SP-Hearing Zürich: Golta und Abou Shoak kämpfen ums Präsidium
Am öffentlichen Hearing der SP präsentierten sich sechs Kandidierende für den Stadtrat. Die Partei steht vor einer Richtungswahl zwischen Erfahrung und Aufbruch. Besonders im Fokus: das Duell ums Stadtpräsidium zwischen Golta und Abou Shoak.
Am Samstagvormittag drängten sich über 150 Menschen in die Amboss Rampe im Zürcher Kreis 4. Jeder Stuhl war besetzt, am Rand standen die Gäste in dichten Reihen. Lediglich zwei Buben am Rand schien der ganze Trubel wenig zu interessieren – sie vertrieben sich die Zeit mit Tablet und Kopfhörer.
Sechs Kandidierende – vier Frauen, zwei Männer – stellten sich dem öffentlichen Hearing der SP für die Stadtratswahlen. Die grösste Partei der Stadt will ihre vier Sitze verteidigen. Wer es auf das Ticket schafft, entscheidet die Partei am 26. Juni.
Moderator Simon Jacoby, Chefredaktor von Tsüri.ch, verstand sich als Anwalt des Publikums und führte mit spitzen Fragen durch die eineinhalb Stunden. Im Fokus standen die beiden Kandidierenden für das Stadtpräsidium: Raphael Golta, Sozialvorsteher, und Mandy Abou Shoak, Kantonsrätin.
Raphael Golta, 49 Jahre alt, bringt einen umfangreichen politischen Leistungsausweis mit: Er sitzt seit 2014 als Sozialvorsteher im Zürcher Stadtrat und verfügt über mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung in der Regierung. Golta gilt als etabliert, vernetzt und kennt die Abläufe in der Stadtpolitik in- und auswendig.
Mandy Abou Shoak, 35 Jahre alt, ist erst seit 2023 im Zürcher Kantonsrat, hat bisher keine Exekutiverfahrung und ist politisch noch vergleichsweise neu. Ihr Profil ist das einer Quereinsteigerin, die aber frische Perspektiven und einen biografisch geprägten Zugang zur Politik mitbringt. Sie wird als Vertreterin einer jungen, vielfältigen Stadtbevölkerung gesehen und führt derzeit einen sehr aktiven Vorwahlkampf und mobilisiert ihre Community aus der Zivilbevölkerung.
Golta der Sichere, Abou Shoak die Frischere
Jacoby leitete die Diskussion um das Stadtpräsidium mit der Frage ein, warum Mandy Abou Shoak die geeignetere Präsidentin sei als Raphael Golta. Golta antwortete: «Moderne Politik braucht einen Austausch mit der Zivilgesellschaft. Mandy bringt diesen Geist eines zivilgesellschaftlichen Akteurs mit, den ich erst entwickeln müsste.» Abou Shoak wiederum betonte, Golta stehe für Sicherheit – eine Qualität, die gerade in unsicheren Zeiten gefragt sei. Sie würdigte seine Verdienste als Stadtrat, etwa bei «Housing First» oder der Basishilfe. Beide antworteten prompt und ohne auszuweichen. Man nahm es ihnen ab.
Deutlicher wurden die Unterschiede zwischen den beiden Kandidierenden, als es um die Frage des Führungsstils ging. Golta, dem gelegentlich ein aufbrausendes Temperament nachgesagt wird, beschrieb sich als uneitel, zugänglich und lernfähig. «Natürlich gibt es harte Auseinandersetzungen, aber meine Tür steht immer offen», sagte er.
Abou Shoak bezeichnete sich als «soziokulturelle Animatorin» und stellte den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt. Sie verstehe es, Menschen zu motivieren, über sich hinauszuwachsen: «Wir können Unglaubliches bewegen – davon bin ich überzeugt.»
Im Verlauf der Debatte überzeugte Abou Shoak mit Charisma, persönlicher Geschichte und rhetorischer Präsenz. Sie spricht besonders junge und zugewanderte Wähler:innen an, blieb bei konkreten Massnahmen jedoch oft vage. Nichtsdestotrotz erhielt sie mehrmals deutlichen Applaus vom Publikum. Golta hingegen präsentierte sich nüchtern und sachlich und beantwortete die Fragen konkret. Vom intensiven Wahlkampf, der derzeit hinter den Kulissen geführt wird, war auf der Bühne wenig zu sehen. Man ist kollegial und respektvoll, Angriffe auf die Konkurrenz blieben aus.
Kampf um Ideen und Profile
Ebenfalls auf der Bühne sassen Simone Brander, Stadträtin und Vorsteherin des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, Gabriela Rothenfluh, Ehemalige Co-Präsidentin der städtischen SP und Kreisschulpräsidentin, Céline Widmer, Nationalrätin, und Tobias Langenegger, Kantonsrat und Co-Fraktionschef.
Dieser sagte: «Nach über zehn Jahren im Kantonsrat habe ich Gesetze und Voraussetzungen für bessere Zustände geschaffen. Jetzt will ich konkreter arbeiten, Sachen zu Boden bringen.» Langenegger, der als «Mister Wohnen» ins Rennen steigt, will sich vor allem in der Wohnpolitik profilieren – auch, wenn er das Baudepartement nicht bekommen sollte. Denn die Wohnungsnot ziehe sich durch alle Bereiche. Langenegger setze auf mehr preisgünstigen Wohnraum, stärkeren Mieter:innenschutz und fordert: «kaufen, kaufen, kaufen» gegen die Spekulation.
Céline Widmer, die sich als Asyl- und Sozialpolitikerin profiliert, fand ihren Weg in die Politik fand ihren Weg in die Politik, als sie als Tontechnikerin an einem SVP-Bauernmorgen arbeitete. Heute bringt sie zehn Jahre Erfahrung aus Nationalrat und Verwaltung mit. Widmer betonte die Bedeutung einer solidarischen Stadt: In Zeiten eines «reaktionären Backlashs» müssten Städte Haltung zeigen. Zürich, sagte Widmer, sei das Gegenmodell – und sie wolle beweisen, dass sozialdemokratische Stadtpolitik auch über die Stadtgrenzen hinaus wirke.
Gabriela Rothenfluh, einzige mit Exekutiverfahrung als Kreisschulpräsidentin und ehemalige SP-Co-Präsidentin, wolle sich mit ihren Erfahrungen in der Führung von Institutionen und ihre Leidenschaft für Bildungspolitik für ein soziales und gerechtes Zürich einsetzen, sagte sie. Menschen sollten mitgestalten können, in der Schule und in der Stadt.
Simone Brander ist seit 2022 Stadträtin. Als Tiefbauvorsteherin ist sie verantwortlich für den Veloweg-Ausbau – und das bekommt sie auch an der Veranstaltung zu hören. Sie nehme solche Kritik gelassen hin, sagt sie, denn das sei Teil des politischen Systems. Es bedeute, dass man direkt wahrgenommen werde, sagte Brander. Ein Baum, den sie in Wipkingen gepflanzt hatte, löste zum Beispiel 20 Reaktionen aus. «Die Menschen wollen die Stadt mitgestalten, das freut mich.»
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.