Pitch-Night: 7 Ideen gegen die Wohnungsnot in Zürich
Die Wohnungsnot in Zürich spitzt sich zu. Bodenpreise explodieren, Mieten steigen – und mit ihnen die Unsicherheit vieler Bewohner:innen. Wie weiter? An der Pitch-Night gaben sieben Expert:innen Antwort.
Wohnen in Zürich ist seit Jahren ein zentrales Thema, das viele Menschen direkt betrifft. Die steigenden Preise für Boden und Mieten setzen besonders Haushalte mit geringerem Einkommen unter Druck. Wie kann es gelingen, langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern und gleichzeitig dem wachsenden Bedarf in der Stadt gerecht zu werden?
An der Pitch-Night letzten Montag im Theater im Zollhaus präsentierten sieben Expert:innen aus verschiedenen Fachrichtungen ihre Visionen und Lösungsansätze. Die Diskussion drehte sich nicht nur um Neubauten, sondern auch um notwendige Sanierungen im Bestand, Verdichtung und um Strategien, wie man Mietsicherheit gewährleisten kann. Dabei wurde deutlich: Es braucht kreative, kooperative und mutige Schritte, um dem Wohnungsdruck in Zürich zu begegnen und eine sozialverträgliche Wohnzukunft zu gestalten.
Philippe Koch – Delegierter Wohnen der Stadt Zürich
Mit einer Quizfrage bringt Philippe Koch das Publikum ins Grübeln: «Wie viele zusätzliche gemeinnützige Wohnungen braucht es, um das Drittelsziel zu erreichen?» Die Antwort: 20'000 bis 30'000 bis 2050 – mitten im bestehenden Siedlungsraum. Das ist herausfordernd, denn oft müssen dafür bestehende Wohnungen saniert werden, was bei Bewohner:innen Ängste auslöst, weil sie allenfalls ausziehen müssen.
Das Drittelsziel bedeutet: Ein Drittel aller Wohnungen in Zürich soll langfristig gemeinnützig sein – also dauerhaft bezahlbar und nicht profitorientiert. So soll stabiler, sozial durchmischter Wohnraum entstehen und erhalten bleiben.
Doch Koch macht klar: Das Drittelsziel ist nur ein Teil der Lösung. Um der Wohnungsnot wirkungsvoll zu begegnen, braucht es mehr – neue Allianzen, mehr Zusammenarbeit – und den Mut, weiterzudenken. Nur so könne Zürich auch in Zukunft eine durchmischte und solidarische Stadt bleiben.
Nathanae Elte – Präsidentin ABZ
Wie kann man bezahlbaren Wohnraum schaffen – und gleichzeitig dafür sorgen, dass dieser verfügbar und sicher bleibt? Für Nathanea Elte, Präsidentin der ABZ, ist klar: Nicht der Markt entscheidet, was bezahlbar ist, sondern das Haushaltsbudget. Darum setzt die Genossenschaft auf effiziente Planung, optimierte Grundrisse und spekulationsfreien Wohnraum.
Da kaum neues Bauland vorhanden ist, braucht es Verdichtung im Bestand – also, ohne dass Gebäude abgerissen und Mietende dauerhaft ausziehen müssen. Die ABZ verfolgt dabei das Prinzip des «Zusammenrückens»: Mit verschärften Belegungsrichtlinien wird neu verlangt, dass bei veränderter Haushaltsgrösse – etwa, wenn jemand auszieht – in eine passendere Wohnung umgezogen wird. So entstehen im Gegenzug Räume für gemeinschaftliche Nutzung wie Ateliers oder Bastelräume. «Nachhaltig, solidarisch und fair» lautet das Leitbild – und eine Publikumsumfrage zeigt: Die grosse Mehrheit könnte sich vorstellen, nach diesem Grundsatz zu leben.
Nico Müller, Partner, Real Estate Advisory & Valuation bei Wüest Partner
Pragmatismus statt Polemik – so sieht Nico Müller den Weg aus der Wohnungsknappheit. Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, was neue räumliche Organisation und Verdichtung notwendig macht.
Doch Verdichtung ist teuer: Höhere Baukosten und eingeschränkte Entwicklungspotenziale treiben die Mieten in die Höhe. Eine Senkung der Nachfrage hält Müller für kaum machbar, da sie kostspielig ist und negative Folgen für die Wirtschaft und den Wohlstand hat. Für ihn ist die klare Lösung, das Angebot zu erhöhen – also mehr zu bauen. Er warnt jedoch: Strenge Bauvorschriften, langwierige Bewilligungsverfahren, Einsprachen und Ängste vor Veränderungen im Quartier erschweren diesen Prozess erheblich. Müller warnt: «Wenn wir nicht mehr bauen, wird Wohnen in Zürich noch stärker zum Wettbewerb der Zahlungsbereitschaft.»
Der einzige realistische Ansatz sei die konsequentere Verdichtung nach innen. Dafür brauche es Mut – politisch, planerisch und persönlich. Es gelte, mehr und besser zu bauen – auch mit Blick auf das Klima. Zürich dürfe nicht zum exklusiven Wohnzimmer der Privilegierten werden.
Lian Stähelin – Zürcher Arbeitsgruppe für Städtebau ZAS*
Trotz zahlreicher neuer Wohnungen spitzt sich die Wohnkrise in Zürich weiter zu. Lian Stähelin erklärt, dass der gestiegene Flächenverbrauch – bedingt durch kleinere Haushalte und steigenden Wohlstand, der den Raumbedarf vergrössert – eine zentrale Rolle spielt.
Besonders sichtbar werde das Problem bei den Wohnkosten: Während einkommensschwache Haushalte immer mehr bezahlen müssen, sinken die Belastungen bei mittleren und hohen Einkommen.
Allein in den letzten fünf Jahren sei in Zürich vom Bauvolumen her eine Fläche abgerissen worden, die jener der Innenstadt bis zur Hardbrücke entspricht. Davon seien einkommensschwache Menschen, Alleinerziehende und Neuzuziehende, die sich die hohen Angebotsmieten kaum leisten könnte, am meisten betroffen.
Stähelin fordert, günstigen Wohnraum im Bestand gezielt zu erhalten, vorhandene Potenziale besser zu nutzen und schrittweise umzubauen sowie weiterzubauen.
Lisa Diggelmann Vizepräsidentin BEP
Die Baugenossenschaft BEP saniert derzeit rund 150 Wohnungen im Zürcher Kreis 5 – und das im bewohnten Zustand. Das Vorgehen ist anspruchsvoll: In zwei Etappen wird jeweils während vier Wochen das Frischwasser abgestellt, Ersatz bieten Container im Innenhof. Planung und Kommunikation erfordern viel Koordination.
Warum dieser Aufwand? Für Lisa Diggelmann steht die Mietsicherheit im Zentrum: Leerkündigungen sind keine Option, auch weil es kaum freie Wohnungen gibt. Ziel ist es, gut erhaltenen und weiterhin bezahlbaren Wohnraum zu sichern – ein Beispiel dafür, wie Genossenschaften Teil der Lösung sein können.
Daniel Naef und Liliane Forster – IG Nicht im Heuried
Opfer der Verdrängung, Opfer der Leerkündigung – so beschreiben Daniel Naef und Liliane Forster ihre Situation in der Siedlung Heuried-Küngenmatt. Doch sie stehen nicht als Opfer da, sondern als Täter:innen des Widerstands. Seit drei Jahren wehren sie sich gegen die geplante Leerkündigung durch die Eigentümerin LivingPlus (UBS Fund Management).
Ihr zentrales Argument: Die Wohnungen wurden 2005 saniert und sind in gutem Zustand – ein Abriss ist für sie nicht nachvollziehbar. Gemeinsam mit anderen Mietenden gründeten sie eine Interessengemeinschaft und lancierten eine Petition mit der Forderung, die Siedlung an die Stadt oder eine Genossenschaft zu verkaufen.
Für Liliane Forster ist klar: Ein Abriss sei nur dann vertretbar, wenn Gebäude tatsächlich unbewohnbar seien – und wenn Eigentümer:innen Verantwortung übernehmen. «Eigentum ist auch Verantwortung. Und genau das erwarten wir von den grossen Immobilienakteur:innen.»
Manuela Gallati – Mieterinnen- und Mieterverband Zürich
Manuela Gallati vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich (MV Zürich) beleuchtet die zunehmenden Herausforderungen für Mieter:innen im Kanton Zürich. Sie weist darauf hin, dass es zwar rechtliche Möglichkeiten gibt, Kündigungen anzufechten, diese jedoch selten erfolgreich sind. Oft bleibt den Betroffenen nur der Weg, sich über eine verlängerte Erstreckung der Kündigungsfrist etwas mehr Zeit zu verschaffen, um eine neue Wohnung zu finden.
Um die Situation nachhaltig zu verbessern, setzt Gallati auf die hängige Zürcher Wohnschutz-Initiative. Diese zielt darauf ab, den Gemeinden mehr Handlungsspielraum zu geben, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Konkret sollen sie bei Renovationen, Neubauten oder Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen Höchstmieten festlegen können – befristet auf maximal zehn Jahre. Zudem sollen Eigentümer:innen bei Abrissen Ersatzwohnungen in vergleichbarer Anzahl und Qualität bereitstellen.
Die Initiative wurde am vor mehr als einem Jahr mit 20'000 Unterschriften eingereicht und kommt voraussichtlich zwischen Ende 2025 und Anfang 2026 zur Abstimmung.
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Vera hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit studiert. Während ihres Studiums engagierte sie sich als Vorstandsmitglied im Fachverein Polito, wo sie verschiedene Events organisierte und Diskussionen zu aktuellen politischen Themen mitgestaltete. Ihr Interesse an Medien und politischer Teilhabe führte sie in den Bereich Civic Media, wo sie seit April 2025 als Praktikantin tätig ist.