Smarte Gesellschaft für alle? Die Diskussion im Karl der Grosse

Am Montag lud Tsüri.ch zum zweiten Event für das Civic Media Projekt «Smart Tsüri». Im «Karl der Grosse» wurde mit Repräsentant*innen von Swisscom und Solinetz über das Thema «Smarte Gesellschaft für alle» diskutiert: Wie können ältere Menschen und Sans-Papiers in eine Smart City inkludiert werden?

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In einer «Smart City» muss auch die dazugehörige Gesellschaft «smart» sein. Die «smarten Bürger*innen» sind bereit, «in einer Kultur der Beteiligung und Partizipation (ökologische) Verantwortung zu übernehmen und die Stadt nach ihren Bedürfnissen nachhaltig zu gestalten», wie es die Geografinnen Bettina Mandl und Suanne Zimmermann-Janschitz von der Universität Graz zusammenfassen. Aber was passiert mit all den Menschen, die nicht partizipieren können? Menschen, welchen das technische Wissen dafür fehlt oder die beeinträchtigt sind? Menschen, welche nicht die Rechte dafür haben, an unserer digitalisierten Welt teilzunehmen?

Gestern, Montag, waren wir angetreten, diese Problematiken und allfällige Lösungen dafür zu diskutieren. Zum Auftakt hielten die zwei geladenen Expert*innen jeweils nacheinander kurze Inputreferate. Dazu gehörte Séverine Vitali, ihres Zeichens Präsidentin des Solinetzes, welche auf die Probleme der Sans-Papiers aufmerksam machte. Währenddessen erläuterte Ralf Koschmann vom Team Community Affairs der Swisscom, wie sein Unternehmen versucht, den älteren Menschen in unserer Gesellschaft einen vereinfachten Zugang zu unserer digitalisierten Welt zu bieten. Nach den Referaten wurde in zwei Gruppen mit de*r jeweiligen Expert*in mögliche Lösungen für die älteren Menschen / Sans-Papiers diskutiert. Nach 30 Minuten tauschten die zwei Gruppen die Plätze und diskutierten mit der*m jeweils anderen Experten*in.

Ältere Menschen: Datenschutz oder Schutz aufgrund von Daten?

Die Diskussion zu den Problemen der älteren Menschen gestaltete sich spannend, denn die Swisscom war neben Koschmann auch mit Stefan Metzger, Leiter von Smart City, und Res Witschi, Leiter des Team Corporate Responsibility, vertreten. Am Beispiel des Notrufknopfes für ältere Menschen wurden Vor- und Nachteile einer digitalisierten Welt besprochen. Dieser wird wie eine Uhr am Arm getragen. Drückt man länger auf den Knopf, geht ein Notruf raus. Gerade alleinstehenden älteren Menschen gibt dies eine gewisse Sicherheit für den Fall, dass diese stürzen und sich nicht mehr bewegen können. Der Notrufknopf funktioniert der Ortung wegen meistens mit GPS. Zukünftige Modelle könnten gar erkennen, wenn der Mensch in Not ist und automatisch einen Alarm auslösen. Dazu werden aber die entsprechenden Daten benötigt, welche auch weitergegeben werden müssen (an die Notrufzentrale beispielsweise). Trotz des offensichtlichen Nutzens dieser Produkte, spielt auch hier die Angst des gläsernen Menschen eine gewichtige Rolle.

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Ralf Koschmann (Zweiter von links), Team Public Policy bei Swisscom, in regem Austausch (Bild: Conradin Zellweger)

Ein weiteres Thema, das angesprochen wurde, ist die Zugänglichkeit für ältere Menschen. Im Jahre 2015 nutzten gerade Mal 56 Prozent der über 65-Jährigen das Internet gemäss einer Studie von Pro Senectute. In einer Studie des Zentrums für Gerontologie gaben zudem 41 Prozent Personen in derselben Altersgruppe an, die Bedienung moderner technischer Geräte falle ihnen schwer. In einer Welt, in welcher man wohl in zehn Jahren nur noch per App Bahntickets kaufen kann, drohen ganze Teile der Gesellschaft den Anschluss zu verlieren.

Die Swisscom bietet in der «Swisscom Academy» Kurse an, um die Bedienung moderner, technischer Geräte zu lernen. Im letzten Jahr nahmen gemäss Koschmann 16'000 Personen daran teil – hauptsächlich ältere Menschen. Mit Mila hat die Swisscom zudem 2015 eine Plattform übernommen, welche sehr simpel Personen mit hohem technischen Wissen vermittelt. Diese können Profis sein, aber auch Privatpersonen. Weder die «Swisscom Academy» noch «Mila» sind kostenfrei, wenn auch erstere von der Swisscom vergünstigt angeboten wird. Gerade hier wäre aber wohl der Bund in der Pflicht, ein Angebot anzubieten, das den älteren Menschen einen Weg in die digitalisierte Welt bietet, welcher nicht vom Einkommen abhängig ist. Oder die entsprechenden Unternehmen, im Sinne einer Corporate Responsibility.

Zu guter Letzt wurde die «Schweizer Accessibility-Studie 2016» angesprochen. In dieser wurden mehrere hundert Schweizer Webseiten auf ihren barrierefreien Zugang getestet. Die Webseite der Swisscom erreichte dabei drei von fünf möglichen Sternen. Auf Nachfrage antwortete Res Witschi, die Swisscom habe noch im selben Jahr – also 2016 – jemanden dafür angestellt, diesen barrierefreien Zugang der eigenen Webseite zu verbessern. Als marktorientiertes Unternehmen sei es aber schwierig, fünf Sterne zu erreichen, denn dazu würde beispielsweise auch gehören, dass die Seite mehrheitlich in schwarz/weiss dargestellt werden müsste – die «Brand-Abteilung» wäre mit diesem Vorschlag sicherlich nicht einverstanden. Man versuche aber sein Bestes, und die wichtigsten Teile der Webseite möglichst barrierefrei zu gestalten, damit die Kund*innen zu den Angeboten finden.

Sans-Papiers: Keine Möglichkeit für einen Handy-Vertrag

Auf Seiten der Sans-Papiers stellen sich andere Probleme: Die Meisten könnten vom Wissen her an einer digitalisierten Welt teilnehmen, haben aber nicht die Rechte oder Möglichkeiten dazu. Séverine Vitali vom Solinetz gab als erstes zu bedenken, dass man in der Schweiz nicht einmal mit einer «vorläufigen Aufnahme» (Bewilligung F) einen Abo-Vetrag für ein Handy abschliessen könne. Es sei auch nicht möglich, ein Halbtax zu kaufen. So blieben viele Dienste und Angebote unnötig teuer für die Asylsuchenden. Die meisten Sans-Papiers hätten ein Smartphone, seien aber stets auf öffentliches Wifi angewiesen. Auch hier wird ein Teil der Gesellschaft ausgeschlossen sein, sobald man beispielsweise Bahntickets nur noch per App kaufen kann – denn dafür müsste man seine Zahlungsdaten hinterlegen können.

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Die Präsidentin des Solinetzes, Séverine Vitali (Dritte von links), in der Diskussion. (Bild: Conradin Zellweger)

Als Lösung wurde oft genannt, dass die Sans-Papiers Schweizer Freund*innen bräuchten, welche für sie in den Läden bürgen oder auf den eigenen Namen Abos abschliessen. Stefan Burckhardt von der Schweizerischen Evangelischen Allianz empfahl die «Love Europe»-App, welche Asylsuchenden auf einfache Weise ermögliche, auf einer Karte hilfreiche Angebote einzutragen und abzurufen. Zudem sei ein Tandem-Angebot geplant, welches bald online gehe und die Kontaktaufnahme vereinfachen soll. Burckhardt selbst sei europaweit der Leiter der Koordination für die «Love Europe»-App. Eine weitere App in diesem Bereich ist die «RefAid»-App (Refugee Aid App), diese wird unterstützt von Organisationen wie Caritas, «Medecins sans Frontières» oder der Heilsarmee. Gemäss Burckhardt sei bei dieser App jedoch der Nachteil, dass man sich registrieren müsse, um sie zu benutzen. Dies sei eine weitere Schranke.

Ein weiterer Vorschlag bezüglich der Handy-Abos kam von Roger Schärer von der Genossenschaft Sinndrin. Diese verkauft in erster Linie Fairphones, hat jedoch gemäss Angaben von Schärer 10'000 bis 20'000 Franken freigestellt, um damit eventuell eine Organisation zu gründen, über welche Sans-Papiers Abos beziehen könnten. Man könne dann vielleicht auch zwei Abos bezahlen, um dafür einem Sans-Papiers ein kostenloses Abo zu ermöglichen. Für eine konkrete Umsetzung dieser Idee ist Schärer aber noch auf der Suche nach einem*r passenden Partner*in.

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Es wird nicht nur den Expert*innen zugehört: Die Diskussion findet auch unter den Teilnehmer*innen statt. (Bild: Darja Schildknecht)

Ein dritter Vorschlag geht das Grundproblem von einer anderen Seite an: Sans-Papiers heissen so, weil sie keine gültigen Aufenthaltspapiere haben. Der Verein «Züri City Card» setzt sich deshalb für eine «City Card» ein, wie sie es in verschiedenen Städten wie New York bereits gibt (Tsüri.ch berichtete). Mit dieser «Urban Citizenship» könnten alle Menschen am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Wichtig dabei wäre, einen solchen Ausweis allen in Zürich lebenden Menschen auszustellen. Hätten nur Sans-Papiers eine «Züri City Card», wären sie sofort erkennbar. Ziel des neuen Ausweises wäre es, allen hier Lebenden gleiche Chancen zuzugestehen. Dazu würde auch gehören, seine*ihre Daten entsprechenden hinterlegen zu können.

Nach zweieinhalb Stunden ist die Veranstaltung vorüber. Was als Eindruck bleibt: Beide Gruppen, die älteren Menschen wie auch die Sans-Papiers, haben teilweise Probleme an der zunehmenden Digitalisierung unserer Lebenswelt teilzunehmen – wenn auch aus verschiedenen Gründen. Lösungsangebote gibt es jedoch weitaus mehr für ältere Menschen als für Sans-Papiers. Nichtsdestotrotz: In einer zukünftigen Smart City sollten allen Teilen der Gesellschaft ein barrierefreier Zugang zur Technik gewährt werden – denn Partizipation geschieht nur, wenn man die Möglichkeit dazu hat.

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