«Was wir in Zürich anstellen, hat einen Effekt auf die Weltmeere»
Die Zürcher Meeresschutzorganisation «KYMA» fordert mit einer Petition strengere Regeln für Konzerne mit Sitz in der Schweiz. Bekannt wurden die Klimaschützer:innen mit einer Kunstaktion, bei der sie einen Pottwal nach Zürich brachten.
«In Binnenländern wird Meeresschutz oft vergessen, die Schweiz bildet hier keine Ausnahme», sagt Sandra Ludescher, Co-Präsidentin von «KYMA», eine Zürcher Meeresschutzorganisation. «Doch auch Zürich ist eine Wasserstadt. Was wir mit unseren Gewässern anstellen, hat früher oder später Auswirkungen auf die Weltmeere.» Umweltsysteme seien eng miteinander verknüpft, so Ludescher.
Während die Wasserqualität in Zürich als «gut» bis «sehr gut» gilt, weist die Stadt dennoch immer wieder Mikroverunreinigungen wie künstliche Süssstoffe, Medikamentenrückstände und Industriechemikalien nach. Über die Abwasserwege gelangen diese Stoffe in den Zürichsee, die Sihl und die Limmat – und von dort bis in die Nordsee.
Damit sich das ändert, reichte die Meeresschutzorganisation «KYMA» Anfang März die Petition «Stopp Ökozid» mit fast 7000 Unterschriften ein. Sie fordert insbesondere, dass massive Naturzerstörung – Ökozid – als fünftes internationales Verbrechen in das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs aufgenommen wird. Damit stünde es auf einer Stufe mit Völkermord und Kriegsverbrechen. Zudem soll Ökozid in die nationale Gesetzgebung aufgenommen werden, sodass Schweizer Unternehmen für gravierende Umweltvergehen strafrechtlich belangt werden können.
Grösste Containerreederei in Genf
«Viele Menschen wissen nicht, wie stark Konzerne aus der Schweiz in globale Umweltprobleme verstrickt sind», kritisiert die Mitinitiantin Sandra Ludescher. Ein Beispiel ist das Transportunternehmen Mediterranean Shipping Company, kurz MSC. Laut der Handelszeitung war das Unternehmen mit Sitz in Genf 2022 die weltweit grösste Containerreederei.
Zahlen vom Europäischen Parlament zeigen, dass obwohl der Schiffsverkehr nur etwa vier Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der EU ausmacht, er zusammen mit dem Flugverkehr zu den Bereichen mit den am stärksten zunehmenden Emissionsaufkommen zählt. Dazu kommen noch Emissionen von Stickoxiden, Schwefeloxiden, Feinstaub und Lärmverschmutzung – die Liste der Umweltauswirkungen ist lang. Das ist noch abgesehen vom hohen Risiko an Ölkatastrophen, wie im Falle MSC 2005 im Golf von Tunis oder 2011 vor der Küste Neuseelands.
«Wir bewegen uns in die richtige Richtung, aber es bleibt das absolute Minimum.»
Sandra Ludescher, Co-Präsidentin von «KYMA»
Um das Bewusstsein für die Dringlichkeit und die Komplexität der globalen Zusammenhänge zu stärken, veranstaltet der Zusammenschluss aus Meeresschutzbiolog:innen, und Skipper:innen, Personen die für die Sicherheit und die Führung des Bootes verantwortlich sind, deshalb nicht nur Forschungsexpeditionen, sondern brachte letzten August sogar einen 16 Meter langen Wal direkt nach Zürich.
Die inszenierte Strandung war eine Zusammenarbeit mit dem belgischen Künstlerkollektiv Captain Boomer und dem Zürcher Theater Spektakel. Der Pottwal sollte die Frage aufwerfen, was in der Schweiz für den Schutz und Erhalt der Meere unternommen wird.
Schweiz macht Fortschritte – aber nur minimale
Im Juni 2023 sprach sich der Bundesrat für ein Moratorium für die kommerzielle Nutzung des internationalen Meeresbodens aus. Die Schweiz hat sich also für den Meeresschutz und gegen den Abbau von Rohstoffen auf dem Meeresgrund entschieden. Weiter wurde im Januar dieses Jahres das internationale Hochseeschutzabkommen unterzeichnet, das Bestimmungen zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt der Meere ausserhalb der nationalen Gerichtsbarkeit beinhaltet.
Diese Massnahmen seien ein wichtiger Schritt, sagt Sandra Ludescher. Doch laut ihr reichen sie nicht aus: «Wir bewegen uns in die richtige Richtung, aber es bleibt das absolute Minimum. Vor allem Grosskonzerne mit Sitz in der Schweiz werden nicht genug in die Pflicht genommen.»
Wie genau eine strafrechtliche Verfolgung aussehen könnte, falls die Forderung durchkommt, bleibt offen. Doch mit der Petition setzt die Schweiz zumindest ein Zeichen. Ein international anerkanntes Ökozid-Gesetz könnte Entscheidungsträger:innen in Unternehmen von umweltschädlichen Investitionen und Praktiken abhalten, so Ludescher.
Die Petition wurde von der Bundeskanzlei entgegengenommen und wird aktuell auf die Anzahl und Gültigkeit der Unterschriften geprüft. Anschliessend ist eine Antwort vom zuständigen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zu erwarten.
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Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch