Tram Affoltern: Gewerbetreibende fürchten Umsatzverluste
Volle Busse, lange Wartezeiten, etliche Baustellen: Affoltern wächst und die Infrastruktur hinkt hinterher. Das geplante Tramprojekt soll Entlastung bringen. Doch während Pendler:innen hoffen, fürchten Anwohner:innen Einschränkungen.
Es ist 11.37 Uhr. Der Bus fährt mit sechs Minuten Verspätung an den Gehsteig der Haltestelle Kalkbreite/Bahnhof Wiedikon in Richtung Holzerhurd im Kreis 11. Nur wenige Sitzplätze sind frei. Spätestens nachdem der Bus die Kreuzung Militär-/Langstrasse passiert hat, stehen die ersten Fahrgäste. Ein junger Mann lehnt sich ans Fenster, den Blick müde nach draussen gerichtet.
Die Strasse ist frei, doch flüssig fährt der Bus nicht. Fast so träge wie die Augen des Mannes schlängelt er sich im Schritttempo zwischen Baustellenabsperrungen, Ampeln und Baggern den Hügel hoch, der die Stadt von der Agglomeration trennt. An den nächsten Haltestellen steigen mehr Fahrgäste aus, als einsteigen. An der Endstation sind es nur noch vier.
Tramlinie soll den 32er-Bus ersetzen
Und trotzdem soll hier bald eine neue Tramlinie verkehren: vier Kilometer warmgewalzte Stahlschiene, vom Brunnenhof entlang der Wehntalerstrasse bis ins Holzerhurd. Die Linie 11 wird durch acht neuen Haltestellen verlängert, die Trolleybuslinie 32 ersetzt.
Ursprünglich sollte die Strecke 2029 in Betrieb genommen werden, inzwischen deutet vieles auf eine Verschiebung hin, möglicherweise bis 2031. Die Kosten: über eine halbe Milliarde Franken, allein 450 Millionen für die Gleise. Eigentlich zu teuer für den Kanton, weshalb der Gemeinderat erst kürzlich entschieden hat, diesen finanziell zu unterstützen. Dies muss die Zürcher Bevölkerung in einer Volksabstimmung aber noch gutheissen.
Für die «Affoltemer:innen» bedeutet das Projekt eine erhebliche Umstellung. Doch diese sei überfällig, sagt Pia Meier, Präsidentin des Quartiervereins Zürich-Affoltern. «Es wird in Affoltern nach wie vor gebaut, die Bevölkerung wächst, die Infrastruktur hinkt hinterher.» Heute leben über 27’500 Menschen im Quartier, 2040 dürften es rund 32’000 sein.
Wer nach Affoltern will, nutzt derzeit Bus oder S-Bahn. Vor allem während der Stosszeiten sind die Fahrzeuge überfüllt, sagt Meier.
Mit der neuen Tramlinie könnten über fünfzig Prozent mehr Fahrgäste befördert werden als heute mit dem Trolleybus. Weniger Stau, bessere Luft, kürzere Wege – oder wie es die Stadt schreibt: mehr Lebensqualität im Quartier.
Rosmarie Ajeti ist skeptisch. Sie lebt seit einem halben Jahr mit ihrem Mann in Affoltern. Hier gefalle es ihnen, es sei so schön grün. Sie fährt meist mit dem ÖV, er nimmt das Auto. «Für mich bräuchte es das Tram nicht», sagt sie. «Wir haben schon eine gute Verbindung. Ob ich am Bucheggplatz umsteigen muss oder nicht, macht kaum einen Unterschied.»
Für die Jüngeren möge das wichtiger sein, doch dann solle man eben mehr Busse einsetzen. Gerade in diesem Moment fährt ein weiterer 32er-Bus heran. Der vorherige steht noch da. Ajeti verwirft die Hände. «Wo soll das hier Platz haben? Es ist jetzt schon eng, und es wird eine Riesenbaustelle geben.» Ihr Mann zuckt mit den Schultern.
Geplant ist, die vierspurige Strasse um bis zu sechs Meter zu verbreitern. Platz für Autos, Tram, Velos und Fussgänger:innen. Dreieinhalb Jahre sollen gebaut werden.
Die Baustelle, das Sorgenkind
Die Baustellen beschäftigen die Menschen hier besonders. Anwohner:innen sorgen sich um Lärm, Staub und Absperrungen, während die Geschäftsleute sich um den Umsatz, teilweise gar um ihre Existenz fürchten. Die Stimmung gleicht jener in Bezug auf die Projekte an der Badenerstrasse und der Bellerivestrasse.
«Für das Geschäft ist es schlecht», sagt Hakashi Moni Sakasi, Geschäftsführer des Restaurants Hachi Sushi beim Zehntenhausplatz. «Wir haben erst vor einem Jahr eröffnet, nun läuft es gut. Das könnte sich ändern, sobald ein grosses Bauprojekt beginnt.»
Der Quartierverein Affoltern schrieb bereits im vergangenen Jahr in einem Brief an Stadtrat Michael Baumer: «Jeder Betrieb, der wegen der Bauzeit schliessen muss, ist ein Verlust fürs Quartier». Der Verein fordert, dass die Geschäfte auch während den Bauarbeiten gut erreichbar bleiben, Lieferungen möglich sind und der Zugang für Kund:innen nicht erschwert wird. Das bedürfe auch einer guten Kommunikation zwischen Stadt, Bau und Geschäften.
Sabina Mächler, Projektleiterin Kommunikation beim städtischen Tiefbauamt, relativiert: «Wir verstehen diese Sorgen, sie begleiten uns bei jeder grösseren Baustelle.» Bauarbeiten könnten Geschäfte erheblich einschränken, im Einzelfall sogar existenziell. Letztendlich profitiere aber auch das lokale Gewerbe von den Sanierungen und Aufwertungen.
Rechtlich bestehe deshalb nur dann Anspruch auf Entschädigung, wenn Bauarbeiten übermässig lange andauern oder aussergewöhnlich laut seien – etwa wenn mehr als sechs Monate direkt vor demselben Geschäft gearbeitet wird. In der Praxis erweist sich eine solche Entschädigung jedoch oft als schwierig. «Um solche Situationen zu vermeiden, planen wir grundsätzlich in Etappen», sagt Mächler.
Die Affoltemer:innen sind sich uneinig
Auch Ozan Hofstetter blickt skeptisch auf die kommenden Jahre. Er lebt seit 15 Jahren in Affoltern und betreibt an der Wehntalerstrasse ein Restaurant sowie einen Kebab-Laden. Dieser Letzterer muss laut Hofstetter den Bauarbeiten weichen, sobald die Gleise verlegt werden. «Für den Verkehr ist das Tram eine gute Sache, für unseren Laden aber nicht.» Hofstetter befürchtet, dass die Kundschaft für das verbleibende Restaurant nach dem Bau zurückgeht: «Wenn die Leute nicht mehr so einfach über die Strasse kommen, leidet das Geschäft.»
Und doch: «Wenn man etwas Gutes will, muss man das eben in Kauf nehmen.» Denn für die Einwohner:innen und den Verkehr sei die neue Verbindung direkt von und zum Hauptbahnhof besser.
Für Pendler:innen wie Jamie van Wyk ist das eine Entlastung. Sie wohnt seit neun Jahren in Affoltern und empfindet den 32er-Bus als mühsam: «Er fällt ständig aus. Man wartet lange, bis ein neuer kommt. Zwischendurch bleibt er mitten auf der Strasse stehen.» Besonders im Winter, bei Schnee, komme man kaum voran. «Das ist ein täglicher Stressfaktor.»
Auf die Frage, wie die Affoltemer:innen zu ihrem neuen Tram stehen, reagieren sie unterschiedlich: Ein älterer Mann würde lieber mit dem Auto fahren, wegen der vielen Ampeln gehe es aber zu lange. Darum finde er das Tram gut. Ein Lehrling überlegt kurz und sagt schlicht: «Soso.» Das fasst die momentane Stimmung in Affoltern wohl passend zusammen.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.