SVP-Wahlkampfauftakt in Zürich: Tradition, Politik und umstrittene Gäste
Mit einer aufwändigen Folkloreshow startet die SVP in Zürich Altstetten in die heisse Phase des Wahlkampfs und beschwört vor 4000 Anhänger:innen den Sieg an der Urne. Mit dabei: viel Parteiprominenz von einst, Schweizer Fahnen und die Junge Tat.
Es riecht nach geschmolzenem Käse, noch bevor die Giga-Show der SVP begonnen hat. Unten, wo sonst die Spieler der ZSC Lions dem Puck nachjagen, bilden Requisiten aus dem Fundus der Schweizer Folklore die Kulisse: ein Chalet aus Holz, zwei Schwingkreise aus Sägemehl, Heuballen, Holzbrunnen und so weiter.
Es mutet anachronistisch an: In der modernen Swiss Life Arena wird die Schweiz von einst inszeniert. Diverse Trachtengruppen, Ländlermusik und die gesamte Parteiprominenz eröffnen die heisse Phase des Wahlkampfs - ausgerechnet in der Stadt Zürich, wo die Partei nicht gerade floriert.
«Keinen Schritt links, zwei Schritte rechts», ruft Wahlkampfleiter und Nationalrat Marcel Dettling den rund 4000 SVP-Anhänger:innen zu. «Ihr braucht keine Angst zu haben, dass jemand den Gebetsteppich ausrollt, das ist unsere Kultur!» Applaus, Jubel. Das Publikum ist ein Spiegelbild der Partei: eher älter, männlich, weiss. Die Zuschauer:innen wurden mit Cars aus allen Landesteilen hergekarrt, selbst eine Gruppe Rätoroman:innen war anwesend.
Musik, Reden, Schenkelklopfer. Es wird explizit rassistisch, sexistisch, anti-links – so weit, so erwartbar. Bundesrat Albert Rösti gibt sich harmlos, beschwört Demokratie und Unabhängigkeit, alt Bundesrat Ueli Maurer sorgt sich um die Zuwanderung, Parteipräsident Marco Chiesa kriegt seinen Applaus mit Parolen gegen Links-Grün und die Zuwanderung und Ständerätin Esther Friedli pusht den Kulturkampf mit Witzen über Veganer:innen und trans Menschen.
Die Stimmung der Redner ist teilweise dunkel, bedrohlich, man beschwört die Feind:innen. Das Publikum ist geduldig, fröhlich, aufmerksam. Irgendwo startet plötzlich ein Motor, auf Heuballen sitzend werden Christoph Blocher und seine Tochter Magdalena Martullo hereingefahren. Die Stimmung peakt, Inhalte gibt es keine. Mit einer kurzen Plauderei und Sauglattismus wird der Wahlsieg beschworen. Es scheint, als müsse die schwindende rhetorische Brillanz von Blocher mit einer aufwändigen, aber spannungslosen Inszenierung wettgemacht werden.
Vier Stunden lang plätschert die Show vor sich hin, Sänger Florian Ast testet die Akustik mit ein paar mitgebrachten Songs. Moderator Roman Kilchsperger ruft: «Jetzt Stimmung!» in die Runde und macht sich über seinen ehemaligen Arbeitgeber lustig: «Ich habe es beim SRF so gut gemacht, dass sie 15 Jahre lang nicht gemerkt haben, dass ich kein Linker bin». Bringt sich Kilchsperger, der noch kein SVP-Mitglied ist, als künftiger Kandidat in Stellung? Wir werden sehen.
Es wird viel geredet, wenig gesagt. Irgendwann ist das letzte Wort gesprochen, der letzte Vers gesungen, die letzte Portion «Hörnli mit Ghackets» verzehrt, die letzte Wurst die Kehle hinuntergerutscht. Draussen regnet es, drinnen verflüchtigt sich langsam der Duft der guten alten Schweiz.
Übrigens: «Kein Schritt nach links, zwei Schritte nach rechts» scheint zu funktionieren. Vor dem Eingang zur Arena werden zwei Mitglieder der rechtsextremen Jungen Tat gesichtet. Niemand scheint sich daran zu stören, überrascht ist man auch nicht. Die Öffnung der SVP ins rechtsextreme Spektrum ist mittlerweile derart normal, dass die Anwesenheit der Jungen Tat selbst einige Journalist:innen nicht mehr schockiert. Die Brandmauer nach links hält, mit der anderen Seite wird geflirtet.
An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.