberuhigt worden war. Sicher sei die 20er-Zone deswegen noch lange nicht gewesen, erinnert sich die Betreiberin, geschweige denn ein Ort zum Verweilen: «Die Automobilist:innen verstanden die Strasse um den Brunnen als Kreisel, als ihr Revier.»

Gebessert habe sich das erst, als die Stadt einen Abschnitt mit Hochbeeten sperren liess, sodass die Fahrzeuge das Herzstück des Platzes nicht mehr umrunden konnten. Seither markieren die farbenfrohen Stühle des Cafés das Strassenstück. «Die Stadt meinte, wir sollten den Bullingerplatz einnehmen», so Coste. Denn damals, 2013, sei dieser Teil des Quartiers kaum belebt gewesen. 

Das undankbare Erbe des Autotraums

Jahrzehntelang stauten sich Autos und Lastwagen auf der Westtangente mitten durch Zürich. Man nannte sie «den Auspuff der Nation» und «die hässlichste Strasse der Schweiz». Bis zu 40’000 Fahrzeuge bahnten täglich ihren Weg durch Wiedikon, Aussersihl und Hard. Besserung gelobte die Eröffnung des neuen Autobahnabschnitts, der Westumfahrung, im Jahr 2009. Sie führte zu einer massiven Verkehrsentlastung. Es entstanden neue Begegnungsorte wie der Anna-Klawa-Platz und der Brupbacherplatz. 

Auch der Bullingerplatz im Kreis 4 lechzte nach Veränderung: Nachdem er fast 40 Jahre von Maschinen eingenommen worden war, sollten sich Menschen den Platz zu eigen machen. Als Nushin Coste vom Plan der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ) vernommen habe, das Lokal im Erdgeschoss künftig als Gastronomiebetrieb auszuschreiben, sei sie hellhörig geworden. «Ich hatte schon immer den Traum gehegt, ein eigenes Café zu führen», so Coste. 

  • Auf dem Bullingerplatz herrscht seit 2013 ein Tempo-20-Regime.

  • Der Brunnen ist das Herzstück des Bullingerplatzes.

  • In der Bullingerkirche tagen seit Anfang 2023 das Stadt- und Kantonsparlament.

Der Zeitpunkt für ein solches Unterfangen war eigentlich denkbar schlecht: Ihr Erstgeborener war gerade zwei Jahre alt geworden. Doch gleichzeitig standen ihre Chancen gut. Coste, damals Anfang 30, hatte die Hotelfachschule absolviert, in einem Treuhandbüro gearbeitet und war vor wenigen Monaten in die Siedlung an der Sihlfeldstrasse gezogen. Zudem war sie ein «ABZ-Kind», wie sie selber sagt. Also bewarb sie sich auf die öffentliche Ausschreibung und erhielt schliesslich den Zuschlag.

«Wir Gastronom:innen leisten wertvolle Arbeit für die Quartiere dieser Stadt.»

Nushin Coste, Betreiberin des Café du Bonheur

Das «Bonheur» sei heute genauso, wie sie es damals im Konzept beschrieben habe, sagt Coste. Dazu gehört nicht nur, dass auf jedem Tisch frische Blumen stehen, sondern auch, dass das Lokal einer klaren Struktur folgt: Werktags folgen auf das Frühstück die Mittagskarte, auf die Apéroplatte die Abendmenüs. Am Wochenende gibt es Brunch und Barbetrieb.

Sonnenterrasse im Kreis 4

Costes Plan ging auf. In den letzten Jahren hat sich das Café du Bonheur zum beliebten Treffpunkt im Quartier entwickelt. Gerade an schönen Tagen sind die Stühle auf dem ehemaligen Kreisel gut besetzt. Der Bullingerplatz gilt als einer der sonnigsten Plätze in der Zürcher Innenstadt. Ihr sei schon früh klar gewesen, dass der Standort viel Potenzial habe, gibt Coste zu und ergänzt: «Millionärin wurde ich dadurch trotzdem nicht.» 

Frische Blumen und frisches Brot: Nushin Coste hat klare Vorstellung davon, wie das «Bonheur» sein soll. (Bild: Isabel Brun )

Das Leben als Gastronomin sei kein Zuckerschlecken, auch nicht, «wenn der Laden gut läuft». Das Café du Bonheur ist ein 7-Tage-Betrieb, lediglich am Sonntagabend bleiben die Türen geschlossen. An dieser Regel hält Coste fest: «Das ist der einzige Abend, an dem ich entspannt etwas planen kann.» Denn auch wenn die Verantwortung auf verschiedene Köpfe verteilt sei, könne es immer sein, dass die Betreiberin an der Front einspringen muss. 

Dass sie dabei von vielen Besucher:innen nicht als Chefin erkannt wird, stört Coste nicht. «Ich bin niemand, der sich profilieren muss.» Im Quartier hingegen kennt man Nushin. Als Anwohnerin setzt sie sich auch dafür ein, dass es rund um den Bullingerplatz lebendig bleibt. Im Herbst organisiert sie ein Fest mit Essensständen und Konzerten, im Frühling lädt sie die Bevölkerung zum Gärtnern vor dem Café ein. 

Auf ein Schwatz mit der Polizei oder Politiker:innen

In den letzten zehn Jahren habe sich das Bullingerquartier gewandelt, sagt Coste, «langsam, aber stetig». Es ist nichts, das nur sie bemerkt. Immer wieder wurde über die Gentrifizierung des Gebiets rund um die frühere Westtangente berichtet. Kaum waren die Autos weg, wurden Wohnhäuser saniert, der Stadtteil aufgewertet. Es war die Kehrseite der Verkehrsberuhigung. Trotz Aufwertung sei das «Bonheur» in erster Linie ein Café für die Quartierbevölkerung geblieben. Die Stammkundschaft sei eher alternativ – «aber nicht nur», betont die Gastronomin.

«Wie effizient die Gäst:innen bedient werden, steht und fällt mit der Erfahrung der Mitarbeitenden», sagt Nushin Coste. (Bild: Isabel Brun )

So würden sich seit der Eröffnung des Polizei- und Justizzentrums (PJZ) an der Hohlstrasse auch mal Polizist:innen oder Anwält:innen mit ihren Klient:innen hier zum Kaffee treffen. Und neben der Grünen-Fraktion reserviert auch die EVP in der Pause der montäglichen Kantonsratssitzung einen Tisch. Solche Veränderungen wie der Bau des PJZ oder auch die temporäre Nutzung der Bullingerkirche als Ratsgebäude würden sich also durchaus im Quartier bemerkbar machen. 

Deshalb sei es so wichtig, dass es Orte wie das Bonheur gebe, sagt Coste. Vorsichtig nippt sie am heissen Tee. «Ein Lokal ist immer auch ein sozialer Treffpunkt.»

Sie würde sich wünschen, dass dieser Wert auch von den Behörden anerkannt wird. Momentan fühle es sich eher wie das Gegenteil an, so Coste. Der Alltag in der Branche sei geprägt von Bürokratie, Zahlungsfristen und Kontrollen. Ein «Danke» fände die Café-Betreiberin deshalb angebracht: «Wir Gastronom:innen leisten wertvolle Arbeit für die Quartiere dieser Stadt.»

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