«Queeren Künstler:innen wird nicht dieselbe Chance gegeben»
Dieses Wochenende findet in Zürich das queere Festival «Lila» statt. Mit dabei ist Ablexu, der 2023 mit der EP «Desire» auf sich aufmerksam machte. Im Interview spricht er über Musik als politisches Instrument und den Schritt von der Modelwelt auf die Bühne.
Sophie Wagner: Sie produzieren nun seit etwa drei Jahren Ihre eigene Musik unter dem Künstler:innennamen Ablexu. Ihre erste EP «Desire» haben Sie 2023 veröffentlicht. Nun treten Sie Mitte September am Lila Queer Festival «Lila» in Zürich auf. Was bedeutet es Ihnen, dort dabei zu sein?
Ablexu: Ich freue mich unglaublich. Es ist wirklich eine Ehre, dass man mich gebucht hat. Ich bin ein relativ neuer Artist und habe erst wenig Musik veröffentlicht. Aber ich weiss, dass ich eine gute Performance abliefere. Das Publikum darf sich auf eine energiegeladene, ausdrucksstarke Show freuen.
Bevor Sie den Weg in die Musik eingeschlagen haben, haben Sie als Model gearbeitet. Wie ist es dazu gekommen?
Das war eigentlich eine ziemlich verrückte Geschichte, weil ich nie wirklich geplant hatte, Model zu werden. Ich war damals auf dem Heimweg von der Arbeit, als mich ein Modelagent auf der Strasse ansprach und meinte, ich solle doch mal in der Modelagentur vorbeikommen und mich vorstellen. Im ersten Moment wirkte das für mich ziemlich «sketchy». Weswegen ich die Visitenkarte erst mal zur Seite gelegt habe.
Ein paar Monate später stiess die Agentur dann über Instagram wieder auf mich und hat mich direkt für eine Show gebucht.
Und trotzdem haben Sie es nicht weiterverfolgt?
Das Modeln war eine wichtige Erfahrung. Es hat mir geholfen, selbstbewusster vor der Kamera zu stehen und eine gewisse Stärke nach aussen zu tragen. Aber es war nie wirklich meine Leidenschaft.
Als Model bist du nur das Gefäss einer Marke. Die zehn Sekunden auf dem Laufsteg waren spannend, aber oberflächlich. In der Musik ist es anders: Ich kann meine Geschichten erzählen. Ich kann sprechen, ohne dass jemand vorgibt, was ich zu verkörpern habe.
Welche Geschichten erzählen Sie mit Ihrer Musik?
In meiner ersten EP «Desire» waren es persönliche Themen, wie meine Trennung, die ich damals durchgemacht habe. Ich habe versucht, meine eigene Verletzlichkeit hörbar zu machen. Heute bin ich an einem anderen Punkt. Deswegen habe ich für meine zweite EP ein Alter Ego names «Panther» geschaffen.
«Panther» ist selbstbewusst, stark, verspielt. Diese Figur erlaubt mir, auch Leichtigkeit, Freude und Stärke zu zeigen. Für mich ist das Empowerment zu sagen: Ja, ich habe Schmerz erlebt, aber ich kann auch feiern, laut sein, glänzen.
Also eine Art Empowerment-Figur.
Absolut. Ich möchte, dass meine Zuhörer:innen sich trauen, ohne Kompromisse sich selbst zu sein. Gerade als queere Person weiss ich, wie wichtig es ist, sich Räume zu schaffen, in denen man echt sein darf. Ich sage gerne: Es wird immer Menschen geben, die dich beobachten – also, wenn sie schon schauen, dann gib ihnen eine Show.
Wieso braucht es ein Alter Ego, um das zu zeigen?
Mir fällt es einfacher, die beiden Seiten getrennt voneinander zu zeigen. In Songs kann ich so unterschiedliche Facetten von mir klarer herausarbeiten. Deshalb ist meine zweite EP, die Anfang 2026 erscheint, auch bewusst in zwei Teile aufgeteilt, eine Seite ist verletzlicher, die andere feiert die Stärke von «Panther».
Mit Ihrem Song «Not My Type» haben Sie ein politisches Statement zum Genozid in Kongo gesetzt und die Einnahmen gespendet. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Verantwortung von Künstler:innen, politisch Stellung zu beziehen?
Ich würde nicht von Verantwortung im klassischen Sinn sprechen, aber ich finde schon, dass wir als Künstler:innen bewusst Prioritäten setzen müssen. Aktuell sieht man in Bezug auf die Situation in Palästina, dass manche Artists weiterhin mit Marken zusammenarbeiten, die problematisch involviert sind. Das zeigt, dass Geld oft wichtiger zu sein scheint.
Grundsätzlich kann Musik alles sein: ein Raum für Spass, für Politik, für Persönliches.
Wie schätzen Sie ab, ob Sie sich zu einem Thema engagieren und äussern sollten oder nicht?
Für mich ist entscheidend, mich gut zu informieren, bevor ich etwas öffentlich sage. Heute äussert jede:r zu allem seine oder ihre Meinung. Ich möchte, dass meine Aussagen fundiert sind und nur dann öffentlich geäussert werden, wenn ich wirklich etwas Substanzielles zu sagen habe.
Ihre Musik hat Einflüsse von RnB, Pop und Afrobeats. Woher nehmen Sie die Inspiration?
Mein Vater war in einer Afrobeats-Band. Meine Mutter war Miss Kongo, hat selbst gesungen und Klavier gespielt. Sie haben mich sehr gefördert, mir Gitarre, Klavier und Gesang nähergebracht. Mit 14 hat meine Mutter mich dann in den Chor gesteckt, weil sie merkte: Dieses Kind singt sowieso die ganze Zeit.
Dazu kam, dass ich mit Künstler:innen wie Michael Jackson, Mariah Carey, Whitney Houston, Rihanna und Beyoncé aufgewachsen bin – alles grosse, schwarze Künstler:innen. Ihre Bühnenauftritte und ihre Präsenz habe ich genau studiert. Wer meine Musik und Performances kennt, erkennt gewisse Ähnlichkeiten.
Im Vergleich zu anderen Grossstädten ist die queere Community in Zürich überschaubar. Macht es das einfacher, sich als Newcomer zu etablieren?
Nein, die Schweiz hat generell eine sehr spezielle Musikszene. Queeren Künstler:innen wird nicht dieselbe Chance geben.
Viele sagen mir, im Ausland wäre es einfacher, da Musik von queeren Künstler:innen dort nichts Aussergewöhnliches ist. Doch ich finde es wichtig, erst hier ein Fundament aufzubauen. Es gibt so viel Talent in der Schweiz.
Welche Newcomer:innen haben Sie auf dem Radar?
Auf jeden Fall James Indigo aus London. Ihn hab ich tatsächlich an der Pride kennengelernt.
Gibt es etwas, das Sie sich von der Schweizer Musikbranche wünschen?
Ich wünsche mir, dass wir einander noch stärker unterstützen. Und dass die Schweizer Musikunternehmen den Blick öffnen für das, was in der queeren Musikwelt passiert und die Musiker:innen ernst nimmt. Nur so kann die Szene wachsen.
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!
Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch