Tsüri-Chopf Nils Epprecht: «Die Angst, sich mit Fremden zu unterhalten, ist gross.»

Nils Epprecht grübelt nicht nur über unser Zusammenleben, sondern versucht auch etwas zu ändern. Er will, dass wir nicht nur mit Freund*innen debattieren: Wir müssen aus der Bubble ausbrechen und die Angst vor anderen Meinungen und fremden Menschen loslassen, um die grossen Herausforderungen der heutigen Zeit anzupacken. Der werdende Vater erzählt im Interview von seinem Projekt «Res Publik».

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Wer bist du?

Das ist ja wie bei Schawinski! Ich bin sicherlich eine engagierte Person und auch eine politische Persönlichkeit. Ich meine das nicht in einem parteipolitischen Rahmen, aber ich beschäftige mich viel mit unserem gesellschaftlichen Zusammenleben. Ich engagiere mich und habe starke Meinungen, aber ich bin auch jemand, der seine Meinung mal ändern kann. Ich finde wichtig, dass man Dinge ausdiskutiert und miteinander spricht. Ich lege Wert darauf, dass ich mit meinen Freund*innen ehrlich sein kann und wir unsere Gedanken austauschen können, auch wenn sie im ersten Moment vielleicht komisch oder abgefahren klingen.

Du engagierst dich an verschiedenen Orten, was ist dein Herzensprojekt?

Das ist eine sehr persönliche Frage, denn in zwei Monaten werde ich zum ersten mal Vater. Aus ganz umfassender Sicht ist sicher das mein Herzensprojekt! Ansonsten war in den letzten Jahren Res Publik mein wichtigstes Projekt, das mit Hansbank in allen Gassen dieses Jahr zum Höhepunkt gefunden hat. Dort haben wir gemeinsam Bänke gebaut und alle eingeladen, diese vor ihre Häuser oder an öffentliche Orte zu stellen und mit fremden Menschen auf diesem Bänkli zu sitzen und in Kontakt zu kommen.

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Am Pavilleon wurden diesen Sommer fleissig Bänkli gebaut, um sie in allen Gassen aufzustellen.

Der Wunsch ist, auf diesem Erfolg aufbauen zu können und öffentliche Debatten zu führen. Wie finden wir zusammen und wie tausche ich mich mit Menschen aus, die eine ganz andere Meinung haben als ich? Wie treffe ich Menschen, die sich ausserhalb meiner Bubble bewegen und mit denen ich nicht schon sieben gemeinsame Freunde habe?

Das Zusammenfinden steht also im Zentrum bei Res Publik?

Wir nennen uns «Fabrik für Öffentlichkeit». Wir schaffen Orte und Möglichkeiten für Begegnungen. Wir geben dem, was als "gesellschaftlicher Kitt" bezeichnet wird, Raum: Also Offenheit, Herzlichkeit, Güte und Interaktion – alles, was uns als Gemeinschaft zusammenklebt.

Es fiel mir auf, wie viel es ausmacht, wenn der ganze öffentliche Raum genutzt werden kann und nicht von Autos besetzt ist.

Nils Epprecht

Es gibt viele Quartierzentren und verschiedenste Initiativen, wie zum Beispiel das in meinen Augen grossartige Lokal Karl der Grosse. Aber die Motivation kommt von oben herab, von der Stadt oder gar vom Bund. Aus der Gesellschaft kommt wenig, was einen verbindenden Charakter hat. Das ist schade, denn in der heutigen Zeit ist es wichtig, einen Konsens zu finden, wie wir zusammenleben und miteinander umgehen wollen. Damit das real wird, müssen neue Formen der Interaktion her. Eines ist klar: Wir können nicht mehr weitermachen wie in den letzten 100 Jahren. Heute wollen viel mehr Leute mitbestimmen, wohin die Reise geht – und Minderheiten werden miteinbezogen anstatt diskriminiert. Das ist wichtig und richtig, aber verkompliziert auch langjährig gewachsene Prozesse. Zurück geht es nun aber glücklicherweise nicht mehr, auch wenn dies für einige der einfachste Weg scheint.

Wie ist Res Publik entstanden?

Die Idee hatte ich, als ich in Venedig war, welches ich eine super Stadt finde! Bei uns ist alles zerschnitten, und wir drängen uns zusammen auf den Trottoirs. Auch virtuell und mental ziehen wir unsere Grenzen und sind weniger im Kontakt miteinander. Es fiel mir auf, wie viel es ausmacht, wenn der ganze öffentliche Raum genutzt werden kann und nicht von Autos – stehenden wie fahrenden – besetzt ist. Venedig ist ein eindrückliches Beispiel für das, was möglich ist. Ich habe dann mit einigen meiner Freund*innen gesprochen und gemerkt; ich kann nicht immer nur motzen, sondern muss meine Energie aktiver einsetzen.

Es ist krass, dass Alkohol das einzige Mittel ist, um die Menschen aufzulockern. Es kann kein Ding der Unmöglichkeit sein, das auch in unserem Alltag einzubringen!

Nils Epprecht

Wo braucht es noch mehr Energie?

Die Angst, sich mit Fremden zu unterhalten, ist noch gross, das haben wir bei Hansbank gespürt. Es kamen viele Menschen zum Bänkli bauen, aber viele haben das Bänkli einfach auf den Balkon gestellt und leben jetzt weiter in einer Bubble. Es braucht noch einen Katalysator, der hilft, diese Hürde zu überwinden.

Alkohol ist ein guter Eisbrecher?

Ja, der kam immer wieder auf (lacht). Es ist krass, dass Alkohol das einzige Mittel ist, um die Menschen aufzulockern. Freitag- oder Samstagabend, wenn alle betrunken im Ausgang sind, fallen die Hemmungen. Es kann kein Ding der Unmöglichkeit sein, das auch in unserem Alltag einzubringen!

Was ist dein bisher schönstes Erlebnis?

Hansbank hat die Menschen aktiviert: Es kamen viele Menschen und haben mit uns Bänkli gebaut. Es war cool zu sehen, dass nicht nur unsere Kolleg*innen und die üblichen Verdächtigen dabei waren – meine Befürchtungen waren unbegründet. Früh morgens kam ein älteres Paar, etwa um die 80 Jahre alt, und wollte unbedingt eine Bank bauen. Sie brauchten mega viel Unterstützung von unserem Schreiner vor Ort, aber sie haben es geschafft! Sie haben uns gefragt, ob wir sie mitsamt Sitzgelegenheit nach Hause transportieren können, aber am Ende sind sie tapfer mit dem Bänkli ins Tram gestiegen. Es war ein herrliches Bild und wirklich schön, dass alle dabei waren!

Ich befehle, dass wir Zürich eine Woche lang autofrei machen, dann können wir ja immer noch darüber abstimmen!

Nils Epprecht

Abgesehen vom Aussergewöhnlichen; wie sieht dein Alltag aus?

Ich arbeite bei der Schweizerischen Energiestiftung. Dort beschäftige ich mich vor allem mit Atomkraftwerken. Es klingt zuerst unvereinbar, aber es hat durchaus Ähnlichkeiten: Mit AKWs wurde eine Technologie gezüchtet, die Abfälle produziert, die niemand will. Die Frage «Wie weiter?» ist eine Debatte, die uns alle betrifft. Wie verzichten wir auf diese Technologie, die die Mehrheit schon lange nicht mehr will? Res Publik haben wir vergleichsweise viel breiter aufgezogen, was mir sehr entspricht.

Was würdest du tun, wenn du für einen Tag König von Zürich wärst?

Ich würde, obwohl es schon so oft gesagt wurde, Zürich autofrei machen und schauen, was passiert. Die Horrorszenarien, dass der Alltag zusammenbrechen und niemand mehr einkaufen oder arbeiten würde, sind absurd! Ich fände es spannend zu sehen, ob wir spontaner miteinander interagieren würden. Ansonsten sind Könige ein schwieriges Thema. Man kann es nicht allen recht machen. Es gibt aber mehr Experimentierfreiheit: Ich befehle, dass wir Zürich eine Woche lang autofrei machen, dann können wir ja immer noch darüber abstimmen!

Hier findest du alle anderen Tsüri-Chöpfe!

In unserer Stadt entsteht ständig Neues und es gibt schon viel Geniales. In unserer Tsüri-Chopf-Reihe stellen wir dir die kreativen Köpfe hinter den inspirierenden Projekten vor. Kennst du selbst spannende Leute, die tolle Sachen in unserer schönen Stadt anreissen? Dann melde dich bei uns auf [email protected].

(Titelbild: Laura Kaufmann)

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